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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 85 - No. 89 (3. Januar 1867 - 31. Januar 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0149
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Herausgegeken im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 17. Januar.

Inhalt:
Wochenbericht. — Der Nattonalverctn vor und nach dem Kriege. III.
Preußischer Landtagsbricf. — Der Ministcrwcchsel in Baiern. — Zei-
tungöschau. — Mitthcilungen aus dem Nationalvcrein.

Wochenbericht.
Heidelberg, 15. Januar.
*Mit der Annäherung des Tages der Parlamentswahlcn
belebt sich die Wahlbewegung, aber auch heute noch fehlt cs
derselben fast allenthalben an Schwung und Kraft. Am mei-
sten in dem alten Preußen selbst, so sehr, daß sogar die mi-
nisterielle Presse an der Lauheit und Lahmheit des öffentlichen
Geistes Acrgcrniß nimmt und vorwurfsvoll auf die größere
Rührigkeit in den einverleibten Provinzen und den Kleinstaaten
hinweist. Die Quelle des Ucbels liegt so offen da, daß es
kaum nöthig ist, mit dem Finger darauf binzudeuten: es ist
die Schwäche im Glauben an den Erfolg. Verstimmung,
Klcinmüthigkeit, Zweifel aller Art drücken auf den Volksgeist
und auf dessen Thcilnahmc an den offentUchen Dingen. Der
Charakter der Berliner Cabinetspolitik überhaupt, wie so
Manches, was über den Inhalt des Bismarck'scheu Bundcs-
versassungsentwurfS verlautet, bringt die Vorstellung hervor,
daß es den preußischen Machthabern hauptsächlich darauf an-
komme, in dem Parlamente ein neues Werkzeug der Herrschaft
im bisherigen Style zu gewinnen, ein Vorhaben, dessen Ge-
lingen man nach den gemachten Erfahrungen für nicht un-
wahrscheinlich hält und dessen Vereitelung im glücklichen Falle
wenigstens keine Aussichten bietet, für die man sich erwär-
men mag.
So folgerichtig der hier angedcutctc Gedankengang bei
oberflächlicher Betrachtung zu sein scheint, so läuft er doch
auf einen Trugschluß hinaus, der nur in der Mangelhaftig-
keit der bisherigen Schule unseres politischen Lebens eine
Entschuldigung findet. Die preußische Regierung, indem sie
mit Oesterreich gebrochen, den deutschen Bund gesprengt und
eine Anzahl deutscher Fürsten entthront, hat ein für alle Mal
den überlieferten Boden verlassen, auf welchem allein sie noch
einen Rückhalt hatte in ihrem Kampfe gegen den Geist der
Zeit und der Nation. Mit dem Kriege des vorigen Jahres
ist Preußen in das Lager der — im besten Sinne des Worts —
revolutionären Mächte des Jahrhunderts übergegangen, hat
es gar nicht mehr die Wahl, die Bundesgenossenschaft dersel-
ben anzunehmen oder abzulehneu. Die Bedingungen dabei
zu stellen ist jetzt unsere Sache, die Sache der Partei der
liberalen und nationalen Bewegung, und kein Pakt, der sich
innerhalb der Grenzen der politischen Vernunft hält, kann
uns von der preußischen Staatsgewalt auf die Dauer ver-
weigert werden.
Wenn sich dieses neue Verhältniß noch nicht in handgreif-
lichen Thatsachen darstellt, so ist das Geheimnis; desselben doch
längst durch Hrn. v. Bismarck selbst vcrrathen. Daß der
preußische Minister zum Beispiel den Norddeutschen Reichstag
nach allgemeinem Wahlrecht cinberuft, geschieht wahr-
lich nicht aus Liebhaberei für parlamentarische Einrichtungen

1867.

und demokratische Staatsformen, sondern unzweifelhaft au
das Gebot einer politischen Nolhwcndigkcit. Wenn Hr. v. Bis-
marck durch Waffengewalt die Bundesverfassung gestürzt,
Könige und Fürsten vertrieben, die preußische Kränze bis an
den Main vorgeschoben, und ganz Norddeutschland von Preu-
ßen abhängig gemacht, so ist er sich doch bewußt, daß man
im Europa des neunzehnten Jahrhunderts mit Blut und Eisen
allein keine Staaten und keine Verfassungen aufbaut, daß
große politische Veränderungen in unserer Zeit, um Bestand
zu haben, einer bessern Rechtsunterlage bedürfen, als das
Mcht der Eroberung und der Wortlaut erzwungener Verträge
ihnen geben kann. Vor Allem muß es der preußischen Politik
darauf ankommcn, das Gewissen Deutschlands mit der jüngsten
Vergangenheit vollends zu versöhnen, das bürgerliche Bewußt-
sein mit den heutigen Verhältnissen in Einklang zu bringen,
dem erschütterten Glauben an das öffentliche Recht einen neuen
Inhalt zu geben. Daß man in Berlin diese Aufgabe begreift,
wenn man dieselbe auch leider nicht immer mit geschickter und glück-
licher Hand anfaßt, wird hinlänglich bezeugt durch die seit dem
Ausbruch des Krieges osr wiederholte feierliche Anrufung der
großen Interessen der gesummten deutschen Nation, die noch
unlängst für die preußische Staatskunst kaum zu existiren
schienen, von deren Wortführern kaum jemals einer ernstlichen
Erwähnung gewürdigt wurden. Mag das politische Altpreu-
ßcnthum sich gelegentlich noch so trotzig in die Brust werfen,
und auf seine Vergangenheit steifen, sein Glaube an die eigne
Zukunft schwindet zusehends dahin, es fühlt, daß die wichtig-
sten Hebel der Politik einer um den andern seinen Händen
entgleiten werden, und wie die legitimistische und conservative
Rechtgläubigkeit der Männer am preußischen Staatsruder unter
dem Druck der Umstände über Nacht in ihr Gegcntbcil um-
geschlagen ist, so drängt die Macht der jetzigen Verhältnisse
des Staats auch das bisherige stockprcußische Regiment in die
Bahnen der Nationalpolitik herüber.
Dem Druck der inncrn Umstände kommen dabei die An-
triebe von außen her zu Hülfe: die Mißgunst und Eifersucht
der europäischen Mächte und die offene oder heimliche Oppo-
sition der ganz oder halb mediatisirtcn deutschen Fürsten. Die
aus dieser doppelten Gegnerschaft erwachsenden Schwierigkeiten
sind zu ernsthafter Artz als daß man sich dieselben mit Hülfe
eines Siegesrauschs ein für alle Mal aus dem Sinn schlagen
könnte. Die militärischen Errungenschaften des vorigen Jahrs
verlangen auch nach außen hin eine Weihe und Bürgschaft,
durch welche die nackte Thatsache in ein unantastbares Recht
verwandelt wird. Zur schließlichen Bestätigung der Ergebnisse
von Krieg und Frieden, zu ihrer endgültigen Anerkennung als
Bcstandtheil der europäischen Verfassung kann die förmliche
Zustimmung der Nation oder ihrer Vertretung nicht entbehrt
werden. So bringt der Geist der Zeit, ja das Gewohnheits-
recht des Jahrhunderts cs mit sich, das in diesem Falle in
den Nebenbuhlern und Widersachern Preußens seine gewich-
tigen Gewährsmänner hat.
Um Alles in Ein Wort zusammenzufassen: Preußen und
Deutschland befinden sich in einem Provisorium, das seinen
Abschluß nur von dem Parlamente zu erwarten hat, und bei
 
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