Herwarth Walden der Expressionist
Lothar Schreyer
Aus der Entwicklung des Expressionismus
der Gegenwart, der nunmehr schon eine
Geschichte hat, ist die Persönlichkeit und die
Arbeit Herwarth Waldens nicht hinwegzu-
denken. Nicht nur, daß er durch die Aus-
stellung und die Zeitschrift „Der Sturm“ nun
schon drei Künstlergenerationen die Möglich-
keit der Auswirkung gegeben hat. Es ist
unvergessen, daß Walden die erste und
damals die einzige Stätte schuf, wo in einer
Zeit heftiger Feindschaft gegen die neue Kunst
der neue Künstler Anerkennung und För-
derung erfuhr. Nicht nur, daß Herwarth
Walden grundlegende Schriften mit den in-
zwischen maßgebend gewordenen Formu-
lierungen der künstlerischen Begriffe ver-
öffentlicht hat. Er ist auch selbst als Künstler
in entscheidendem Maße hervorgetreten. Es
sei nur an seine zahlreichen Tonwerke
erinnert, in denen sowohl die tragische wie
die heitere Form in einer Fülle neuer Ge-
stalten sich zeigt, die allein schon ein Lebens-
werk bedeuten. Dieser klare Könner der
deutschen Sprache hat vor allem gewirkt
als ein Meister der Sprache. Es ist kein
Wunder, daß er den expressionistischen
Roman geschrieben hat. „Das Buch der
Menschenliebe“ bringt eine geistige Gestaltung
der Lebens Vorgänge, die dem äußeren Leben
ebenso fern ist, wie die Bilder unserer Maler,
die aber dem inneren Leben ebenso nahe
ist wie die Entdeckungen der bildenden Kunst.
Denn es werden die Gesetze des Lebens in
ihrem rhythmischen Ablaufe gezeigt und
spiegeln sich wieder in den gesetzmäßigen
Bildungen der Wortgefüge. Wie jeden Sprach-
gestalter drängt es auch Herwarth Walden
zum Drama, in dem das Wort zu tönen
vermag und aus seinem Tönen den Raum
bildet und bewegt. Gegenständlich stellen
all diese Dramen Waldens das Problem der
Liebe dar. Sie lösen jedoch kein gesellschaft-
liches oder moralisches Problem. Sie ge-
stalten aus den Tatsachen des Liebeslebens
ein Werk. Sie haben die hohe Einstellung
des Expressionismus, der das Leben nicht
beurteilen, nicht kritisieren will. Sie verstehen
und brauchen deshalb auch nicht zu verzeihen.
Alle Arten des Liebeslebens sind gleich wichtig.
Die Liebe des kleinen Mädchens ist welt-
bewegend wie die hohe unerfüllbare Leiden-
schaft des reifen Mannes. Und wenn ein
Drama „Sünde“ heißt und in diesem Titel
das Urteil ausgesprochen ist, so ist hiermit
das Leben der Menschen gemeint, die sich
selbst verurteilen, weil ihr Leben „ein Spiel
an der Liebe“ ist. Der Dichter versteht die
„Erste Liebe“, wenn er sie ein „Spiel mit
dem Leben“ nennt, und er versteht „Die
Beiden“, wenn ihr Leben ein „Spiel mit dem
Tode“ ist. So geht schon aus dem Titel
hervor, wie die Weltanschauung des Expressio-
nisten das Leben ein Spiel ist. Er will das
Leben als reifer Mensch spielen mit dem
freudigen Ernst, den jedes Kind beim Spielen
hat. Er kann traurig sein, ohne das Lachen
zu vergessen, und kann lachen, ohne lächerlich
zu werden. So ist in den Dichtungen Waldens
viel von dem, was man altmodisch Humor
nennt. Wer sich beleidigt fühlt durch die
scharfe Satire in den kritischen Schriften
Waldens, der möge seine Dramen lesen, und
er wird begreifen, daß auch die sogenannte
kritische Prosa Waldens gedichtet ist, daß sie
durchaus unpersönlich ist, daß sie ein Spiel
ist, in dem der Ungeist zerspielt wird und
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Lothar Schreyer
Aus der Entwicklung des Expressionismus
der Gegenwart, der nunmehr schon eine
Geschichte hat, ist die Persönlichkeit und die
Arbeit Herwarth Waldens nicht hinwegzu-
denken. Nicht nur, daß er durch die Aus-
stellung und die Zeitschrift „Der Sturm“ nun
schon drei Künstlergenerationen die Möglich-
keit der Auswirkung gegeben hat. Es ist
unvergessen, daß Walden die erste und
damals die einzige Stätte schuf, wo in einer
Zeit heftiger Feindschaft gegen die neue Kunst
der neue Künstler Anerkennung und För-
derung erfuhr. Nicht nur, daß Herwarth
Walden grundlegende Schriften mit den in-
zwischen maßgebend gewordenen Formu-
lierungen der künstlerischen Begriffe ver-
öffentlicht hat. Er ist auch selbst als Künstler
in entscheidendem Maße hervorgetreten. Es
sei nur an seine zahlreichen Tonwerke
erinnert, in denen sowohl die tragische wie
die heitere Form in einer Fülle neuer Ge-
stalten sich zeigt, die allein schon ein Lebens-
werk bedeuten. Dieser klare Könner der
deutschen Sprache hat vor allem gewirkt
als ein Meister der Sprache. Es ist kein
Wunder, daß er den expressionistischen
Roman geschrieben hat. „Das Buch der
Menschenliebe“ bringt eine geistige Gestaltung
der Lebens Vorgänge, die dem äußeren Leben
ebenso fern ist, wie die Bilder unserer Maler,
die aber dem inneren Leben ebenso nahe
ist wie die Entdeckungen der bildenden Kunst.
Denn es werden die Gesetze des Lebens in
ihrem rhythmischen Ablaufe gezeigt und
spiegeln sich wieder in den gesetzmäßigen
Bildungen der Wortgefüge. Wie jeden Sprach-
gestalter drängt es auch Herwarth Walden
zum Drama, in dem das Wort zu tönen
vermag und aus seinem Tönen den Raum
bildet und bewegt. Gegenständlich stellen
all diese Dramen Waldens das Problem der
Liebe dar. Sie lösen jedoch kein gesellschaft-
liches oder moralisches Problem. Sie ge-
stalten aus den Tatsachen des Liebeslebens
ein Werk. Sie haben die hohe Einstellung
des Expressionismus, der das Leben nicht
beurteilen, nicht kritisieren will. Sie verstehen
und brauchen deshalb auch nicht zu verzeihen.
Alle Arten des Liebeslebens sind gleich wichtig.
Die Liebe des kleinen Mädchens ist welt-
bewegend wie die hohe unerfüllbare Leiden-
schaft des reifen Mannes. Und wenn ein
Drama „Sünde“ heißt und in diesem Titel
das Urteil ausgesprochen ist, so ist hiermit
das Leben der Menschen gemeint, die sich
selbst verurteilen, weil ihr Leben „ein Spiel
an der Liebe“ ist. Der Dichter versteht die
„Erste Liebe“, wenn er sie ein „Spiel mit
dem Leben“ nennt, und er versteht „Die
Beiden“, wenn ihr Leben ein „Spiel mit dem
Tode“ ist. So geht schon aus dem Titel
hervor, wie die Weltanschauung des Expressio-
nisten das Leben ein Spiel ist. Er will das
Leben als reifer Mensch spielen mit dem
freudigen Ernst, den jedes Kind beim Spielen
hat. Er kann traurig sein, ohne das Lachen
zu vergessen, und kann lachen, ohne lächerlich
zu werden. So ist in den Dichtungen Waldens
viel von dem, was man altmodisch Humor
nennt. Wer sich beleidigt fühlt durch die
scharfe Satire in den kritischen Schriften
Waldens, der möge seine Dramen lesen, und
er wird begreifen, daß auch die sogenannte
kritische Prosa Waldens gedichtet ist, daß sie
durchaus unpersönlich ist, daß sie ein Spiel
ist, in dem der Ungeist zerspielt wird und
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