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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 81 - No. 84 (6. Dezember 1866 - 27. Dezember 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0101
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Herausgegekeu im Auftrage des Vereins-Ausschusses.



Heidelberg, den 6. Dezember.

Inhalt:
Wochenbericht. — vr. Friedrich Lang. — Aus Preußen. — Die Mission
des Nationalvereins. — Aus Thüringen. — Aus Franken. — Aechte und
germanisirtc Deutsche. — Luxemburg und die Luxemburger. — Literatur.
— Zeitungsschau. — Mittheilungen aus dem Nalionalvercin.

Wochenbericht.
Heidelberg, 4. Dez.
* So kann es nicht weiter gehen — das' ist der Eindruck,
welchen das jetzige Thun und Lassender preußischen Politik auf
jeden urtheilsfähigcn Beobachter hervorbringt. Noch einige
Schritte in der nämlichen Richtung, und man wird abermals
an einem Punkt ohne Ausgang angelangt sein, von welchem
man sich wieder nur durch einen Streich der Verzweiflung
neue Bahn brechen kann. Solche Streiche Pflegen aber nicht
zwei Mal hinter einander zu gelingen, am wenigsten unter
doppelt und dreifach erschwerten Umstanden, wie sie jetzt, im
Vergleich mit der Lage vor dem Kriege, vorhanden sind.
Die Regierung hatte dem Abgeordnetenbause Versöhnung
angebotcn, und ein bereitwilliges Entgegenkommen gefunden.
Man durfte erwarten, daß von beiden Seiten das Nötbigste
geschehen werde, um, in Ermangelung eines wirklichen Ein-
verständnisses, auf das freilich ein für alle Ma! verzichtet
werden mußte, wenigstens einstweilen leidlich mit einander
auszukommen. Ein bescheidenes Maß von Zugeständnissen der
Regierung an den Liberalismus wurde ohne Zweifel hingc-
reicht haben, um sich mit dem Abgeordnetenhause auf einen
für beide Theile erträglichen Fuß zu setzen. Lag cs doch,
ganz abgesehen von den großen Interessen des Staats, welche
die Einstellung des langen Haders verlangten, im eigensten
Interesse der Fortschrittspartei selbst, einen Kampf fallen zu
lassen, den sie voni ersten Tage bis zum letzten unglücklich ge-
führt hatte, ihn fallen zu lassen, sobald es auf annehmbare
Bedingungen und insbesondere ohne Unehrc geschehen konnte. —
Die Cabinetspolitik aber verschmähte es, dem geschlagenen Gegner
die Brücke zu bauen. Die Versöhnung wurde von ihr Linter-
drein als blinde Unterwerfung desselben gedeutet und von
einer Veränderung des bisherigen Regierungssystems, oder auch
nur von einer schonenden Handhabung desselben, war keine
Rede. Ja, man legte cs wohl gar drauf an, dem Lande und
der Welt zn zeigen, daß der Charakter des preußischen Regi-
ments über die durch den Fricdenöschluß hcrbeigeführten
Schwierigkeiten eben so erhaben sei, wie über die Gefahren
des Krieges. Nach wie vor arbeitete die Reaktionömaschine
mit voller Dampfkraft, nach wie vor wurde gemaßregelt, wer
der Opposition gegen das bisherige Regiment schuldig oder
auck nur verdächtig war, wurde die Justiz in Bewegung ge-
setzt, gegen die parlamentarische Redefreiheit und gegen
angebliiche oder wirkliche Gesetzesübertretungen, welche wenig-
stens nachträglich durch die Amnestie straffrei gemacht waren.
Die Rückwirkung dieses Verfahrens auf die öffentliche
Stimmung, innerhalb wie außerhalb Preußens, und insbeson-
dere auf die Haltung des Abgeordnetenhauses ist dann gewesen

1866.

wie man, ohne blind zu sein, voraussehen mußte. Die Fort-
schrittspartei ist zur Erneuerung der Feindseligkeiten geradezu
gezwungen worden und daß es ihr an scharfen Waffen nicht
fehlt, haben die Minister des Innern und der Justiz auf
ihre eigene Kosten hinlänglich erfahren. Aber, ruft man der
Fortschrittspartei höhnend zu, je heftiger ihr die Minister an-
greift, desto fester fetzt ihr selbst sie im Sattel. Das ist ohne
Zweifel vollkommen richng. Die Feindseligkeit der liberalen
Partei ist heut zu Tage das beste Zcugniß, welches ein preu-
ßischer Staatsmann bcibringen kann, und je unpopulärer ein
Minister, desto sicherer ist er seines Postens. Solcher Unnatur
gegenüber ist es schwer, den Glauben an einen baldigen Sieg
der öffentlichen Vernunft festzuhalten. Das Unheil aber, wel-
ches der Aufschub im Gefolge hat, läßt sich schon heute mit
Händen greifen.
Daß der miltärischen Eroberung die moralische wenigstens
hinterdrein kommen sollte, hat man in Berlin mit Worten
vielfach zugestanden; in diesem Sinne aber zu handeln, dazu
reicht die Willenskraft oder auch die Selbstbeherrschung der Macht-
haber nicht ans. Die einverleidten Läuter gehören Preußen
heute mit Herz und Kopf weniger an, als am Tage nach der
Annexion. Nirgends ist auch nur das Geringste geschehen,
um den neuen Staatsangehörigen die Vorrhcile des vorgegan-
gencn Wechsels fühlbar zu machen, während umgekehrt die
ungewohnten Lasten, welche derselbe mit sich bringt, ihren
Druck alle Tage empfindlicher ausüben. So namentlich
die allgemeine Wehrpflicht, die natürlicher Weise von
der durch die einzelnen Landesgesetzgebungen bisher bevorzugten
Einwohnerschaft so wenig, wie von den übrigen Betheiligtcn, mit
Freuden übernommen wird, so sehr auch das gebildete Urtheil
allenthalben von den Vorzügen dieser Einrichtung überzeugt
sein mag. Zusehends sammelt sich in den neuen Provinzen
ein Vorrath von Groll über die Abschaffung des Alten und
von Unzufriedenheit mit dem Neuen au, der bei jeder Gelegen-
heit zum Ausbruch kommt. Heute sind es freilich nur kleine
Neckereien, in denen man sich Luft macht, Dinge, welche höch-
stens die Polizey in Bewegung setzen; morgen aber können
diese Erscheinungen eine bedenkliche Gestalt annehmen. So
zum Beispiel bei den Wahlen zum Norddeutschen Parlament.
Wie, wenn die Abgeordneten in Hannover, Hessen u. s. w.
dort als eine geschlossene Antianncxionspartei aufträten? In
welchem Lichte würde in einem solchen, für einzelne Laudes-
theile wenigstens sehr leicht möglichen Falle, die Annexion den
Augen der Welt sich darstcllen! Und wie würde die dyna-
stische Jntrigue und die Mißgunst der Diplomatie einen solchen
Fall ansznbeuten wissen! —
Ferner: Binnen acht Monaten sollen die neuen Provinzen
unter das preußische Verfassungsgesetz treten und den preußi-
schen Landtag beschicken. Ist nun aber nicht schon heute ein-
leuchtend, daß aus jenen Provinzen, wenn die Dinge in ihrem
bisherigen Gange bleiben, auch nicht ein einziger Abgeordneter
in Berlin erscheinen wird, der nicht seinen Platz auf den
Bänken der entschiedensten Opposition nähme? Keine Kammer-
auflösung und keine Wahlbeeinflnssung wird an diesem Ver-
hältnisse das Mindeste ändern. Mag die Regierung durch
 
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