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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 115 - No. 119 (1. August 1867 - 29. August 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0365
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tion 36 kr. oder 10</z Sgr.,
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Hemusgegeben im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 1. August.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Die Nationalsache und die Parthei-
pvlitik. — Theorie und Praxis des GemcindewesenS in Baiern. — Aus
Thüringen. — Das Abgeordnetenhaus des österreichischen Reichstags. —
Die Anzeigenstcucr. — Herr F. Drucker und der Nationalverein. — Zei-
tungsschau.
Wochenbericht.
Heidelberg, 30. Juli.
*Das Tuileriencabinet hat also wirklich sein Wort in
Sachen Nordschleswigs gesprochen — gleichviel ob es in einer
„Note" oder in einer „Depesche", ob es schriftlich oder münd-
lich geschehen. Ist die preußische Regierung gesonnen, dem
Art. 5 des Prager Friedens Folge zu geben, so hat sie einen
augenscheinlichen Fehler damit gemacht, daß sic der französi-
schen Mahnung, welche ihrem Entschlüsse den letzten Schein
der Freiheit nimmt, nicht zuvorgekommen. Beabsichtigt man
dagegen in Berlin, die in jenem Artikel übernommene Ver-
bindlichkeit rückgängig zu machen, so versteht es sich von selbst,
daß die französische Einmischung in das prcußisch-östrciclüsche
Vertragsverhältniß an der Schwelle zurückgewiesen werden
muß. Je mehr sich die Entscheidung von jetzt an in die Länge
zieht, desto weniger darf man erwarten, daß sie im Sinne
des deutschen Volkes ausfallen werde.
Kein Eingriff in die Verhältnisse der neuen preußischen
Provinzen hak die davon Betroffenen so tief verletzt und eine
chartere Beurtheilung erfahren, als die Abführung des kur-
hessischen Staatsschatzes nach Berlin. Man empfindet diese
Maßregel wie einen Raub, und nicht in Kurhcssen allein.
Alles, was zur Vertheidigung derselben gesagt werden kann,
ist nicht im Stande, den Eindruck zu schwächen, daß hier eine
unverantwortliche Gcwaltthat geübt sei. Daß dieselbe ein
.staatsrechtliches Gesicht hat, ändert nichts an der tiefen Rechts-
widrigkeit ihres Wesens. In ähnlicher Weise konnte sich Na-
poleon bei seinen Kunsträubereien in den eroberten Ländern
auf den Buchstaben des Völkerrechts berufen; gleichwohl hat
ihn wegen keiner seiner Misscthaten ein härterer und besser
verdienter Fluch getroffen. Und Napoleon plünderte doch nur
besiegte Feide! — Sei es, in des Teufels Namen, daß die
preußische Regierung das „Recht" hatte, den kurhessischen
Staatsschatz einzuzichcn: so lange man nicht beweist, daß sie
auch die gebieterische Pflicht dazu hatte, daß es ihr unbedingt
verboten war, zwei Monate länger damit zu warten, ver-
boten, beim preußischen Landtage die Ermächtigung zu ander-
weitiger Verfügung über das kurhcssische „Blutgeld" zu be-
antragen , so lange hat mau mit der Berufung auf jenes
„Recht" nichts gesagt, als eine unermeßliche Dummheit.
Die Geringschätzung der öffentlichen Meinung ist der
preußischen Politik zur stehenden Rege! und zur Gewohnheit
geworden, an welcher, allen warnenden Beispielen und den
schlimmsten eignen Erfahrungen zum Trotz, mit bornirtcm
Eigensinn festgchalten wird. Selbst die hundert Mal erlebte
Demüthigung, den vernünftigen Forderungen des Volksgcistcs
doch schließlich nachgeben zu müssen, vermag die Berliner
Staatsweisheit nicht zu dem Entschlüsse eines rechtzeitigen

1867.

Entgegenkommens zu bringen. Wollte man die öffentlichen
Ideen, Zwecke und Einrichtungen aufzählen, welche die preu-
ßische Regierung anfänglich mit Feuer und Schwert verfolgt,
und die sie hinterdrein doch sich anzueignen gezwungen war,
man würde — von der Turnerei bis zum deutschen Parla-
ment — ein ellenlanges Verzcichuiß zu machen haben.
Unberechenbar ist, was Preußen durch diese beharrlich
fcstgehaltene Methode, sicherst voudcrUebcrmachtderVerbältuisse
bei deu Haaren in den Fortschritt hineinschleppen zu lassen, versäumt
und verloren hat. Hält man sich indessen auch nur an den
gegenwärtigen Stand der Sache des preußischen Staats, so
gewahrt ein Jeder, der die Augen nickt absichtlich zumacht,
daß dieselbe hauptsächlich dadurch verpfuscht wird, daß man
der öffentlichen Meinung aus Grundsatz das Ohr verschließt.
Die Perstimmung und Perbitteruug in den neuen Provinzen,
welche von Haus aus freilich nicht ganz zu vermeiden war,
ist verdoppelt und verdreifacht dadurch, daß man dieselben gar
nicht zu Wort hat kommen lassen, so unbedenklich dies auch
gewesen wäre; wenn die Opposition in Altprcußen sich von
Neuem zu einer feindseligen Schärfe steigert, so liegt die
Schuld davon wesentlich in der Hartnäckigkeit, mit welcher
mau der öffentlichen Stimme jedes, auch das kleinste, Zuge-
ständniß in Bezug auf Männer und Maßregeln verweigert,
die sich doch nun und nimmermehr auf die Dauer halten
lassen; Daß die deutsche Nation insgesammt, kühl bis ans Herz
hinan, den Dingen, die da sind, zuschaut und den Dingen , die
da kommen sollen, entgcgcnsieht, was anders trägt die Schuld
daran, als der Ton und die Miene, womit das Bismarcksche
Regiment, nach wie vor, und aller gelegentlichen schönen Re-
den ungeachtet, den deutschen Volksgeist verleugnet und be-
leidigt.
Possen! —wendet mau ein. Solange die Nachtheile
der Nichtbeachtung der öffentlichen Meinung sich darauf be-
schränken, daß die öffentliche Meinung sich mit den ihr zu
Gebote stehenden Mitteln dafür rächt, so lange braucht die
preußische Regierung die Folgen ihrer Geringschätzung nicht
zu fürchten.
Als ob der gute oder üble Wille der eignen Angehörigen
für irgend einen Staat, und wäre er auf Prätorianer oder
Janitscharcn gestellt, gleichgültig sein könnte! Ganz abgesehen
indessen von den inncrn Wirkungen jenes Mißverhältnisses,
wird jedem aufmerksamen Beobachter der heutigen europäischen
Lage cisilcuchten, daß die Kriegsgefahr, welche über uns schwebt,
wesentlich mit veranlaßt wird durch die Spannung zwischen
dem preußischen Rcgierungssystem und dem Volksgeiste. Man
denke sich diese Spannung hinweg, man setze an die Stelle
derselben ein gesundes Wechselverhältniß zwischen der preu-
ßischen Staatsgewalt und der deutschen Nation, und frage sich
dann, ob cs Frankreich unter einer solchen Voraussetzung noch
gelüsten würde, Händel mit uns anzufangen. Diese Vor-
aussetzung aber wäre seit Jahr und Tag für die Machthaber-
in Berlin ohne große Opfer — der Hauptsache nach durch
das Opfer einiger Vorurtheilc — zu verwirklichen gewesen,
und auch heute noch ist es vielleicht nicht zu spät dazu.
— Die prahlerische Feier des Petrifcstes in Rom hat auf
 
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