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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 72 - No. 75 (4. Oktober 1866 - 25. Oktober 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0053
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Herausgegeben im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 25. Oktober.

Inhalt:
Wochenbericht. — Die Revolution von 1866 und der Nationalverein. —
Aus Preußen. — Die Umwälzungen und das Genossenschaftswesen. —
Zur Dtätenfrage. — Aus Sachsen. — Von der sächsischen Grenze. —
Aus Thüringen. — Zeitungsschau. — Mttthci'ungeu aus dem Natio-
nalvcrein.

Wochenbericht.
Heidelberg, 23. Okt.
* Die preußisch-sächsischen Unterhandlungen sollen end-
lich zum Abschluß gekommen sein, leider aber auf Kosten
des obersten Grundsatzes der bundesstaatlichen Einigung Nord-
deutschlands, den Preußen anfänglich mit unerbittlicher Festig-
keit und auf jede Gefahr hin durchsetzen zu wollen schien.
Hat es seine Richtigkeit mit den Aussagen der ministeriellen
Berliner Presse, so ist die Forderung der einheitlichen
Verfassung des Bundeshcercs, des lieben Friedens willen,
Sachsen gegenüber, fallen gelassen, so wird cs nach wie vor
ein besonderes sächsisches Heerwesen geben, statt eines Bundes-
armcc-Corps mit dem Werbebezirk Sachsen, so wird demge-
mäß das eben so schlecht bewährte wie altbekannte System der
„gemischten Besatzungen" für die sächsischen festen Plätze er-
neuert werden. Unter solchen Bedingungen kann dann von einem
dem Könige von Preußen zu leistenden Fahneneide und von der un-
bedingten Kriegsherrschaft desselben wohl kaum noch die Rede
sein. Kurz, es gewinnt den Anschein, als sollten die militä-
rischen Verhältnisse Sachsens, derHauptsaü c nach, auf das Contin-
gcntswcscn der ehemaligen Reichsarmce und des weiland Bundes-
heeres zurückgcführt werden, das, wie Jedermann weiß, keine
einzige der Proben jemals bestanden hat, auf welche es im
Laufe einer langen Geschichte gestellt worden ist. Und mit
welchem Rechte oder unter welchem Vorwande kann man dem
befreundeten Mecklenburg oder Thüringen verweigern, was
man dem feindseligen Sachsen zugesteht? — Richtig ist dagegen
allerdings, daß ein baldiger Anschluß der süddeutschen Staaten
an den neuen Bund durch solche Zugeständnisse sehr erleichtert
wird, wenn es anders den Regierungen von Baiern undWür-
tcmberg, eben so wie der badischen, wirklich darum zu thun
ist, aus ihrer jetzigen falschen Stellung heraus zu kommen.
Unter dieser Voraussetzung möchte die Einbuße, welche Deutsch-
land an seinen militärischen Interessen durch das Herabgchen
Preußens von seinen ursprünglichen Forderungen erleidet, durch
entsprechende politische Vortheilc immerhin ausgeglichen wer-
den. Was Baden betrifft, so wird die volle Uebcreinstimmung
des Landtags mit der Regierung in der deutschen Verfassungs-
frage für die Nachbarstaaten wenigstens die Wirkung des guten
Beispiels haben, die sich insbesondere nach Hessen-Darmstadt
hin fühlbar machen dürfte, dessen Regierung sich Angesichts
der neuen Verhältnisse bis jetzt widerwilliger gebärdet, als
irgend eine andere. Wenn aber in der letzten Sitzung der
Karlsruher Kammer Namens der Regierung die Erklärung
abgegeben wurde, daß der Eintritt Badens in den Norddeut-
schen Bundesstaat in naher Aussicht stehe, so lautet diese
Nachricht fast zu günstig, als daß man sie ohne unwillkürlichen

1866.

Zweifel aufnchmcn könnte. Denn der Anschluß Badens an den
Bundesstaat ist doch ohne Zweifel bedingt durch den gleich-
zeitigen Anschluß von Baiern und Würtemberg, deren schwan-
kende Cabiuetspolitik, von den verschiedenartigsten Einflüssen
bearbeitet, die größte Mühe zu haben scheint, auch -nur mit
sich selbst ins Reine zu kommen, gar nicht zu reden von den
Schwierigkeiten der Verständigung mit Hrn. v. Bismarck.
— In Berlin wird der Ministerpräsident alle Tage leb-
hafter vcrmißi. Hr. v. Bismarck, es läßt sich nicht länger
verkennen, ist seit drei oder vier Monaten in der Volksgunst
fortwährend gestiegen, nicht bloS in Kraft seiner auswärtigen
Erfolge, sondern auch vermöge der allgemeinen Annahme, daß
er alles Ernstes mit der Absicht umgehe, einen Umschwung
in der innern Politik zu bewerkstelligen. Bis jetzt ist, trotz der
zwischen Landtag und Regierung getroffenen Abrede, die Ver-
gangenheit zu vergessen und zu vergeben und ein neues Leben
anzufangcn, in der Auslegung der Verfassung, der Handha-
bung der Gesetze und dcni Gebrauche und Mißbrauche des
Verwaltungsrechts, Alles beim Alten geblieben. Selbst die
Amnestie wird in der ungroßmüthigsten Weise bcschnitren. Wo
immer der Buchstabe derselben eine Lücke läßt, da kommt der
Geist der kleinlichen Verfolgung zum Durckbrnch, der in der
preußischen Staatspraris von jeher eine große Rolle gespielt. Eine
Gesinnnungspolizci, wie sie gehässiger kaum in einem der ehemali-
gen italienischen Hcrzogthümcr geübt wurde, geht auch heute noch
bei der preußischen Großmacht im Schwange. Es ist, wie
wenn ein Millionär Pfennigfuchsern treibt. — Von Hw. v.
Bismarck erwartet man die endliche Abstellung dieser gehässi-
gen Kleinwirthschaft. Mit welchem Grunde, muß einstweilen
dahin gestellt bleiben. Genug, daß inan der Politik des Mi-
nisterpräsidenten einen Schwung zutraut, welcher die preußische
Ncgierungskunst über alle die Armseligkeiten hinweghebcn soll,
an denen dieselbe sich bisher abgcarbeitet hat und oft genug
zu Schanden geworden ist. Angenommen, daß mit diesem
Urthcile nur die Gerechtigkeit geübt werde, die man auch dem
Feinde schuldig ist, bleibt freilich immer noch die weitere
Frage, ob Hr. v. Bismarck stark genug ist, das ihm zuge-
schriebcne Vorhaben durchzusetzen. Denn man weiß, daß der
Ministerpräsident cs dabei nicht bloch mit seincn Kollegen Eu-
lenburg, Lippe und v. d. Hcydt zu thun haben wird.
— Bei der fortschreitenden Genesung Napoleons III. ver-
stummen die drohenden Gerüchte, welche einen vermuthlichen
Thronwechsel in Frankreich zum Ausgangspunkte nahmen und
in denen der Kaiserin Eugcnic, als Vormünderin ihres Sohnes,
die Rolle einer europäischen Brandstifterin zugeschriebcn ward.
Die französische Presse aber murrt und grollt fortwährend
über den in Deutschland vorgegangcnen Wechsel der Dinge,
oder vielmehr über die dadurch bewirkte Veränderung in der
europäischen Stellung Frankreichs. Die gekränkte Eigenliebe
verblendet die Franzosen bis zu den unglaublichsten Selbst-
täuschungen. Allen Thaten und Werken des Bonapartismus
zum Trotz, beanspruchen sic für ihren Staat, im Gegensatz zu
Preußen, immer noch das Amt des Wächters der Freiheit und des
Fortschritts in Europa. Demnächst hallt die öffentliche Mei-
nung im Nachbarlande wider von dem Vorwurfe der schweren
 
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