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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 115 - No. 119 (1. August 1867 - 29. August 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0389
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Herausgebern im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 22. August.

Inhalt:
Wochenbericht. — Denkschrift an die Regierungen und das Volk der Süd-
staaten.— Zur Parteipoliiik. — ÄuS Thüringen. — Zur Rcichstagswahl-
agitation. — ZettungSschau.

Wochenbericht.
Frankfurt, 20. August.
*ffDie nervöse Erregtheit, von welcher, seit dem Kriege
des vorigen Sommers, die öffentliche Meinung Europa's nnd
besonders Deutschlands ergriffen war, fängt allmälig an zu
weichen. Man sieht nicht mehr in jedem Wölkchen den Vor-
boten eines neuen Sturms, man nimmt die bedrohlichen Winke
allarmbedürftiger Blätter über bevorstehende weltcrschüttcrnde
Allianzen mit kühlem Unglauben auf, kurz das Vertrauen,
daß der Friede, für die nächste Zeit wenigstens, nicht gestört
werden wird, gewinnt endlich auch in weitern Kreisen, in der
Geschäftswelt, wieder Boden und wird seine belebenden Wir-
kungen auf Handel und Wandel hoffentlich bald verspüren
lassen. Ein deutliches Anzeichen dieser gefaßteren Stimmung
ist der Gleichmuts), nm nicht zu sagen die Gleichgültigkeit,
womit die Salzburger Zusammenkunft im Allgemeinen be-
trachtet, das geringe Interesse, welches den angeblichen Ent-
hüllungen über ihre Zwecke und Absichten geschenkt wird.
Und in der That muß auch dem Schwarzsichtigstcn einleuchtcn,
sobald er die allgemeine Lage und im Besonderen diejenige
Oesterreichs unbefangen in'ö Ange faßt, daß an eine dem
Weltfrieden verderbliche Abrede der beiden Kaiser, an ein
Bündniß für gemeinsame Aktion, zur Zeit nicht im Ernste
zu denken ist. Die lcichie Mühe, das nachzuweiscn, haben
unter Anderem österreichische und französische Blätter selbst
übernommen.
Um den Besuch Napoleons bei Franz Joseph zu erklären,
dazu würde am Ende schon ein rein menschliches Motiv ge-
nügen : der Wunsch, sich wegen der Hinopferung Maximilians
persönlich zu verantworten; ein Motiv, das man vielleicht
nur darum nicht gelten lassen wird, weil man, nach der Hälfte
eines bekannten geflügelten Wortes, gewohnt ist das Herz
dieses Mannes zu unterschätzen. Nur diese Eile seines
Bemühens, den blutigen Schatten zwischen sich und dem Haupte
des Hauses Oesterreich zu bannen, ist ohne Zweifel politischen
Asücksichtcn entsprungen. Der Souvcrain gerade desjenigen Staa-
tes, dessen Freundschaft zu gewinnen, und vor Allem, sie der Welt
zu zeigen, man heute so eifrig bemüht ist, gerade er war nicht
nach Paris gekommen und konnte nicht wohl kommen, wenn
man ihm nicht eine Brücke baute, nicht zuerst vie Hand über
die Kluft hinüber reichte. Kurz, was Napoleon in Salzburg
zu erreichen hoffen wird und hoffen kann, ist zunächst nicht
viel mehr als die Wiederherstellung des Verhältnisses, wie
es vor der Katastrophe des 19. Juni bestanden.
Damit soll nicht gesagt ssein, daß die Gemeinsamkeit des
Gegensatzes gegen Preußen, weiterhin vielleicht auch gegen
Rußland, nickt eine vorläufige Verständigung für gewisse Even-
tualitäten herbciführen könne; nur ist davon noch weit bis
zum Abschluß einer förmlichen Bundesgcnossenschaft, vollends

1867.

mit Angriffszwecken. Der einscheidende Wendepunkt, der Au-
genblick der Wahl für Oesterreich wird immer erst erscheinen,
wenn es sich darum handelt, die norddeutsche Bundeslade über
den Main zu tragen. Denn daß Oesterreich in den Ge-
danken, die Zusammenfassung von. ganz Deutschland doch
nicht mehr anfhalten zu können, sich bereits gefunden habe, dies
müssen wir, der optimistischen Auffassung von heute gegen-
über, anf das Stärkste bezweifeln. Wenn man freilich in
Wien nur für den Fall einer Nöthigung Süddcutschlands,
eines gewaltsamen Vorgehens von Seile Preußens gesonnen
sein sollte, gemeinsam mit Frankreich sich cinzumischcn, so hat
es damit gute Wege, der Fall wird nicht eintreten. Und gewiß,
das freiwillige Hereinkommen zu hindern, dem cinmüthigen Wil-
len des dcutfchen Volkes sich emgegenznstcmmen, bloß aus diesem
Anlaß einen Weltkrieg zu entzünden, werden die beiden Mächte
sich weislich hüten. Aber darin liegt, unseres Bcdünkcns, die
Gefahr, daß, trotz Zvllparlamcnt und Alledem, die deutschen
Dinge so lange in dem heutigen Schwebezustand bleiben, bis
die allgemeine europäische Lage sich zu unseren Ungunsten
verändert und z. B. die östliche Verwicklung den heute noch
fehlenden Kitt für das vielbernfene Bündniß herbeigebrackt
hat. Und fchon darum, oder vielmehr, darum vor Allem ist
austs Innigste zu wünschen, daß jener unwiderstehliche Drang
des Anschlusses im Süden, der jeden Versuch des Widerspruchs
und Widerstands daheim und draußen vorneweg ausschließt,
nicht allzulange auf sich warten lasse. Was ihn zur Stunde
aufhält, wissen wir Alle. Es ist nicht die geringste Hoff-
nung, daß das, was die neuliche Versammlung süddeutscher
Patrioten als Ziel für ihre Agitation ausgestellt hat, in
Fleisch und Blut der großen Menge übrrgehe, wenn nicht
endlich ein freierer, frischerer, freudigerer Luftzug über den
Main hemberwcht. Kurz und gut, und zum hundertsten
Male sei es gesagt, das innere System der preußischen Re-
gierung, cs ist in Wirklichkeit der einzige gefährliche Wider-
sacher, den ihre deutsche und auswärtige Politik im Augen-
blick sich gegenüber hat.
Die Hartnäckigkeit, womit dieses System und seine Träger
festgehalten werden, erscheint um so rätselhafter, nachdem der
Monarch, auf seiner Reise durch einige der neuen Provinzen,
ohne Rückhalt und Einschränkung selbst zugestanden, daß Ir-
rungen vorgckommen, daß eine Ausgleichung nothwcndig, daß
er, der König, übel unterrichtet gewesen, mit andern Worten,
daß die Art, wie das Ministerium diese wichtigste der heu-
tigen Staatsaufgaben Preußens behandelt, eine verkehrte und un-
haltbare sei. In der Thal, wenn man die Urheber dieser „Ir-
rungen" nicht besser kennte, wäre man versucht, sie für pa-
triotische Märtyrer zu halten, die damit bloß eine Gelegen-
heit schaffen wollten, um die neuen Staatsangehörigen mit
Dankbarkeit und Liebe für die Person des Landesherr» zu
erfüllen. Zum Lohn für solche Selbstverleugnung sollten sie
denn der weiteren Mühe, Irrungen hervorzurufen, baldmög-
lichst überhoben werden. Im Ernste gesprochen, diese Unsi-
cherheit, dieses Schwanken, dieser Widerspruch in der Staats-
leitung wird nicht lange mehr dauern dürfen, wenn nicht
zuerst die moralischen und schließlich vielleicht selbst die ma-
 
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