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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 21.1932

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Urbanitzky, Grete von: Junger Abend
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https://doi.org/10.11588/diglit.47223#0005

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Junger Abend
Grete von Urbanitzky
„Schau, Martha, das ist ja das Schöne an uns beiden, das
Herrliche an unserer Freundschaft, daß wir beide das alles wissen.
Daß du nicht so bist wie die andern Mädel, die von der ganzlen)
Scheußlichkeit des Lebens nichts wissen. Ich kenne keinen
Burschen, mit dem ich so reden kann wie mit dir!“
„Wie herrlich still es wird. Das ist wirklich die schönste Stunde.
Man möchte, daß es nur immer dunkler wird und niemals mehr
Morgen.“ Ihre Augen wurden ganz schwarz.
„Nie mehr Morgen. Ja, das wäre schön.“
Er lag nun ganz auf dem Rücken und sah hinauf in den
Himmel, den der Abend in immer blasseren Farben malte.
„Wenn man ein Baum wäre“, sagte er leise, „oder ein Vogel!“
„Nur kein Mensch!“
„Wenn wir Bäume wären, dann ständen wir vielleicht hier
nebeneinander und dürften immer den Wolken zusehen.“
„Wir würden uns alles erzählen so wie jetzt.“ Ein hartes Auf-
lachen: „Wahrscheinlich aber schönere Dinge!“
„Es wäre ja nicht dieses schwarze Loch vor uns, als das mir alles
weitere Leben immer vorkommt.
„Hast du auch oft so Angst?“ Ihr Gesicht schien fast weiß und
durchsichtig in dem abendlichen Licht.
Er nickte.
„Alles, was uns erwartet, ist so häßlich und gemein. Mit jedem
Jahr werden wir tiefer hineinwachsen.“
Sie fröstelten in der Kühle des Abends und unter ihren Worten.
Sie rückten enger aneinander.
„Wenn man davonlaufen dürfte“, sagte er schwer.
„Du meinst — ein Ende machen?“
„Ja, aber das darf ich nicht. Sonst erschlägt er sie wirklich. Es
wird ja immer schlimmer. Und in ein paar Monaten ist das
Kind da. Dann komme ich aus der Lehre, — sie werden meinen
Verdienst notwendig brauchen.“
„Auch ich habe schon daran gedacht, einfach Schluß zu machen“,
sagte sie. „O ja, — oft schon. Es ist doch sinnlos, sich die kommen-
den Jahre geschehen zu lassen, wenn man alles weiß. Man braucht
nicht viel Mut dazu. Nur den Schlüssel zu Vaters Apotheke. Aber
der Vater — ich habe ja die Mutter nicht gekannt. — Sie hlat ihm
sehr weh getan, sagen sie und sie starb fern von ihm irgendwo. Er
hat nur mich! Er hat mich sehr lieb, — aber er spricht nicht davon.
Er hat mir nie einen Kuß gegeben. — Als ich einmal sah, wie die
Gemüsefrau, die immer alles ins Spital bringt, ihrer kleinen Tochter
so übers Haar fuhr, — da, — ich lief in mein Zimmer und weinte.“

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