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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 21.1932

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Friedlaender, Salomo: Dr. med. Shylock
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https://doi.org/10.11588/diglit.47223#0093

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durchrasseln, Sie Ignorant!“ Sprach’s und verschwand mit seinem
hoffnunslosen Sprößling. Noch längere Zeit stand Kluglack mit
weit offenem Munde da.
Kaum war der Professor weg, erschien ein hyperelegantes
Junges Ehepaar, sofort so heftig miteinander zankend, daß Kluglack
mich bat, es noch vor mir abfertigen zu dürfen. Eine halbe Stunde
später erst kam ich an die Reihe, aber Kluglack schien sehr zer-
streut: „Was mag das für ein Käse sein?“ fragte er mich. „Wie?“
erkundigte ich mich, „Käse?“ „Ja“, sagte er sinnend, „nämlich
dieses junge Paar hat sich wegen eines Käses verzankt. Sie will
sich scheiden lassen, weil der Mann ihr nicht den kostbaren
Sjutkäs’ bewilligt, den sie eben von ihrem Auto aus im Schau-
fenster gesehen hat. Ich redete ihr gut zu, sich doch nicht eines
bloßen Käses wegen von ihrem Gatten zu trennen. Da lachte sie
hysterisch auf und rannte weg. Der Mann ihr nach. Honorar zu
zahlen, haben sie in der Eile vergessen.“ Als ich Kluglack dahin
aufklärte, daß ,Suit-case‘ zwar englisch, aber trotzdem kein
Käse wäre, lissauerte er ,Gott strafe England!’ dumpf in sich hin-
ein: „Bitte“, hüstelte er, „essen Sie mit meiner Frau und mir gleich
nebenan etwas Butterbrot, auch mit Käse. Bitte gehen Sie voran,
ich komme sofort nach. Hier rechts im Kabine! muß ich nämlich
ein wunderwunderschönes Mädchen aus der Hypnose aufwecken.
Wissen Sie, die ist so schön, daß es die Polizei verbieten sollte!
Viel schöner als die Garbo . . . Also auf Wiedersehen!“ — Frau
Doktor Kluglack und ich warteten fast eine Stunde auf den Viel-
beschäftigten. Endlich kam der in einem schwer benommenen
Zustande zum Abendbrot, sah, ohne zuzulangen, stier vor sich hin,
bis seine Frau ihn energisch animierte. „Bevor ich“, zögerte er,
„den Grund meiner eigentümlichen Hemmung ermittelt habe, kann
ich nicht essen.“ Plötzlich strahlte er: „Heureka! Ich bin verliebt!
Ich bin ganz einfach schwer verliebt! Eben das Mädel war viel zu
schön!“ Zur Freude seiner Gattin, wie sich denken läßt, aß er
dann mit um so besserem Appetit.
Nichtsdestoweniger war er einer der geschicktesten Operateure.
Und zwar einer der ersten, der statt des Messers den elektritschen
Draht anwandte, der die Wundschnittflächen röstet, so daß kein Blut
fließt. Ich durfte zusehen, als er meine Erbtante auf diese Weise
operierte, und dazwischen hinein plauderte er mit mir über alles
mögliche: „Was haben Sie heute Abend vor?“ fragte er, sich die
Hände seifend. „Shakespeare“, erwiderte ich, „ich seh’ mir den
Kaufmann von Venedig an“. Als ob der Blitz ihn getroffen hätte,
ließ er die Tante Tante sein (so daß ich gleich darauf tatsächlich geerbt
habe): „Ein fabelhafter Gedanke“, schrie er, „kommt mir! Wo
wohnt der allerberühmteste Regisseur, der Reinhardt?“ Ich wußte
dessen Adresse nicht und ging kopfschüttelnd zu Shylock. Als aber

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