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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 21.1932

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Walden, Herwarth: Geschmack
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https://doi.org/10.11588/diglit.47223#0036

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kann. Als Spiegel oder Briefbeschwerer oder Lampe oder was der
geschmackvolle Mensch eben braucht. Wenn man unsicher ist,
nehme man sonst für Plastiken nur Tiere. Sie kann man im
Sommer auch im Garten auf stellen. Zwerge halten auch den Winter
dort aus. Dichtungen sind geschmackvoll, wenn sie sich im reiferen
Lebensalter befinden. Will man hier keinen schlechten Geschmack
bekunden, ziehe man sich stets auf die Griechen oder Römer
zurück. Oder auf kriegerische Maßnahmen. Den geschmackvollen
Ton in allen Lebenslagen studiert man am besten auf der Uni-
versität und bei nicht allzu edlen Frauen. Jede Aeußerung wird
dadurch geschmackvoll, daß man sich der Fremdwörter oder der
Amtswörter bedient. Auch die Schriftsprache ist stets geschmackvoll.
Zu empfehlen sind: bezüglich, andrerseits, die Herren Eltern. Ecco,
c’est le ton, qui fait la musique, der See kann sich der Landvogt
nicht erbarmen. Für den guten Geschmack in der Politik, empfiehlt
es sich, in der Mitte zu bleiben. Also alles mit Mehlschwitze. Das
nennt man Weltanschauung mit Geschmack. ■ Mit Mehl läßt sich
alles verkleistern. Sogar das Äuge. Anschauung hat man eben zu
haben, wozu sich da noch die Augen verderben. Für das Benehmen
verwende man Kohlrabi bürgerlich. Dann kann gar nichts passieren.
Luxusgegenstände und Bucheinbände werden durch Gold und Silber
geradezu appetitlich. Und wenn man Appetit hat, kommt es auf
den Geschmack nicht mehr an. Wenn man Hunger hat, auch nicht.
Also ist der ganze Geschmack überflüssig. Er wird deshalb in
Deutschland auch nur sinnbildlich verwandt. Ein Sinnbild hat näm-
lich keinen Sinn und ist kein Bild oder es ist ein Sinn ohne Bild
oder ein Bild ohne Sinn. Also auf jeden Fall zu gebrauchen.
Wenn man den Geschmack komplett beherrscht, sich also nicht um
ihn kümmert, hat man Kultur. Kultur ist das Beste, was bisher
erfunden worden ist. Die Kultur ist so wichtig, daß man zu ihrem
Schutz die Kriege erfunden hat.
Die Kultur muß nämlich unter allen Umständen geschützt
werden, damit man nicht den Geschmack an ihr verliert. Die
Nationen werfen sich gegenseitig ihren Geschmack vor, so daß sie
selbst keinen mehr haben. Sie bringen es unter Umständen sogar
zum haut goüt. Oder sie haben darauf gusto. Oder wenn die
Deutschen ganz böse werden, dann sind sie geschmäcklerisch.
Aber außerhalb Deutschlands lassen sich die anderen Nationen
den Geschmack nicht verderben. Den unsinnbildlichen. Sie machen
aus der Natur keine Kunst. Die Leute machen sogar aus der Kunst Natur.
Mehlschwitze, Persil und Kohlrabi bürgerlich. Für Berlin könnte man
durch Notverordnung den guten Geschmack heben. Man lasse die Ein-
wohner einmal in der ungarischen Csärda neben Gloria-Palast essen
und ihr Gaumen wird sich wundern. Die Prozente, die ich von
dem Restaurant bekomme, stelle ich den Personen zur Verfügung,

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