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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 76 - No. 80 (1. November 1866 - 29. November 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0061
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MatisVÄt'--

HerLUSgegiHiM im Auftrage des Hereins - Ausschusses.


Heidelberg, den 1. November.

1866.

MW" Die Obcrpostamtsexpcdition in Frankfurt zeigt uns an, daß das Verbot des Wochenblatts des Rationalvereins
in den annectirtcn Ländern aufgehoben ist. Die Expedition.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Bundes- oder EinhcitSstaatSprogramm?
— Don Quirote auf dem Schweriner Landtag — Frankfurt. — Zeitungs-
schau. — Mittheilungen aus dem Nationalverein.

Wochenbericht.
Heidelberg, 30. Okt.
*Dic Bedingungen des preußisch-sächsischen Friedensvcr-
trags sind weniger ungünstig für den Norddeutschen Bundesstaat
ausgefallen, als man nach den letzten Gerüchten über den
Inhalt derselben befürchten mußte. Dank den vorläufigen
Zugeständnissen der sächsischen Regierung und der dem Par-
lamente vorbehaltcnen Mitwirkung bei der definitiven Feststel-
lung der Bundesverhältnisse, darf man dem weitern Verlaufe
der deutschen Vcrfafsungssache mit guter Hoffnung entgegen-
sehen. Ob freilich die Theilung der Souveränetät, wie die
Natur des Bundesstaats sie verlangt und wie sie in den bis-
herigen Verträgen Preußens mit seinen Bundesgenossen aus-
gesprochen ist, ob dieses System, das sich in der Schweiz und
in Nordamerika vortrefflich bewährt, auch innerhalb der we-
sentlich verschiedenen deutschen Staatszustände mit gutem Erfolge
anwendbar ist, das ist eine Frage, deren Beantwortung
der Zukunft Vorbehalten bleibt. Die jetzt im Werke be-
griffene Aufrichtung eines aus monarchischen Bestandthcilen
zusammengesetzten Bundesstaats muß als ein gewagter Versuch
angesehen werden, der seine Rechtfertigung einstweilen in dem
Zwange der Umstände findet. Bleibt uns aber, nach den dabei
zu machenden Erfahrungen, hintendrein nur die Wahl zwi-
schen der Rückkehr zum Staatenbund und dem Vorschrift zum
Einheitsstaate, so kann unser Entschluß natürlich keinen Au-
genblick zweifelhaft sein, und für diesen allerdings wahrschein-
lichem Fall ist es schon jetzt von Wichtigkeit, in der demnächst
aufznstcllcndcn neuen Bundesverfassung der weiteren Einheits-
bewegung alle Mittel und Wege von vorn herein offen zu
halten. In diesem Sinne läßt sich von dem sächsisch-preußi-
schen Friedensvertrage sagen, daß er der Zukunft wenigstens
nichts vergibt.
— Während die Berliner Politik die preußischen Erfolge
auf dem Schlachtfelde für ihre politischen und militärischen
Zwecke möglichst gründlich ausbeutet, ist sie sichtlich bestrebt,
in Haltung und Sprache, dem unterlegenen Thcil gegenüber,
die größte Schonung zu üben. Diesem Geiste der Mäßigung
entspricht in sehr erfreulicher Weise der Ton der preußischen
Presse und die preußische Volksstimmung. Die Selbstüberhe-
bung, welche man sonst dem Preußenthum, und nicht mit Un-
recht, zuschrieb, und die zum Beispiel in der wirklich anstößi-
gen Uebertreibung sich laut machte, mit welcher ihrer Zeit die
Erfolge des dänischen Krieges gefeiert wurden, ist seit den
Siegen in Böhmen verstummt. Mit dem großen und gerechten
Stolze auf die Thatcn des Heeres verbindet sich eine Beschei-
denheit, welche dieser Thaten würdig ist. Die preußische
Ruhmredigkeit ging ohne Zweifel hauptsächlich aus dem Be-
wußtsein hervor, daß die Ansprüche Preußens größer seien, als
seine Leistungen; die Kluft zwischen Wollen und Können sollte

durch pomphafte Redensarten überbrückt werden. Mit der ersten
großen Kraftanstrcngung und dem ersten großen Erfolge nun
ist ein augenscheinlicher Wechsel in der Verfassung des preu-
ßischen Volksgeistes vor sich gegangen. Der preußische Ehr-
geiz hat eine zu reelle Befriedigung gefunden, als daß er noch
der schmeichelnden Selbsttäuschungen bedürfte, in denen er
früher Ersatz für das suchte, was ihm fehlte. Preußen würde
sich heute schämen, mit seinen Siegen zu prahlen. Den eigenen
Ruhm durch ein aufschneiderisches Selbstlob zn verkleinern,
überläßt man den Franzosen.
Je achtbarer nun die Volrsgcsinnung ist, die sich durch
solche Merkmale kund gibt, desto gehässiger erscheint jede ein-
zelne Versündigung gegen das Gesetz der Mäßigung, welches
der preußische Geist unbewußt sich selbst gegeben, und welches fast
durchweg in stillschweigender Nebereinkunft gewissenhaft ge-
halten wird. Grobe Verstöße dagegen kommen nur in der
Berliner ministeriellen Presse vor, die in den jüngsten Erfol-
gen Preußens keinen hinreichenden Grund zur Mäßigung ihres
Tons gegen die einheimischen Gegner der Regierung und die
auswärtige Opposition gegen die deutsche Verfassungspolitik
deö Hrn. v. Bismarck findet. Durch eine lakaienhafte Insolenz
nach diesen beiden Richtungen hin zeichnet sich, nach wie vor,
insbesondere die Norddeutsche Allg. Zeitung aus, die unlängst
sogar den in der badischen Kammer gestellten und inzwischen
angenommenen Antrag auf nachdrückliche Betreibung des An-
schlusses Badens an den Norddeutschen Bundesstaat, wegen
eines vielleicht entbehrlichen, aber jeden Falls sehr harmlosen
Zusatzes, mit Hohn zu überschütten den Muth hatte. Wenn
das Wort: wie der Herr so der Knecht, auch in diesem Falle
seine Anwendung fände, so stünde cs freilich schlimm um die
Aussichten, den guten Willen Süddeutsch lands zu gewinnen.
Wir können indessen einstweilen annehmen, daß der flegelhafte
Knecht nur deßhalb zum Fenster hinaus schimpfen darf, weil
der Herr nicht zu Hause ist.
Bei allem guten Willen indessen, den das handgreifliche
eigene Interesse mit sich bringt, kann die preußische Negierung
ihr überliefertes Talent der unglücklichsten Mißgriffe nicht
verleugnen. Zeitweilige Rechnungsfchler sind in der Politik
allerdings nicht zu vermeiden; aber ein so augenscheinliches
Mittel wider den Zweck, wie die Steuerverdoppelung in Han-
nover, würde wobl schwerlich irgend einer andern Regierung
auch nur in den Sinn, geschweige denn in die Hand gerathen
sein. Seit der Anordnung jener unbegreiflichen Maßregel
sind drei Wochen vergangen, und obgleich man dieselbe inzwi-
schen unfehlbar als eine grundfalsche erkannt haben muß, ist
sie noch heute nicht zurückgenommen. — Noch schlimmer, wo
möglich, steht es um die Veräußerung der Schmalkaldcn'schen
Waldungen, mit welcher man einen bisher kurhcssischen Lan-
destheil dadurch in die preußische Staatsgemcinschaft einführt,
daß man seiner Bevölkerung ihren einzigen Nahrungszweig
abschncidct. Der dringendsten Einsprache ungeachtet, ist der
fragliche Vertrag in den jüngsten Tagen vollzogen und die
25,000 Einwohner des Bezirks von Schmalkalden sind von
nun an mit ihrer Existenz auf das Wohlwollen und die llnei-
eigennützigkcit des neuen Waldeigenthümers und seiner Rechts-
 
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