Junkers
Larissa Reissner
I
Wie jeder wirkliche Wissenschaftler mußte Pro-
fessor Junkers mit der Universität brechen, ihre
Mauern für immer verlassen, um sich der Wissen-
schaft widmen zu können. Er tat es im Jahre 1909
— zusammen mit seinem Assistenten und Ge-
hilfen Dr. Mader, dessen unbeweglicher, ein wenig
schielender Blick schon damals mit einem En-
thusiasmus auf die Verbrennungsmotoren ge-
richtet war, wie heute, nahezu zwanzig Jahre
später.
Aber es war nicht die Aviation, der zuliebe die
beiden Gelehrten die Hochschule in Aachen ver-
ließen. Die Flugmaschine interessierte sie nicht
mehr und nicht weniger wie jede andere Ma-
schine. Aber die Universität verlangte von
ihnen, daß sie dummen Jungen allerlei Gelehr-
samkeit beibringen. Sie kehrten also der Hoch-
schule den Rücken und widmeten sich ganz
ihren Versuchen.
Wenn die Aviation einmal eine Kunst und nicht
nur ein Handwerk war, so war es zweifellos in
jenen Jahren. Träumer, Romantiker, Abenteurer
und Märtyrer weihten ihr das Leben. Sie
zimmerten sich komische Kästchen aus Segel-
stoff, Drähten und Brettchen zusammen und
flogen mit diesen Papierdrachen oder stürzten —
wie das Schicksal es gerade wollte. Vom
Standpunkte des Jahres 1925, dieses gelassen
kalkulierenden Zeitalters, handelten sie vielleicht
genial, aber zweifellos sträflich leichtfertig. Fast
jedes Wettfliegen brachte eine Katastrophe mit
sich, zwei- bis dreimal am Tage brachen die
Zuschauer durch die Schranken und rannten
zum rauchenden Trümmerhaufen. In wenigen
Tagen gingen so viele hervorragende Flieger
zugrunde, wie jetzt in zwei Jahren. Mit papie-
renen, blutbespritzten Flügeln bahnte sich die
Menschheit den Weg zum Himmel.
Professor Junkers hatte mit dieser edlen Tollwut
nichts gemein. Nach vielen Arbeitsjahren in
der Stille seines Laboratoriums gelang es ihm,
einige jener Höhepunkte der Technik zu erobern,
die ihm die Herrschaft über die interessantesten
und am wenigsten erforschten Gebiete brachten.
Es stellte sich dabei heraus, daß unter diesen
Gebieten sich auch die bisher so launische,
unberechenbare Aviation befand. Professor
Junkers beschloß, ihr eine sorgfältige, wissen-
schaftliche Erziehung angedeihen zu lassen.
Eine der grundlegenden Ideen dieses Gelehrten,
die in der Aeronautik eine Revolution brachte,
war verblüffend einfach. In der Tat: welcher
Vogel, welcher Schmetterling oder Fisch, dessen
Gestalt dem Aeroplan zum Vorbild diente, be-
wegt sich hüllenlos, ohne Haut, mit offen preis-
gegebenen Knochen und Nerven? Wo wäre
es möglich, daß ein lebendiges Wesen seine
Eingeweide nach außen verlegt? Aber der alte
Aeroplan jener Zeit hatte es trotzdem getan.
Unverhüllt, schutzlos lag sein Herz oben, den
Winden preisgegeben, dem Staub, der Sonne,
dem Regen ausgesetzt. Die zahlreichen Ver-
steifungen, Drähte und Brettchen verzehnfachten,
trotz ihrer scheinbaren Leichtigkeit, den Wider-
stand. Junkers beschloß, die widersinnige
Nacktheit des Flugzeugs zu verhüllen, dem
Maschinenherz eine widerstandsfähige Brust,
den Eingeweiden einen Leib zu geben. Die
Würste des Grafen Zeppelin nahmen damals
die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit und des
Hofes vollkommen gefangen. Kaiser Wilhelm,
der einen Tick für die gewaltigen Dimensionen
und für das kriegerische Aussehen dieser Luft-
Ichthyosauren hatte, ließ sie schockweise her-
stellen — zu einer Zeit, als Professor Junkers
sein erstes Patent für ein Ganzmetall-Flugzeug
erhielt.
Der Pilot, die Tanks — alles lag im Innern
des länglichen, silberweißen Aluminiumkörpers
verborgen.
Der Krieg gab Junkers die Mittel in die Hand.
Zufrieden, daß er endlich arbeiten kann, ohne
auf den Pfennig zu sehen, schickt der „gute
Professor“, der einem Pastor ähnlicher sieht
als einem Gelehrten, einen Schwarm Aeroplane
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Larissa Reissner
I
Wie jeder wirkliche Wissenschaftler mußte Pro-
fessor Junkers mit der Universität brechen, ihre
Mauern für immer verlassen, um sich der Wissen-
schaft widmen zu können. Er tat es im Jahre 1909
— zusammen mit seinem Assistenten und Ge-
hilfen Dr. Mader, dessen unbeweglicher, ein wenig
schielender Blick schon damals mit einem En-
thusiasmus auf die Verbrennungsmotoren ge-
richtet war, wie heute, nahezu zwanzig Jahre
später.
Aber es war nicht die Aviation, der zuliebe die
beiden Gelehrten die Hochschule in Aachen ver-
ließen. Die Flugmaschine interessierte sie nicht
mehr und nicht weniger wie jede andere Ma-
schine. Aber die Universität verlangte von
ihnen, daß sie dummen Jungen allerlei Gelehr-
samkeit beibringen. Sie kehrten also der Hoch-
schule den Rücken und widmeten sich ganz
ihren Versuchen.
Wenn die Aviation einmal eine Kunst und nicht
nur ein Handwerk war, so war es zweifellos in
jenen Jahren. Träumer, Romantiker, Abenteurer
und Märtyrer weihten ihr das Leben. Sie
zimmerten sich komische Kästchen aus Segel-
stoff, Drähten und Brettchen zusammen und
flogen mit diesen Papierdrachen oder stürzten —
wie das Schicksal es gerade wollte. Vom
Standpunkte des Jahres 1925, dieses gelassen
kalkulierenden Zeitalters, handelten sie vielleicht
genial, aber zweifellos sträflich leichtfertig. Fast
jedes Wettfliegen brachte eine Katastrophe mit
sich, zwei- bis dreimal am Tage brachen die
Zuschauer durch die Schranken und rannten
zum rauchenden Trümmerhaufen. In wenigen
Tagen gingen so viele hervorragende Flieger
zugrunde, wie jetzt in zwei Jahren. Mit papie-
renen, blutbespritzten Flügeln bahnte sich die
Menschheit den Weg zum Himmel.
Professor Junkers hatte mit dieser edlen Tollwut
nichts gemein. Nach vielen Arbeitsjahren in
der Stille seines Laboratoriums gelang es ihm,
einige jener Höhepunkte der Technik zu erobern,
die ihm die Herrschaft über die interessantesten
und am wenigsten erforschten Gebiete brachten.
Es stellte sich dabei heraus, daß unter diesen
Gebieten sich auch die bisher so launische,
unberechenbare Aviation befand. Professor
Junkers beschloß, ihr eine sorgfältige, wissen-
schaftliche Erziehung angedeihen zu lassen.
Eine der grundlegenden Ideen dieses Gelehrten,
die in der Aeronautik eine Revolution brachte,
war verblüffend einfach. In der Tat: welcher
Vogel, welcher Schmetterling oder Fisch, dessen
Gestalt dem Aeroplan zum Vorbild diente, be-
wegt sich hüllenlos, ohne Haut, mit offen preis-
gegebenen Knochen und Nerven? Wo wäre
es möglich, daß ein lebendiges Wesen seine
Eingeweide nach außen verlegt? Aber der alte
Aeroplan jener Zeit hatte es trotzdem getan.
Unverhüllt, schutzlos lag sein Herz oben, den
Winden preisgegeben, dem Staub, der Sonne,
dem Regen ausgesetzt. Die zahlreichen Ver-
steifungen, Drähte und Brettchen verzehnfachten,
trotz ihrer scheinbaren Leichtigkeit, den Wider-
stand. Junkers beschloß, die widersinnige
Nacktheit des Flugzeugs zu verhüllen, dem
Maschinenherz eine widerstandsfähige Brust,
den Eingeweiden einen Leib zu geben. Die
Würste des Grafen Zeppelin nahmen damals
die Aufmerksamkeit der Oeffentlichkeit und des
Hofes vollkommen gefangen. Kaiser Wilhelm,
der einen Tick für die gewaltigen Dimensionen
und für das kriegerische Aussehen dieser Luft-
Ichthyosauren hatte, ließ sie schockweise her-
stellen — zu einer Zeit, als Professor Junkers
sein erstes Patent für ein Ganzmetall-Flugzeug
erhielt.
Der Pilot, die Tanks — alles lag im Innern
des länglichen, silberweißen Aluminiumkörpers
verborgen.
Der Krieg gab Junkers die Mittel in die Hand.
Zufrieden, daß er endlich arbeiten kann, ohne
auf den Pfennig zu sehen, schickt der „gute
Professor“, der einem Pastor ähnlicher sieht
als einem Gelehrten, einen Schwarm Aeroplane
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