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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 102 - No. 106 (2. Mai 1867 - 30. Mai 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0297
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des



Herausgegeken im Auftrage des Vereins-Ausschusses.



Heidelberg, den 30. Mai.

Inhalt:
Wochenbericht. — Der Neuliberalismus. — Die hannoverschen Abgeord-
neten im Reichstage. — Aus Preußen. — Baiern und der norddeutsche
Bund. — Gründung eines internationalen Fonds zum Ersah der Erstn-
dungspatcnte. — Französische Zeugnisse gegen den Krieg. — Zeitungsschau.

Wochenbericht.
Heidelberg, 28. Mai.
* In rascher Reihenfolge erledigen die norddeutschen Land-
tage die Bundcsvcrfassungssache durch summarische Verhand-
lung und einmüthige Zustimmung. Freilich nicht, weil keine
Bedenken obwalteten und keine Einwendungen zu machen wären,
sondern, weil der Widerspruch rein Zcitverschwendung sein
würde. Gleichwohl legen die Landtage ohne Ausnahme durch
ihr Verhalten Zcugniß dahin ab, daß die Mängel der Bun-
desverfassung von den Vorthcilcn, welche sic gewährt, weit
überwogen werden.
Ein wesentlich schlechtes Staatsgrundgesctz, ein solches, von
welchem mehr schlimme a S gute Wirkungen vo.auszusehcn
wären, würde in jedem deutschen Landtage eine starke Op-
position finden und ohne Zweifel von den meisten derselben
entschieden zurückgcwiesen werden, gleichviel, ob mit oder ohne
Erfolg. Was, in der Thai, konnte die Mitglieder unserer
Kammern in diesem Falle veranlassen, „Ja" zu sagen, wenn
sie „Nein" dächten und wollten! Weder in den Landtagen
selbst, noch in der Presse ist bis jetzt ein solcher Anlaß zur
Gewissenlosigkeit namhaft gemacht, oder angedeutet worden,
— nirgends, außer in Hamburg, wo ein Mitglied der Bür-
gerschaft in aller Unschuld die Erklärung abgab, daß seine
Partei für die Bundesverfassung nur stimme, um sich nicht —
lächerlich zu machen. Der beredteste Advokat der Bundesverfassung
hätte keine überzeugendere Beweisführung für deren Annahme
beibringen können, als sie in diesem naiven Wort eines
Widersachers enthalten ist.
— Wenn, wie cs heißt, die Vorschläge des Fürsten von
Waldeck, bezüglich der Einverleibung des von ihm regierten Länd-
chens, in Berlin abgclehnt worden sind, so mag die preußische Re-
gierung ihre guten Gründe dazu, besonders insofern, gehabt
haben, als der Werth eines so geringfügigen Gebiets-Zuwachses
vielleicht nicht in richtigem Verhältnis^ stand zu der Aufre-
gung, welche dieses Beispiel in der fürstlichen Welt Deutsch-
lands hervorgcbracht Huben würde. Gleichwohl können wir
nicht umhin, das Fehlschlägen eines Planes zu bedauern,
dessen Ausführung Deutschland der Einheit wieder um einen
kleinen Sckritt näher gebracht hätte. Daß das Klcinfürsten-
thm'n auf die Dauer nicht sortbestehen kann, ist die allgemeine
Ueberzengung; nur, daß die demselben noch gegebene Frist,
nach Maßgabe verschiedener Standpunkte und Interessen, ver-
schieden bemessen wird. Bei ungestörter Entwickelung der
Verfassung des norddeutschen Bundes kann den Kleinstaaten
jeden Falls schließlich nur noch der Charakter von Verwal-
tungsbezirken bleiben, in welchen es gar keinen Raum mehr
gibt für eine lokale Souvcränetät, und in denen sogar die
Fiktion der Souvcränetät an dem Mangel aller Competcnz

1867.

zu Schanden werden muß. Als ein überflüssiges Mittelglied
zwischen die Bundeögewalt und das Volk gestellt, dort als
ein Hinderntß, hier als eine Last angesehen, wird das Lokal-
fürstenthum voraussichtlicher Weise bald seiner eigenen Rolle
überdrüssig werden. Etwaigem Mangel an Verständniß oder
gutem Willen aber steht die wirksamste Abhülfe vom Finanz-
punkte aus bevor. Die ständischen Anträge auf Verminderung
der Civillisten, mit denen man in Darmstadt und Weimar
den Anfang gemacht hat, werden sich ohne Zweifel verviel-
fältigen, sich durch anfängliche Abweisung schwerlich entmu-
thigen lassen, und durch etwaige Gewährung eben so wenig
ein für alle Mal erledigt werden. Einen gewissen Höhepunkt
scheint die finanzielle und politische Krisis des Kleinstaaten-
thums erreichen zu müssen, sobald cs sich um Beschaffung der
Matrikularbeiträge, zur Ausfüllung des Deficits handelt,
welches die gemeinschaftlichen Einnahmen des Bundes in der
Kasse desselben lassen. Wie diese Beiträge, nach Abgang so
mancher bisherigen Einkünfte der Einzclstaatcn, die jetzt der
Bundeskasse überwiesen sind, aufgebracht werden sollen, ist
eine schwer zu beanlwortenoe Frage, in deren Hintergründe,
wenigstens für eine große Anzahl dieser Staaten, der Schatten
des politischen Bankcrotts schon heute deutlich wahrzunchmen ist.
— Der König von Hannover hat das berüchtigte Wort seines
weiland Ministers Borries bereits wahr gemacht; er hat Alles
gethan, was an ihm war, um auf den Trümmern Deutschlands,
als Bundesgenosse Frankreichs, wieder auf den Welfcnthron zu
gelangen. "Damit ist denn freilich nichts Anderes geschehen,
als was Jedermann vorausgesehen, selbst jener ehrliche Pfar-
rer, dessen Mahnungsbrief an den König Georg unlängst
durch die Zeitungen lief, und aus dessen Mahnungen und Beschwö-
rungen die Ueberzengung, daß sie vergeblich sein würden,
deutlich genug herausklang. Eben so zweifelt kein Mensch,
daß jeder andere deutsche Fürst — mit einer oder zwei ehrcn-
werthen Ausnahmen — in der Lage des Königs von Han-
nover in der nämlichen Weise zu Werke gehen würde, wie
denn ja auch im vorigen Jahr die Könige von Baiern und
Würtemberg, als ihnen das Feuer auf die Nägel brannte,
ohne alle Scheu den Kaiser Napoleon anriefen, dessen mili-
tärischer Schutz ihnen, aller Wahrscheinlichkeit zufolge, noch
lieber gewesen wäre, als seine diplomatische Fürsprache. Wen»
diese Erfahrungen aber auch lediglich neue Bestätigungen einer
altbekannten Wahrheit sind, so liegt darin doch eine starke
Aufforderung, dem Uebel, aus welchem sie stammen und von
welchen: sie zeugen, endlich die Axt an die Wurzel zu legen.
Leider, müssen wir hinzufügen, ist wenig Grund zu der Hoff-
nung vorhanden, daß diefe Aufforderung, besonders da, wo es
am meisten Noth thäte, verstanden werden wird. In meh-
reren der noch vorhandenen Mittclstaaten wenigstens klammert
sich der partikularistische Volksgeist heutiges Tages, fester als
seit Menschengcdenken, an das Dynastenthum, wie an ein
Rettungsbrett im Schiffbruch. Uebrigcns muß man ehrlicher
Weise gestehen, daß die preußische Regierung fort und fort
redlich das Ihrige thut, um dem Widerstande der historischen
Krähwinkelei gegen die gebieterischste Forderung des National-
wohls Vorwände und Stützpunkte zu liefern. —
 
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