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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 21.1932

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Walden, Herwarth: Krankheit tut not
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https://doi.org/10.11588/diglit.47223#0007

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Krankheit tut not
Nur keine blühende Industrie vernichten. Menschen sind billiger
als investiertes Kapital. Auch die Kranken ernähren viele
Existenzen. Krankheiten müssen sein. Der Existenzen wegen. Der
Aerzte wegen. Der Apotheker wegen. Der pharmazeutischen In-
dustrie wegen. Der Inserate wegen, damit die medizinische Fach-
presse gut davon existieren kann. Es gibt sogar Krankheiten, die
den schlichten, bescheidenen Untemehmergewinn zu soliden Finanz-
kapitalien akkumulieren. Zum Beispiel die Tuberkulose. Man kann
sie jahrelang und noch länger haben. Man kann sie teuer und
teurer behandeln. Man heilt sie angeblich mit guter Luft und guter
Ernährung. Etwas, was sich 95% der Menschen nicht leisten können.
Außerdem wird die Krankheit nicht davon geheilt. Aber sie bringt
Geld unter die Leute, die eine Heilung auf diese Weise vortäuschen
und sich davon gesund machen. Aber eigentlich geschieht in den
Heilstätten und in den Sanatorien gar nicht viel mehr, als daß
das kranke Leben verlängert wird. Die Krankheit schreitet un-
barmherzig fort. Die Tuberkelbazillen interessieren sich nicht für
gute Luft. Sie leben in Beelitz, in Davos und in Assuan ruhig weiter.
Und verbreiten sich und vernichten langsam und schneller das
Leben. Einige Milliarden investiertes Kapital dürfen nicht ver-
nichtet werden. Und gibt es ein größeres Verbrechen, als ein vor-
handenes seuchenvernichtendes Mittel nicht anzuwenden, nur weil
die Tuberkulose-Industrie gerettet werden muß. Zwar ist das Mittel
in zahlreichen Ländern mit absolutem Erfolg angewandt worden.
Mit absolutem Erfolg, wenn es rechtzeitig gegeben wird. Auch in
Deutschland. Hier aber am wenigsten. Vielleicht, weil sein Er-
finder ein Deutscher ist. Vermutlich würden selbst die Wohl-
habenden es vorziehen, mit einer Injektion oder wenigen harm-
losen Impfungen gesund zu werden, als sich durch viele Jahre
krank in besseren Gegenden in der Schweiz oder in Aegypten auf-
zuhalfen. Dem kranken Proletarier glückt es höchstens, an eine
Heilstätte verschickt zu werden und fern vom Leben und von der
Familie das Ende früher oder später abzuwarten. Warum wird das
Friedmann-Mittel nicht angewandt? Warum verschweigt man es
den Kranken? Wie ist es menschenmöglich oder auch nur zu ver-
stehen, daß zahlreiche Fachärzte und Heilstätten-Aerzte sich nicht
einmal dafür interessieren? Sich damit beruhigen, daß irgend-
welche Aerzte theoretisch den Erfolg bezweifeln, ohne je eigene
klinische Erfahrungen damit gemacht zu haben? Aber mit dem
Calmette-Mitfel wird das Proletariat gefüttert. Mit dem Original-
Calmette-Mittel, das nachweisbar viele Todesfälle vorher ganz ge-
sunder Kinder in allen Ländern herbeigeführt hat. Herr Calmette,
selbst von großen Tageszeitungen aufgeforderf, stellt sich der
Oeffentlichkeit nicht. Er beruft sich einfach auf Sachverständige

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