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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 19.1928-1929

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Heft 4
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Walden, Herwarth: Die Sache mit Otto Ernst
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https://doi.org/10.11588/diglit.47219#0064

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Die Sache
mit Otto Ernst
Herwarth Walden
Man begegnet den Dichtern immer mit einer
respektvollen Ironie. Lebende Dichter pflegen
sich daher Schriftsteller zu nennen. Von toten
Dichtern hingegen spricht man mit ironischem
Respekt. Nach fünfzig Jahren aber tritt an
Stelle der Ironie die Germanistik. Man wird
sogar, auch in kapitalistischen Staaten, zum
Gemeingut der Nation erklärt und von der
reiferen Jugend auswendig gelernt. Der Begriff
Dichter ist stark umstritten. Jeder Dichter hat
seine eigene unduldsame Gemeinde und jede
Familie ihren Hausdichter. Dem fehlen nur
die Beziehungen zur Presse, um auch der Mann
zu sein, den man feiert . . . Der Mann des
Tages. Überall Vorsitzender. Gast einer Re-
gierung. Ehrendoktor trinkfester Universitäten.
Das alles kann der Dichter werden. Dazu der
Nachruhm durch die Germanisten: Lesarten
und Kommentare . . . Seit dem Krieg treiben
die Dichter auch Politik. Mit dem Herzen.
Das ist ebenso gefährlich und ebenso dilettan-
tisch, wie mit dem Herzen Kunst zu treiben.
Dies nebenbei, denn es handelt sich um die
Sache mit Otto Ernst. Der ist ein Freund von
mir, über den ich trotzdem schrebien darf, ohne
die Berufsehre zu verletzen. Denn er ist kein
Dichter. Aber Bayer und Schriftsteller. Ich
kann ihn nicht einmal berühmt machen, es
lebt der große Name noch. Er heißt wirklich
Otto, ist der Sohn des Herrn Ernst, kann sym-
pathisch viel trinken und schreibt Artikel, wes-
halb sein Name in Kürschners Literaturkalender
zu finden ist. Hätte ihn Kürschner nicht ge-
funden, ihm wäre manches erspart geblieben.
Die Sache fing ganz harmlos an. Da kommt
eines Tages der große Dichter Otto Ernst nach
Bremen, um seinem Herzen deutschvölkische
Luft zu machen. Da der Begriff des Dichters

polizeilich nicht festzustellen ist, hat ihn irgend-
eine Gemeinde zum Dichter ernannt. Worauf
er sich dafür und auf sich etwas zu halten
pflegt. Die Bremer Zeitung veröffentlichte die
deutschvölkische Versonnenheit des Gemeinde-
dichters Otto Ernst. Mein Freund Otto Ernst,
weniger versonnen, ärgerte sich trotz Bayern
über den völkischen Dichterunfug und schrieb
in derselben Bremer Zeitung am nächsten Tag
eine Widerlegung, die er natürlich mit seinem
braven bürgerlichen Namen Otto Ernst unter-
schrieb. Das ging selbst für die normalen
flüchtigen Zeitungsleser zu weit. Selbst einem
Dichter wird nicht gestattet, wenigstens nicht
nach einer Nacht seine Meinung in ihr Gegen-
teil zu ändern. Infolgedessen wurde auch der
Dichter Otto Ernst böse und verlangte von der
Bremer Zeitung unter Berufung auf das Gesetz
die Richtigstellung seiner unrichtigen Meinung.
Da wurde nun mein Freund der Bayer Otto
Ernst böse und klagte gegen den Dichter Otto
Ernst auf Unterlassung der Führung seines
Namens. Denn dieser Dichter Otto Ernst hieß
bürgerlich Otto Ernst Schmidt und hatte aus
künstlerischen Gründen den Schmidt zum alten
Eisen geworfen. Worauf die Tragödie einsetzt.
Während das Verfahren schwebt, wird in es
eingegriffen: Otto Ernst, der Schmidt, stirbt.
Lebt sein großer Name noch. Ihn als Lebender
berechtigt zu führen, rächt sich. Gleichsam
das Los des Schönen auf Erden. Mein Freund
Otto Ernst wird den Dichterruhm nicht mehr
los. Man kommt hier zu der Erkenntnis, wie
wenig der leibliche Tod für einen großen Namen
bedeutet. . . Noch dazu, wenn er im Kürschner
steht. Man schreibt an ihn, man telegraphiert
an ihn, nur Honorare schickt man ihm nicht.
Große Namen müssen umsonst arbeiten, wenn
sie nicht zufällig persönlich Kaufmänner sind.
Und wenn der große Name gar fünfundsechzig
Jahre wird, dann gibts ein Jubilieren und die
Pressephotographen kommen. Und sie kommen
alle zu meinem Freund, dem Otto Ernst ohne
Schmidt. Er stellt verzweifelt sein gutes freund-
liches Gesicht der Tagespresse zur Verfügung.
Die Sache wills. Die Herren Photographen

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