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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 76 - No. 80 (1. November 1866 - 29. November 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0077
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spaltige Petitzcile berechnet.


Herausgegekm im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 15. November.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Nochmals Bundes« oder Einheitsstaats-
programm ? — Die nationale Bedeutung der Seefischerei. — Don Quirote
auf dem Schweriner Landtag III. — Aus Thüringen. — Aus Gera. —
Aus Würtemberg. — Zeitungsschau.

Wochenbericht.
Heidelberg, 13. Nov.
* In den anncktirten Ländern ist Verstimmung und Un-
zufriedenheit an der Tagesordnung. Nicht blos bei dem großen
Haufen und bei den Anhängern der gestürzten Regierungen,
sondern auch bei den aufrichtigen Freunden der neuen Ord-
nung der Dinge. Mag dabei viel unberechtigte Ungeduld
unit im Spiele sein und mögen die lani werdenden Klagen
großen Theils solche Ucbclsrände treffen, welche bei jeder ge-
waltsamen Veränderung der öffentlichen Zustände unvermeidlich
sind — gewiß ist, daß in Hannover, Kurhessen, Nassau und
Frankfurt mancherlei geschehen, waS da im eigensten Interesse
des preußischen Staats selbst besser unterblieben wäre, und
daß Vieles bis auf den heutigen Tag unterblieben, was in
dem nämlichen Interesse bereits hätte geschehen können und
sollen. Daß man z. B. die Einwohnerschaft so mancher
Städte in den cinverleibten Ländern fortwährend mit Ein-
guartierung belastet, für welche obendrein eine weniger als un-
genügende Entschädigung gezahlt wird, das ist eine Beeinträch-
tigung der bürgerlichen Gewohnheiten, deren Nothwcndigkeit
nach Wiederherstellung des Fricdensstandcs man nicht wohl
begreift, um so weniger begreift, als cs doch in Hannover,
Kassel und Nastau von jeher weder an Soldaten noch an
Kasernen gefehlt hat. Freilich, die preußische Regie-
rung ist mit wichtigen Arbeiten der verschiedensten
Art gerade jetzt überbürdet: Vorarbeiten für die preu-
ßische Landtagssession, Vorbereitungen für die Thätigkeit
des norddeutschen Parlaments, Verhandlungen mit den nord-
deutschen Regierungen über die Verfassung des Bundesstaats,
Organisation der neuen Provinzen, Ergänzung des preußischen
Heerwesens — das Alles (von den großen diplomatischen
Aufgaben des Tages gar nicht zu reden) will gleichzeitig be-
handelt und binnen kürzester Frist erledigt sein, und, um das
Maaß der Schwierigkeiten voll zu machen, in Abwesenheit
und während der Krankheit gerade der wichtigsten Mitglieder
des Ministeriums. Billigkeitsgründe pflegen indessen bei dem
öffentlichen Urtheil über die Verantwortlichkeit für öffentliche
Uebelständc nicht schwer ins Gewicht zu fallen, und wenn
man es in Berlin nicht darauf ankommcu lassen will, daß
die Volksstimmung in den neuen Provinzen vollends ver-
sauere, so hat man alle Ursache, die Angelegenheiten derselben
eifriger, rücksichtsvoller und wirksamer zu behandeln, als es
bisher geschehen ist.
Die diesmal sehr knapp bemessene Session des preußischen
Landtags wird, den bisherigen Anzeichen nach, ohne neue Stö-
rung des zwischen der Regierung und der Volksvertretung ge-
troffenen vorläufigen Vergleichs verlaufen. Ist der dadurch
hcrgestellte Zustand kein wirklicher Frieden, und ist der Geist,

1866.

welcher auf der einen wie der andern Seite obwaltet, nicht
der des Vertrauens und der aufrichtigen Versöhnung, so ist
doch so viel damit gewonnen, daß die dringendsten Geschäfte
des Landes in beiderseitigem Einverständnis zu gutem Ende
geführt werden rönnen. Ueber die brennende Aufgabe der
preußischen Politik, die militärische und politische Sicherstellung
der Ergebnisse dcs Kriegs, gibt es glücklicher Weise zwischen
Regierung und Landtag keine Meinungsverschiedenheit und
mit Hülfe der Uebcrcinstimmnng in dieser Lebensfrage wird
man über manche weniger bedeutenden Gegensätze in Ansichten,
Gesinnungen und Absichten mir beiderseitigem gutem Willen
einstweilen hinwegkommcu können.
Die Mäßigung und Selbstbeherrschung, welche die preu-
ßische Fortschrittspartei im wohlverstandncn Dienste des Va-
terlandes bewährt, wird von gewisser Seite her nicht als Ver-
dienst anerkannt, sondern als Schwäche vcrurthcilt. Die
Stimmen aber, welche der Fortschrittspartei den heftigsten
Vorwurf daraus macben. daß sie fick mit Herrn v. Bismarck
auf einen Vergleich eingelassen, daß sie ihm Indemnität er-
theilr und Geld bewilligt, es sind die nämlichen Stimmen,
welcke ihrerseits vor Ausbruch des Krieges alle Krcditfor-
derungcn der v. d. Pfordtcu, Varnbüler, Dalwigk mit Jubel
cntgegennahmen, ohne Bedingung und Vorbehalt, ja sogar ohne
irgend eine vorgängige Prüfung, gUthicßen, die nämlichen
Stimmen, welche nach der Beendigung des Kriegs der Politik
der mittelstqarlichcn Minister in allen Tonarten zum Echo
dienen. Wenn der Liberalismus in Berlin sich mit Herrn v.
Bismarck abfindet, so begeht er schnöden Vcrrath an sich selbst;
daß aber die Herren Radikalen und „Födcrativrepublikaner"
in Stuttgart mit Herrn v. Varnbüler und seinen Darmstädter
und Münchener Kollegen gegen Preußen gemeinschaftliche Sache
machen, das versteht sich von selbst. Im Dienste dcs Schwa-
benthums mit der Reaktion und dem Ultramontanismus Arm
in Arm zu gehen, heißt patriotische Tugend üben; dem preu-
ßischen Staate und dessen deutschem Berufe (der denn doch
nachgerade einige Proben bestanden hat) das Opfer seiner
Partciieidcuschaft zu bringen, heißt elende Charakterlosigkeit
bezeugen. Die nämlichen Leute, welche sprechen und handeln,
als ob sic dem würtembergischen oder baierischcn Staatswesen
mit Leib und Seele verpfändet wären, sic machen den preu-
ßischen Liberalen und insbesondere den Mitgliedern des Ab-
geordnetenhauses, ganz unbefangen die Zumuthung, planmäßig
an der inneren Zerrüttung und dem äußern Ruin dcs preu-
ßischen Staates zu arbeiten. Natürlich nur zu Ehren und
Frommendes künftigen Deutschland, welches einzig und allein
auf die Zertrümmerung Preußens wartet, um über Nacht
aus dem Boden heraufzustcigen.
So weit ist die Verschrobenheit der Köpfe der Wortführer
dcs „Volksvereins" bereits gediehen, daß die eigentliche Quelle
der Ohnmacht und, was noch schlimmer ist, der Lächerlichkeit,
welche seit Jahrhunderten wie ein Fluch auf Deutschland
lastet, daß die Viel- und Kleinstaaterei als die Bedingung
alles öffentlichen Gedeihens gepriesen, das großstaatliche Wesen
dagegen als unzertrennbar" von Gewaltherrschaft und Ver-
derbnis verschrien wird. An der Spitze der historischen und
 
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