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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 102 - No. 106 (2. Mai 1867 - 30. Mai 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0281
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Herausgegeben im Auftrage des Vereins-Ausschusses.




Heidelberg, den 16. Mai.

1867.

Inhalt:
-Wochenbericht. — Schlendrian im Marincwcseu. — Fauler Friede. —
Preußischer Landtagsbricf. — Tic Hannovcr'schcn Abgeordneten im Reichs-
tage. — Aus Wiesbaden. — Ein uliramontancr Empfehlungsbrief für
Preußen.

Wochenbericht.
Heidelberg, 14. Mai.
*Dic Friedensbotschaft aus London wird in Deutschland
mit sehr gemischten Empfindungen ausgenommen. Daß unS
ein furchtbarer Krieg erspart wird, ist freilich dem ganzen
Volke willkommen, den Preis aber, nm welchen wir uns da-
von loskaufcn, finden Viele zu hoch. Sagen wir es gerade-
heraus — die Räumung der Gränzfestung, in welcher
Preußen fünfzig Jahre lang Wacht gehalten, wird als
eine Demüthigung empfunden, die sich nicbt verschmerzen
taßt, selbst wenn man sie, im Vergleich mit dem Kri-.ae,
als das geringere Ucbel ansieht. Vor vier Wochen, in
den letzter? Tagen der Rcichstagssitzung, galt ein solcher
Ausgleich des-luxemburgischen Handels in Berlin selbst, an
entscheidender Stelle, für unannehmbar. Erst seit der Rück-
kehr des Hrn. v. Bismarck aus Pommern hat man allmälig
in die diplomatische Bahn cingelcnkt, an deren Endpunkt die
Beschlüsse der Londoner Konferenz standen. Preußen ist da-
mit einer großen Gefahr aus dem Wege gegangen, ob es
dabei aber" nicht dennoch mehr cingcbüßt als erspart hat, bleibt
eine Streitfrage. Vergebens beruft man sich darauf, daß
auch Frankreich durch seinen Verzicht ans die Einverleibung
von Luxemburg dem Frieden ein Opfer gebracht. Das Tui-
lcricncabinct hat einen Anspruch fallen lassen, während
v Preußen einen wohlerworbenen B.esitz anfgcgcbcn. Aufgc-
» geben auf eigene Kosten und aus Kossen Deutschlands, das
sich solcher Verluste feit dem vorigen Jahr ein für alle Mal
enthoben glauben durfte!
Preußen, cs ist wahr, hatte mancherlei dringende Gründe,
die letzte entscheidende Machtprobe, die es früher oder später
auf jeden Fall abzuletzen haben wird, aufzuschiebcn. Die
Unfertigkeit der politischen Zustände, welche aus den Ereig-
nissen des vorigen Jahres hervorgcgangen sind und die mili-
tärische Schwäche der süddeutschen" Staaten mochten bei den
Entschließungen der Berliner Regierung besonders schwer ins
Gewicht fallen. Dazu kam demnächst wohl die Rücksicht auf
die fortdauernde Wehrlosigkeit Preußens zur See*) und
an den eignen Küsten, zu deren Schutz bis jetzt so viel
wie nichts geschehen zu sein scheint. Auf der andern Seite
dagegen hatte Preußen auf militärischem Gebiete manchen
Vorsprung vor Frankreich, welcher im Laufe der nächsten Zeit

*) Vergleiche den unten folgenden Artikel: Schlendrian im Flotten-
wesen, welcher die unverantwortlichen Versäumnisse, deren sich die Marine-
verwaltung in den letzten drei Jahren von Neuem schuldig gemacht, eben
so treffend kennzeichnet, wie die Hauptnrsache derselben, nämlich die fort-
dauernde Vereinigung des Marincmtnistertums mit dem an sich schon über-
bürdeten KricgSministerium.

unwiederbringlich verloren gehen wird. Wie weit die Vor-
thcile und Nachthcilc der augenblicklichen Lage sich ausglichen
und auf welcher Seite der Uebcrschuß war, wird sich selbst
von den besten Sachkennern kaum mit einiger Sicherheit er-
mitteln lassen; gewiß aber ist, daß im preußischen Kriegsmi-
nistcrium und Gcneralstabe das Bewußtsein der militärischen
Ueberlegenheit Preußens über Frankreich verwaltete. Wenn
unter solchen Umständen die einstweilige Fortdauer des Frie-
dens gleichwohl durch die Prcisgcbung von Luxemburg er-
kauft wurde, so möge sich und Deutschland dazu Glück wün-
schen, wer kann; uns fehlt der Muth dazu.
Daß der öffentliche Glaube an die Willenskraft der preu-
ßischen Regierung und an die militärische Macht des preußi-
schen Staats durch den Ausgang der Luxemburger Streitsache
einen schweren Stoß erleiden mußte, verstand sich von selbst.
DaS berühmte Wort des Herrn von Manteuffel: „der Starke
weicht einen Schritt zurück" — hat eine neue Bestätigung er-
halten, die sich an ihrem Urheber nm so mehr rächen wird,
je weniger man gewohnt war, ihn mit dem Manne der Ol-
mützer Bußfahrt auf eine Linie zu stellen. Die härteste Ver-
dammung freilich hat Herr von Bismarck von Denjenigen zu
erwarten, die am wenigsten das Recht haben, einen Stein
gegen ihn aufzuhebcn, von den Stnttgartcr, Münchener u. s. w.
Herren im Priesterroek nnd mit der Freiheitsmütze, welche
seit Monaten nach der Neutralität Süddcutschlands im Kriege
gegen Frankreich wegen Luxemburgs geschrien. Die Scheu,
mit diesem lügnerischen Gesindel zusammengeworfcn zu werden,
mag vielleicht manchem ehrlichen Manne den Mund schließen,
aber die Stimmen des Beifalls werden dadurch weder zahl-
reicher noch aufrichtiger.
Das Endurthcil über den einstweiligen Ausgang des lu-
xemburgischen Handels indessen muß der Zukunft anheimge-
stellt bleiben. Ist der Friede dadurch, wider alles Erwarten,
wirklich auf die Dauer befestigt und gelingt cs zugleich, dem
Zollvcrcinsverhältniß, in welchem Luxemburg zu Deutschland
bleibt, seine volle Ausbildung zu geben, so kann dadurch mög-
licher Weise die nachträgliche Freisprechung der heutigen Po-
litik des Verzichts begründet werden. Bis dahin aber ist daran
fcstzuhalten, daß diese Politik eine Versündigung an Deutsch-
land gewesen, welche gesühnt sein will und ein Fehler in der
prcußischen Rechnung, der wieder gut gemacht werden muß.
Je ungewisser die Dauer der Frist, welche Deutschland
zur ungestörten Vollendung seiner VcrfassungSreform gewonnen
hat, desto dringender die noch rückständige Arbeit. In Darm-
stadt und Baden verschließen sich wenigstens die Landtagsab-
geordneten dieser Erkenntniß nicht länger, während die Masse
der Bevölkerung in ganz Süddcutschland bis jetzt wenig Thcil-
nahme an der wichtigsten Aufgabe der Zeit au den Tag legt.
Es ist richtig, daß der norddeutsche Bund, seiner bisherigen
Geschichte und Gestaltung nach, unmöglich ein Gegenstand der
nationalen Begeisterung sein kann, aber nicht weniger richtig
ist cs, daß die Zukunft Deutschlands durch den norddeutschen
Bund hindurchgchcn muß, um die Bahnen zu finden, in denen
die nationale Begeisterung ihre Begleiterin sein wird. Die
unläugbaren Mängel und Härten der Bundesverfassung haben
 
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