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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 120 - No. 123 (5. September 1867 - 30. September 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0413
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spaltige Petitzeilc berechnet.



Herausgegebm im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 12. September.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Der Frank und die deutsche Münz-
einheit. — Die würtcmbcrgischc Freiheit. —Das Programm der „Süd-
deutschen Presse". — Aus Thüringen. — Aus Hannover. — Aus
Franken. — ZcitungSschau.

Wochenbericht.
Frankfurt, 10. September.
Das directc allgemeine Wahlrecht hat seinen zweiten,
für drei Jahre gütigen Spruch gekhan. Wie wir erwartet,
ist derselbe ganz ebenso schwankend und getheilt ausgefallen wie
das vorige Mal: keiner der beiden Hauptpartcien ist ein ent-
schiedener Sieg zugesprochcn, weder die Regierung noch die
liberale Opposition wird über eine feste, von vornherein und
für alle Fälle gesickerte Mehrheit zu gebieten haben. Doch
sind wir, wie es scheint, der Mehrheit wenigstens um ein
paar kleine Schritte näher gekommen, so daß die beiden großen
liberalen Fraktionen, unterstützt von ihren partiknlaristisckcn
und sonstigen Mitvotanten, zur Erlangung des Uebergewichts
nur eine geringere Verstärkung aus dem reckten Centrnm,
von Seite der Altltberalen und Freikonservativcn, nöthig haben
wird, als auf dem ersten Reichstage. Doch ist diese Ver-
besserung unserer Stellung keineswegs schon ganz außer Zweifel,
und wird schwerlich von tiefgreifendem Belang fein.
Daß wir auch nur so viel erreicht, und nicht eine aus-
gemachte Niederlage zu beklagen haben, ist auch bei diesem
Wahlgang ausschließlich den neuen Provinzen und den bun-
dcsgenossischen Staaten zu verdanken. Es sind hier über drei
Viertel, beinahe vier Fünftel, der Wahlen auf Liberale, und
zwar der weit überwiegenden Mehrzahl nach auf National-
liberale gefallen, während das alte Preußen reichlich drei
Fünftel seiner Vertreter aus den beiden Gruppen der konser-
vativen Partei erkoren hat. Und mag auch immerhin die
Fortschrittspartei ein paar Sitze mehr erobert haben als im
Februar, so ist das doch nur ein geringer Trost, angesichts
der Erinnerung an jene, noch gar nicht lang entschwundene
Zeit, wo ihr, von der Memel bis zum Rhein, das ganze
Land gehörte, wo die Regierung, mit dem Aufgebot aller
ihrer Mittel, nicht mehr als 11, sage elf der Ihrigen, noch
nicht ein Dreißigstel also der Gesammtzahl der Abgeordneten,
in das Volkshaus zu bringen vermochte. Auch heute wieder
fehlt es nicht an Stimmen, welche die Erklärung dieses auf-
fallenden Wandels lediglich in äußeren Hemmnissen und Schwie-
rigkeiten suchen, vor Allem in dem stärkeren Antheil, welchen
das allgemeine Wahl-echt der ländlichen, abhängigen, unge-
bildeten Bevölkerungsklassccinräumt, in dem Mißbrauch derland-
räthlichen Autoritäten der ungleichen Vertheilung von Wind und
Sonne vor und bei dem Wahlkampf u. s. w. Gewiß hat
dies Alles mitgcwirkt, aber daß es nicht allein, ja vielleicht
nicht einmal in erster Linie den Ausschlag gegeben, darüber
sind schon das vorige Mal alle Unbefangenen einig gewesen.
Als wirksamste der inneren Ursachen betrachtete man damals
das überwiegende Interesse der Wählerschaften an dem Zu-
standekommen des Einheitswerks, und die daran sich knüpfende

1867.

Besorgnis;, daß die Fortschrittspartei demselben allzuviel Steine
in den Weg werfen möchte. Diese Rücksicht konnte nun aber
beute nicht mehr maßgebend sein; die Bundesverfassung ist
so weit im Trocknen, und cs handelt sich jetzt gerade-um
den Weiterbau in möglichst freiheitlicher Richtung. Dazu
kommt, daß das Gebühren der Regierung in den inneren
Fragen nichts weniger als geeignet war, ihr Anhänger zu
werben und die Opposition zu entwaffnen. Wenn nun trotz-
dem die Wahlen so und nicht anders ausgefallen sind, so wird
man sicherlich Recht haben, dem unerbaulichen Schauspiel des
Haders im eigenen Hause, das die liberale Familie bei offe-
nen Thüren und Fenstern aufführte, einen großen Antheil
von Schuld daran beizumessen. Ueberhaupt aber, auch ohne
jene verbitterte, unvermeidlich Mißtrauen gegen beide Theile
erzeugende Polemik, und vollkommen zugegeben, daß die
Scheidung an sich ebenso nothwendig als nützlich war, so
konnte sie doch, durch die Unklarheit, den Zweifel und das
Schwanken, worein sie die große Menge versetzte, der liberalen
Sache zunächst nur Abbruch thun. An die Fortschrittspartei
hat man in weiten Kreisen den Glauben verloren, und an
die junge und unfertige Partei der Nationallibcralcn noch
keinen rechten gewonnen; man fand sich so zwischen ein Nicht
mehr und ein Noch nicht gestellt, und wählte entweder gar
nicht, oder einen Conscrvativen, von dem man wenigstens
sicher war, daß er — mit Bismarck gehen würde. Hat sich
der gegenwärtige Ncubildnngsproccß des preußischen Partei-
wesens erst abgeklärt, so wird es auch rasch wieder besser
gehen. So weit aber, was besonders von der Provinz
Preußen gelten mag, der Sieg der Conservativcn wirklich
nichts war, als ein Sieg der dritten Klasse (des alten Wahl-
gesetzes) über die zweite und erste, so liegen die Lehren, welche
diese Thatsache dem Liberalismus predigt, zu sehr auf der
Hand und sind sckon zu häufig ausgesprochen, als daß wir
sie hier zu wiederholen brauchten.
Unbedingt erfreulich ist an dem diesmaligen Wahlcrgebniß,
neben der Eroberung des zweiten schlcswig'schen Wahlbezirks
für das Deutschthum, die Einbuße an Terrain, welche der
Partikularismus, zunächst in Hannover, dann aber auch, wenn
schon in geringerem Maße, im Königreich Sachten erlitten
hat. Besonders in Hannover werden, bei der anerkannten
Zähigkeit des dortigen Volkscharaktcrs, ein so rasches Umsich-
greifen der nationalen Erkenntnis; nur die Wenigsten erwar-
tet haben Von dem Menschenalter, welches Graf Bismarck
seinerzeit für nöthig hielt, um das Welfenthum vergessen zu
machen, mag hienach wohl Einiges abgehen. Am Hofe zu
Hietzing wird man über dieses Wciterfrcssen des Abfalls nicht
wenig bestürzt sein, wenn man sich nicht etwa mit dem Ge-
danken tröstet, daß hier nur eine teuflische Blendung oder
Fälschung im Spiele sei, kurz ein neuer Betrug des Böse-
wichts, genannt Fridcricianismus, der mit Alledem nur schnel-
ler ausrcife für die Zeit des Gerichts, wo ihn die beiden Erz-
engel von Salzburg hinabwerfcn in den Pfuhl, der da mit
Feuer und Schwefel brennet. —
Auch die Lassalleaner werden diesmal einige ihrer Wort-
führer im Reichstag sitzen haben. Dagegen ist an sich Nichts
 
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