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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 21.1932

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Haeberlein, Gustav: Wenn jetzt...
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https://doi.org/10.11588/diglit.47223#0095

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Wenn jetzt . . .
. . . ein Geist In i niederstiege, zugleich ein Sänger und ein Ileld —
so oder ähnlich hieß es einmal. Kein Konzert- oder Opernsänger war
gemeint, sondern einer von denen, die nach einem andern Vers mit dem
König gehen sollen. Schon Freiligrath las es so, daß der Dichtet mit
dem Volke gehen soll. Besser hätte er gesagt, das Volk soll mit dem
Dichter gehen. Wenn aber Neuere in einer Zeitungsdebatte als das beste
empfehlen, den Dichtet kurzerhand zum Oberhaupt des Staats zu machen,
so lassen sie etkennen, daß das Problem Herrscher und Dichter von
Anfang an falsch gestellt worden war.
Alle großen, das heißt schöpferischen Politiker waren bedeutende
sprachliche Stilisten. Das haben die Griechen und die Römer, in den
letzten Jahrhunderten die Ihanzosen, bei uns Friedrich der Große und
Bismarck gezeigt. Denn der Mensch denkt in seiner Sprache. Wer
sie nicht beherrscht, wer in abgenutzten Wendungen schreibt und spricht,
denkt unordentlich, verharrt in überlebten Gedanken und ist unschöpfe-
risch. So wenig die Reden unserer Politiker die Spur eines bedeutenden
Sprachstils erkennen lassen, genau so wenig können diese Politiker im
Staatsmännischen leisten. Gallia est omnis divisia in partes tres, jede
Randbemerkung des großen Friedrich, eine einzige Metapher Bismarcks
offenbaren den großen Staatsmann mehr als alles, was unsere heutigen
Politiker reden und schreiben.
Ein einziges großes Wort, ein einziger bedeutend geprägter Satz
retten Staaten und Völker, lassen Kriege gewinnen. Von Bismarcks Aus-
spruch, daß wir Deutschen Gott fürchten, aber sonst nichts in der Welt,
hat Deutschland ein Vierteljahrhundert gelebt, und zwar genau so sorg-
los und bombastisch, wie der Ausspruch selbst war. Der wenig bedeutende
Bülow wußte doch etwas von der Macht des Worts. Aber da er un-
schöpferisch war, behalf er sich mit Zitaten und geflügelten Worten
und richtete mit ihnen wiederum genau so viel aus als sich mit erborgten
Gedanken erreichen läßt. Als der Krieg ausbrach, fand kein deutscher
Herrscher oder Staatsmann das Wort, das eine Nation auf seine Flügel
hätte nehmen können. „Ich kenne keine Parteien mehr“ war so wenig,
daß es nur für einige Wochen reichte. Als sich herausstellte, daß Betli-
mann-Hollwegs: „Nun laßt eure Herzen schlagen zu Gott und eure Fäuste
auf die Feinde“ nur ein Zitat war, da war es auch um die Wirkung dieses
Ausspruchs geschehen. Es blieb nichts übrig als „immer feste druff“.
So ist es bis heute geblieben. Wir haben keine bedeutenden Staats-
männer, weil unsere Politiker nichts vom Geist der Sprache wissen, den
sie mißachten. Aber „le style est l’homme meme“ ist nicht nur ein geist-
reicher Ausspruch, sondern eine große Wahrheit.
In früheren Zeiten nannte man die nichtschöpferischen Musiker „Mu-
sikanten". Ich schlage vor, unsere deutschen Politiker „Politikanten“
zu nennen. Denn sie sind unschöpferisch. Sie sind keine Sänger.
Gustav Ilaeberlein

Eingegangene Bücher
Dr. Roberto Candido Pereira: Do Germen de Friedmann
Sua morphologia, biologia, poder pathogenico, accäo prophylactica
e curativa. Officinas Graphicas Do Instituto D. Macedo Costa,
Para / Brasilien 1931
Dr. Gaston Daniel: Vaccin de Friedmann
Vaccination antituberculeuse chirurgicale et pulmonaire par le
Dr. Gaston Daniel de Marseille, President de la Ligue Francaise
antituberculeuse, Laureat de l’Äcademie / Paris Editeur Eugene
Figuiere. 166 Boulevard Montpamasse, 1932

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