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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 76 - No. 80 (1. November 1866 - 29. November 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0069
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des

Herausgegeben im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 8. November.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen.-Don Quirotc auf dem Schweriner
Landtag II — Aus Hannover. — Von der sächsischen Grenze. — Ans
Baden. — Politische Literatur. — Zeitungsschau. — Mtttheilungen aus
dem Nationalvercin.
Wochenbericht.
Heidelberg, 6. Nov.
* Nach dem Sturmschritte, welchen die Ereignisse wäh-
rend der Sommermonate eingebalten, kommt uns der jetzige
langsamere Gang der Dinge fast wie ein Stillstand vor.
Durch rasche Verwöhnung ist uns eine ununterbrochene Folge
mächtiger Eindrücke zu einer Art von Bedürfntß geworden,
dessen Befriedigung der öffentliche Geist, unbewußt und un-
willkürlich, selbst auf Kosten der Möglichkeit verlangt. Daß
Rom nicht an einem Tag gebaut werden konnte, ist uns ein-
leuchtend, wenn aber das neue Deutschland, oder wenigstens
der Norddeutsche Bundesstaat nicht binnen Sonnenwende und
Ncujabr fertig wird, so murrt unsre Ungeduld. Die Selbst-
anklage soll uns indessen nicht verhindern, die äußerste Be-
schleunigung der Ungeheuern Arbeit als wesentliche Bedingung
des Gelingens mit allem Nachdruck zu betreiben, den das
öffentliche Wort der nationalen Entwickelung zu geben im
Stande ist. Kein Zweifel, daß Gefahr auf dem Verzüge
steht. Die uns gegebene Frist des ungestörten HandanlcgenS
wird aller Wahrscheinlichkeit nach sehr kurz bemessen sein.
Lassen wir uns durch die unausbleibliche Verständigung zwi-
schen Oesterreich und Frankreich zuvorkommen, so wird damit,
von allem Andern zu schweigen, Süddeutschland auf's Spiel
gesetzt, wo der Vcrrath schon jetzt die freche Stirn offen zur
Sckmn trägt. Ohne Scham wird bereits in Wort und Schrift
der Beistand — wenn nicht des bonapartistischen, so doch eines
demnächst wieder revolurionärcn Frankreich in Anspruch ge-
nommen, wird für den Fall eines Krieges zwischen Preußen
und Frankreich die einstweilige Neutralität Süddeutschlands
wie eine selbstverständliche Sache hingestellt, wird das Ein-
gehen auf eine preußische Bundesgcnossenschaft wenigstens von
der Bewilligung irgend eines hohen, wenn auch ungenannten
Kaufpreises abhängig gemacht. Wie sich die Höfe von Mün-
chen und Stuttgart zu diesen und ähnlichen Zukunftsfragen
verhalten, läßt sich bei ihrer sorgfältig beobachteten Zurück-
haltung höchstens erratbcn. Wenn man dagegen in Karls-
ruhe bekanntermaßen entschieden national gesinnr ist, so darf
von Darmstadt mit großer Zuversicht das Gegentheil gesagt
werden.
Es ist in der Ordnung, daß die preußische Regierung
ihre nächste und eifrigste Sorge der militärischen Seite
der Neugestaltung Deutschlands zuwendet. Mit den Waffen
in der Hand ist der Boden dazu gewonnen worden und mit
den Waffen in der Hand wird er demnächst behauptet werden
müssen. Die entsprechende politische Aufgabe ist aber
darum nicht minder die wichtigere, denn die gesunde Natur
des staatlichen Gemeinwesens bleibt immer die eigentliche Quelle
der nachhaltigen militärischen Kraft. Daß dieses Wechselver-
hältniß in Berlin zu einer gewissen Anerkennung gekommen,

1866.

geht auS mancherlei Anzeichen deutlich hervor; ob man im
preußischen Kabinette aber von der Erkenntnis; bereits zum
Entschlüsse gelangt sei, bleibt noch sehr zweifelhaft. Für die
nationalen Erfordernisse der Lage vollends fehlt in Berlin
augenscheinlich das volle Verständnis; und m gewissem Sinn
sogar der gute Wille. Man glaubt genug zu thun, wenn man den
großen Interessen Deutschlands gerecht wird, und setzt sich über die
Gcmüthsstimmungcn und Gcfühlsweisen der Nation leichten
Sinnes, ja vielleicht sogar mit einer geflissentlichen Schonungs-
losigkeit hinweg. Als ob es bloß darauf ankämc den Kopf
und nicht auch das Herz der Nation zu gewinnen, und als
ob nicht die Erfahrung der Jahrhunderte bis zum Ueberfluß
bezeugte, daß das deutsche Volk seine Empfindungen höher
hält, als seinen Nutzen!
Welche Bedenken man indessen auch gegen die Versah-
rungswcisc und gegen die Formen der deutschen Verfassungs-
politik der preußischen Regierung haben möge, so viel steht fest,
daß das Werk der staatlichen Einigung, zunächst Norddeutsch-
iands, von jetzt an mit dem vollen Eifer und Ernst einer
Leb lisaufgabe durch die preußische Cabinetspolitik betrieben
werden wird. Angenommen, daß das wahre Interesse der
preußischen Machthaber an dieser Arbeit lediglich auf einen
militärischen Diachtzuwachs für Preußen gerichtet wäre, so
bliebe es doch immer eine zwingende Nolhwcndigkeit, starke
politische Bürgschaften für diesen Machtzuwachs ausfindig zu
machen, das heißt, die Staaten, welche denselben liefern sollen,
durch feste Verfassungsbande mit Preußen zu vereinigen. Ein
„Schcinparlamcnt" würde für einen solchen Zweck völlig un-
brauchbar sein. Eine mit wirklicher Auktorität und Würde
ausaestattete Volksvertretung ist der preußischen Cabinetspolitik
selbst vielmehr ganz unentbehrlich, um der neuen Ordnung der
Dinge inneren Halt und achtunggebietende Gestalt nach außen
hin zu geben. Allerdings versieht es sich für verständige Leute
von selbst, daß die Constituirung des Bundesstaats dem künf-
tigen Parlamente nicht etwa so in die Hände gegeben werden
wird und kann, wie die Frankfurter Nationalversammlung die Con-
stituirung Deutschlands in Händen zu haben glaubte oder vorgab.
Die Rolle des demnächst einzuberufenoeu Parlaments ist eine
bescheidenere und dennoch größere. Das Parlament wird sich
dies Mal von vorn herein deutlich bewußt sein, daß es die
neue Verfassung nicht diktircn kann, sondern mit der preu-
ßischen Staatsgewalt vereinbaren muß, cs wird dafür aber auf
der andern Seite die Bürgschaft haben, daß das Ergebniß der
getroffenen Vereinbarung kein leerer Buchstabe bleiben wird;
was das Parlament in Uebcreinstimmung mit Preußen be-
schließt, wird nicht bloß den Namen, sondern auch die Kraft
eines deutschen Verfassungsgesetzcs haben. Es gehört die ganze
Urtheilslosigkeit unseres Radikalismus dazu, das demnächstige
Parlament dadurch in Verruf bringen zu wollen, daß man
ihm die bloß „berathende Stimme" vorwirft, während doch
dessen anerkannte Berechtigung zur Unterhandlung von Macht
zu Macht unendlich - mehr werth ist, als der Frankfurter
Souveränetätsrausch von 1848, den man von Seiten der
Gewalthaber stillschweigend und hohnlächelns gewähren ließ,
bis seine luftigen Träume an der massiven Wirklichkeit klag-
 
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