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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 21.1932

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Die Patienten melden sich
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https://doi.org/10.11588/diglit.47223#0096

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Die Patienten meiden

In einem Rundfunk-Vorfrag Mai
1931 wurde das Lungenkrankenhaus
Beetz-Sommerfeld als das
„modernste“ Tuberkulose-Kranken-
haus der Welf bezeichnet. Ich hafte
Zeit und Gelegenheit, nachzuprüfen,
was die Berliner Lungenkranken
über Beetz-Sommerfeld erzählten.
Die Chirurgie soll dort hoch im
Kurs stehen. Mir wurde auf der
linken Seite ein Pneumothorax
(kurz „Pneu“ genannt) angelegt.
Bald darauf sollte ich sogar einen
Doppelpneu bekommen. Ich wehrte
mich dagegen. Die Art und Weise,
in der ich dazu überzeugt werden
sollte, war einem indirekten Zwang
sehr ähnlich. Ein Patient, der den
Eingriff ablehnfe, wurde bald da-
nach entlassen. Schließlich erklärte
ich mich dazu bereif, da ich eine
Entlassung nicht riskieren konnte.
Mein Gesundheitszustand war sehr
schlecht. Leider wußte ich damals
noch nichts von dem Friedmann-
Mittel. Der Versuch mit dem Dop-
pelpneu mißlang. Vorher hatte mir
der dirigierende Chefarzt, Dr. Diehl,
erklärt, daß der linke Pneu allein
für mich wertlos wäre. Nachdem
nun die Anlage auf der rechten
Seife mißglückt war, hätte man ja
logisch den linken Pneu eingehen
lassen müssen. Herr Diehl hafte
aber schnell seine Meinung geändert
und so mußte ich mich noch vier
Monate mit dem Pneu herumquälen.
Eine Besserung in meinem Befinden
war während der ganzen Zeit nicht
festzustellen. Im August ließ man
den Pneu ganz eingehen, daß sich
Wasser gebildet hafte. Ich konnte
noch von Glück reden, daß keine
weiteren Komplikationen einfraten.
Inzwischen hatte ich viel von Fried-
mann gehört und beschäftigte mich
sehr eingehend damit. Anfang Ok-
tober beantragte ich einen Tag Ur-
laub. Der Stationsarzt äußerte Be-
denken wegen meines schlechten Ge-
sundheitszustandes. Ich setzte den
Urlaub aber durch, fuhr nach Berlin
und ließ mir die Friedmann-Spritze
machen. Der Erfolg war über-
raschend. Zum erstenmal konnte
ich von einer wirklichen Erholung

sich
sprechen. Die Äerzfe kannten na-
türlich nicht die Ursache meiner
Besserung. Wenige Wochen später
war ich entlassungsfähig. Hunderte
von Studenten und Äerzfen hatten
während meiner Kurzeit das Kran-
kenhaus besichtigt. Es wurde ihnen
aber immer nur der Neubau gezeigt.
Niemals wagte man es, sie durch
die Stationen der alten Gebäude
zu führen. Die Hälfte der Pa-
tienten lag in diesen alten Ge-
bäuden. Wie es dort aussieht,
spottet jeder Beschreibung. Die
Toiletten konnte man wegen der Un-
sauberkeit als Herde von Infektions-
krankheiten bezeichnen. Eine große
Anzahl der Patienten holten sich
in dem „modernsten Krankenhaus“
Flechten. Die Schlafdecken bestan-
den zum größten Teil aus Lumpen.
Die Tagesräume waren so schlecht
beleuchtet, daß die Patienten Ge-
fahr liefen, sich die Äugen zu ver-
derben. Das geringe Personal
konnte unmöglich für die nötige
Sauberkeit sorgen.
Wenige Tage vor meiner Ent-
lassung erklärte sich Herr Dr. Diehl
bereif, über das Friedmannsche Ver-
fahren zu sprechen. Die Vorträge
sollten stationsweise staftfinden.
Der erste Vortrag fand in der
Schwerkrankensfafion statt. Mit dem
Hinweis auf meine baldige Ent-
lassung bat ich Herrn Dr. Diehl, an
dem Vorfrag feilnehmen zu dürfen.
Meine Bitte wurde abgelehnt. Ich
hatte das Empfinden, daß Herr Dr.
Diehl einen Angriff gegen seine
Ausführungen von mir befürchtete.
Er machte in seinem Vorfrag die
Äeußerung, daß die Friedmann-
Spritze zu schweren Schädigungen
führen kann. Da mir die Teilnahme
verweigert wurde, war es mir nicht
möglich, Herrn Dr. Diehl die Frage
vorzulegen, ob er diese Behauptung
vor der medizinischen Fachwelt wie-
derholen würde.
Am 3. Dezember 1931 habe ich
Beetz-Sommerfeld verlassen. Ich
glaube es nie wieder in Anspruch
nehmen zu müssen.
Kurt Dolinski
Berlin N 113, Seelower Str. 15

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