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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 115 - No. 119 (1. August 1867 - 29. August 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0373
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Herausgegebm im Auftrage des Mrems-Ausschusses.

Heidelberg, den 8. August.

1867.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Die Jesuitenfrage in Darmstadt. —
Die VerchelichungSfreihcit. — Aus Thüringen. — Zeitungsschau.
Wochenbericht.
Heidelberg, 6. August.
* Die bevorstehenden Wahlen zum ersten norddeutschen
Reichstage sind vielleicht die wichtigsten, welche das deutsche
Volk jemals vorgenommcn hat. Im vorigen Jahre handelte
es sich um die Form der neuen Bundesverfassung; dies Mal
gilt es, diese Form mit dem Volksgciste zu erfüllen und sie
zu einem wirksamen Werkzeuge der großen Nationalzwecke zu
machen. Die neue Bundesverfassung wird sein, und für-
lange Zeit bleiben, was der nächste Reichstag aus ihr macht
und ob der Reichstag viel oder wenig aus der Verfassung
machen wird, hängt ab von der demnächstigcn Ausübung dos
allgemeinen Stimmrechts.
So einleuchtend indessen auch die große Bedeutung dieser
Wahlen ist, so geschieht doch, von Seiten der preußischen Re-
gierung sowohl wie von Seiten der Opposition, das Mögliche
— und auch einiges Unmögliche — üm sich selbst die öffent-
liche Stimmung abwendig zu machen. Was von dem Mini-
sterium aus zu diesem Behufe durch die gehässigsten und klein-
lichsten Maßregeln geleistet wird, die gerade in den letzten
Wochen, Schlag um Schlag, auf einander gefolgt sind, würde
unglaublich sein, wenn nicht alle Welt es mit eignen Augen
sähe und mit eignen Ohren hörte. Zum Glück für die Re-
gierung wetteifert ein Theil des Liberalismus mit ihr in einer
ähnlichen Verleugnung der Pflichten gegen sich selbst, insbe-
sondere durch planmäßige Herabwürdigung, sowohl der Bun-
desverfassung, als auch' der Männer und Parteien, welche zu
derselben halten. Wenn ein Johann Jacoby die Bundesver-
fassung, ja die bloße Existenz des Bundes selbst, für ein öf-
fentliches Unglück erklärt, so hat das vereinzelte Wort eines
politischen Sonderlings freilich keine ernstliche Bedeutung;
daß aber anerkannte Partcihäupter und viclgclesene Zeitungen
sich ein tagtägliches Geschäft daraus machen, die Bundesver-
fassung in Verruf zu bringen und den Bund selbst in Frage
zu stellen, das ist eine Versündigung an der eignen Sache,
die nicht ohne schlimme Wirkungen bleiben kann. Der große
Haufen der Leichtgläubigen und Schwachherzigcn wird dadurch
verstimmt und cntmuthigt, und entweder einem heillosen Pessi-
mismus zur Beute gegeben, oder auf die Seite der Berliner
Cabinetspolitik hinübergcschcucht. Wem man nur die Wahl
zu lassen scheint zwischen einer Richtung, welche auf das reine
Nichts binausläuft und dem Festhalten an dem gegenwärtigen
Stande der Dinge, dem gibt man in der That den triftigsten
Anlaß, sich an die Macht anzuschließen, welche, was man
auch sonst an ihr auszusctzcn habe, wenigstens Bürgschaft
leistet gegen den Rückfall in ein Choas, das trostloser sein
würde,' als die weiland bundestäglichen Zustände. Hat schon
bei den vorjährigen Parlamentswahlen die Sorge um das
Zustandekommen irgend einer Neugestaltung unsrer öffentlichen
Verhältnisse den unbedingt ministeriell gesinnten Kandidaten
eine Unzahl von liberalen Stimmen zugeführt, so ist das

heutige blinde Wüthen der „Entschiedenen" gegen die jetzt
gültige Verfassung und gegen deren Anhänger ganz dazu gemacht,
eine Wiederholung jener Erfahrung herbcizuführen. Diese
Rechnung ist so einfach, daß ein sehr schwacher Vorwand und
sehr viel übler Wille dazu gehört, sie nicht zu begreifen und
sich danach nicht zu achten. Die die und da ausgegcbcue Losung:
keine Wiederwahl eines Abgeordneten, welcher für die Bundes-
verfassung gestimmt hat, die laut gepredigte Verwerfung jedes
Pakts mit den Nationalliberalen, auch in den zweifelhaftesten
Fällen, und vollends der schaamlosc Rath, nach dem
niederträchtigen Beispiele, welches im vorigen Jahre in Ma-
rienwerder gegeben wurde, lieber mit den Polen zu stimmen,
als mit der Verfassungspartei — das sind Anzeichen einer
geistigen und moralischen Verfassung, die einem ekelhaften
Rausche ähnlicher sieht, als einer durch Gründe und Zwecke
bestimmten politischen Gesinnung.
— In seiner Antwort auf die französische Einladung,
dem „Friedenskongreß" und dem „Verein für allgemeine Ent-
waffnung" beizutreten, hat Herr Schulze-Delitzsch allen deut-
schen Patrioten von politischem Verstand und nationalem Ehr-
gefühl aus der Seele gesprochen. Angesichts der französischen
Rüstungen, die nur gegen uns gerichtet sein können, gegenüber
der höchst zweideutigen Haltung der französischen Diplomatie
und in Betracht der unverkennbaren Absicht des Bonapartis-
mus, in deutschen Verfassungs- und Gränzfragcn mitzuspre-
chcn, mag eine Agitation für Aufrechterhaltung des Friedens
und für Entwaffnung in Frankreich ganz am Platze sein und
mag man sich derselben in jedem andern Lande unbedenklich
anschließen — nur in Deutschland nicht. Die friedfertigen
Gesinnungen Deutschlands, gegenüber allen seinen Nachbarn,
sind so unzweifelhaft und durch die einleuchtendsten National-
interessen so fest verbürgt, daß eine Schaustellung derselben
das überflüssigste Ding von der Welt, und eben deßhalb dcn
gröbsten Mißverständnissen und der schlimmsten Mißdeutung
ausgesetzt sein würde. Was aber die Entwaffnung betriffr,
so kann dieselbe dem deutschen Staatswesen in der heutigen
Weltlage nur von der Unvernunft oder der Verräthcrei zu-
gcmuthet werden. Soli die Militärlast, welche auf unfern
Erdthcil drückt, erleichtert werden, so ist cs an Frankreich,
mit dem Beispiele voranzugehcn, das heißt, vor allen Dingen
auf die herrschende Rolle zu verzichten, welche es in der eu-
ropäischen Welt beansprucht und in deren Namen es sein
Heerwesen fort und fort hinanfgeschraubt und für die Nach-
barstaaten entsprechende Gcgenmaßrcgeln zu einer Sache der
Nothwchr, einer Pflicht der Sclbsterhaltung gemacht hat. Und
da in Frankreich das Volk so wenig wie die Regierung bis
jetzt jemals die mindeste Bereitwilligkeit gezeigt hat, den An-
spruch auf das militärische Uebergewicht in Europa und einen
demselben angemessenen Hcerbestand aufzugcbcn, so kann ein
„Verein für allgemeine Entwaffnung" in Deutschland einst-
weilen keinen rechtmäßigen Spielraum finden. Daß aber von
Leuten, welche in der Politik nur die „Principien" gelten
lassen wollen — bis dahin wenigstens, wo ihnen selbst die
Handhabung derselben unbequem wird — daß von Seiten
der Urdemokraten und Genossen so kleine „Thatsachen" wie
 
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