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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 10
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Kogoj, Marij: Ueber die neue Musik
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0160

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Leber die neue Musik
Marij Kogoj

Ich halte die Kunst für eines der stärksten Mittel,
die den neuen Menschen schaffen helfen, da
sie ihm die neue Seele bildet.
Es gibt zwei Welten: diejenige, die glaubt, daß
die Höhe des Kunstschaffens bereits erreicht
ist und daß nichts mehr geschaffen werden wird,
was an sie heranreicht, und die zweite, die an
Neues und Zukünftiges, ebenso Großes glaubt,
das sich ebenbürtig als Ausdruck einer neuen
Generation neben die Vergangenheit stellen
könnte. Ich gehöre zu der zweiten Welt und
glaube, daß jetzt die Zeit kommt, in der eine
neue Kunst notwendig und auch möglich sein
wird.
Es (ist heute nicht mehr schwer festzustellen,
daß die Rigorosität, mit der Arnold Schönberg
in das Musikleben eingriff, für die Musik
bedeutend und folgenreich war. Er gab der
Harmoniepraxis eine neue Richtung, und die
Musikwissenschaft wird gezwungen sein, ihm
nachzufolgen. Sie wird auch lehren müssen,
daß man in der Ästhetik keine Gesetze über
das Material aufstellen kann, wie sie zum
Beispiel Wundt aufzustellen versuchte.
Die Zwölftonskala ist heute definitiv. Die Aus-
beutung der Halbtonharmonie wird für den
Schaffenden ein Material bleiben, bis die Er-
scheinungen vollständigerschöpftund in mannig-
faltigster Art verbraucht sein werden. Auch
wenn ein neues lebensfähiges Tonsystem auf-
tauchen sollte (wie z. B. das Vierteltonsystem),
werden die Halbtonharmonien noch immer eine
wichtige Komponente bleiben.

Man hat mit den Halbtonharmonien eine ge-
nügend lange Praxis geübt, um mit ihnen so
umzugehen, daß die höchste Primitivität eines
einfachen Stils eneicht werden kann. Denn
mit der Häufung des Künstlichen muß einmal
aufgehört werden. Vom neuen muß man sich
dem Urquell der Musik zuwenden, an den
reinen Ton, um von ihm aus den reinen Aus-
druck zu schaffen.
Wie die Harmonie muß aber vor allem auch
die thematische Ai beit eine Wandlung erfahren.
Sie verleiht der europäischen Musik einen solchen
Grad der Ähnlichkeit, daß ein Laie über sie
lachen könnte. Sie ist viel zu abgebraucht, um
in dieser Form der Musik weiter dienen zu
können. Denn die Kunst muß immer neu sein.
Ich meine, von einem Künstler wenigstens so
viel wie von einem Ingenieur verlangen zu
können. Also nicht nur die göttlichen Einfälle,
sondern auch die intellektuelle Durcharbeitung.
Man muß ein Gebäude aufbauen, das dem
Dagewesenen nicht ähnelt.
Das allerwichtigste bleibt aber der Geist. Der
neue Geist. Er wird allmählich alles umformen
und zwar mit solcher Kraft, daß sie mitzuleben
zwingt.
Die neue Kunst wird im Namen ihrer aposto-
lischen Sendung die Diktatur des Geistes über-
nehmen, die Menschen aufrütteln und sie neu
leben lehren.
Stark leben.
Weise leben.
Über die Zeit leben.

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