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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 21.1932

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Walden, Herwarth: Geschmack
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Verworn, Max: Der deutsche Nationalstaat
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https://doi.org/10.11588/diglit.47223#0037

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die erst das zweite Mal auf den Geschmack kommen. Weil man
nämlich diesseits so auf den Hund gekommen ist, daß man vielleicht
es zweimal schmecken muß. Hat man aber einmal den guten Ge-
schmack, hat man überhaupt einmal Geschmack, so kann sich das
womöglich auch auf die anderen Sinne auswirken. Auf die Ohren
etwa. Oder gar auf die Augen. Das wäre gar nicht auszudenken,
was sich ereignen würde, wenn die Menschen einmal ganz einfach
ihre Sinne gebrauchen wollten, die ihnen kostenlos zur Verfügung
gestellt sind. Wenn man die Augen aufmacht, sieht alles plötzlich
ganz anders aus. Namentlich, da man sie überhaupt nicht aufmacht.
Bis dahin hat man nur Bedenken. Die bekommt man vom unsinn-
lichen Denken. Woraus höchstens Professoren ohne Profession
entstehen. Oder geschmackvolle Politiker. Oder Hausfrauen. Oder
Kohlrabi bürgerlich.

Der deutsche Nationalstaat
Max Verworn
Wir pflegen mit Recht Deutschland als einen einheitlichen Na-
tionalstaat zu bezeichnen und wir dürfen stolz darauf sein. Es wäre
aber falsch, wenn wir diese Auffassung auf den unglücklichen Rassen-
begriff gründen wollten. Der Rassenbegriff hat in wissenschaftlicher
Hinsicht ebensoviel Unheil angerichtet wie in politischer Beziehung,
weil er sich überhaupt nicht scharf bestimmen läßt. In Wirklichkeit
gibt es gar keine Rasse und der Begriff ist eine irreführende Fiktion.
Die Rassenfanatiker begehen aber den Fehler, daß sie die Einheit-
lichkeit unseres Nationalstaates in einer gemeinsamen germanischen
Abstammung der Deutschen erblicken. Das widerspricht der geschicht-
lichen Erfahrung. An der Zusammensetzung der heutigen Bevölkerung
Deutschlands haben sich außer den Germanen auch keltische Stämme,
Romanen, Slaven und auch noch andere Elemente mehr oder
weniger umfangreich beteiligt. Die Ansicht des alten römischen Lob-
redners der Germanen, daß sie „eine eigenartige, reine und nur sich
selbst gleiche Nation“ bildeten, trifft in ethnologischer Hinsicht nicht
zu und hat nie zugetroffen. Die nationale Einheit liegt vielmehr aus-
schließlich auf kulturellem Gebiet. Unsere staatliche und wirtschaft-
liche Organisation, unsere gemeinsamen Ideale, unsere Denkweise,
unsere Sprache, unsere Kunst haben Deutschland zu einem einheit-
lichen nationalen Kulturorganismus gemacht. Diese Güter muß
Deutschland sich erhalten und fortentwickeln, will es ein einheitlicher
Nationalstaat bleiben.
Wenn wir also die nationale Einheit Deutschlands ebensowenig
wie die irgendeiner anderen Nation in der Reinheit der Rasse, son-
dern in der Gemeinsamkeit des nationalen Kultursystems erblicken

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