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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 81 - No. 84 (6. Dezember 1866 - 27. Dezember 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0109
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dcs


Herausgegeben im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 13. Dezember.

1866.

Inhalt:
Wochenbericht. — Preußischer LandtagSbricf. — Neueste hessische Zustände.
— Der Liberalismus und die StaatStdce. — Das Allgemeine Stimmrecht
in Ncwyork. — ZcitungS schau.

Wochenbericht.
Heidelberg, 11. Dez.
* Die Rückkehr des Herrn v. Bismarck nach Berlin hat
in dem Gange der 'öffentlichen Dinge bis jetzt nicht die min-
deste Veränderung hervorgebracht. Jeder Tag bringt vielmehr
eine weitere Verschlimmerung der Lage. Im Abgeordneten-
hause steigert sich die Opposition, in der öffentlichen Meinung
die Verstimmung, in den anncktirten Ländern die Unzufrieden-
heit und die Widerwilligkeit. Die letzte dieser Erscheinungen
wenigstens sollte, so scheint cs, auch den stumpfsten Köpfen
des herrschenden Systems zu denken geben. Mag man, mit
Berufung auf die Erfahrungen der letzten vier Jahre, die
Kräfte des preußischen Liberalismus noch so gering anschlagen,
so muß doch der Widerstand des Volksgeistes in den einver-
lcibten Provinzen mit einem ganz andern Maßstabe gemessen
werden. Denn die Annexion wird nicht fertig und gesichert
sein, ehe sie durch den freien Entschluß der Einwohnerschaft
selbst gutgcheißen ist. Bei dem bisherigen Verfahren aber
entfernt man sich von diesem Ziele, statt demselben näher zu
kommen. Kein Zweifel, daß in Hannover, Kurhessen und
Nassau die Zahl der Gegner Preußens gewachsen, der
gute Wille seiner Anhänger dagegen lauer geworden ist. Wäh-
rend die provincielle Opposition sich allenthalben rührt und
laut macht, verhält sich die preußische Partei fast durchweg
unthätig und stumm. Wie könnte es auch anders sein! Auf
jener Seite hat man mit dem eingetretcnen Wechsel hundert
kleine Verluste erlitten, denen man auf dieser Seite nicht einen
einzigen thatsächlichen Gewinn entgcgenzustellen vermag. Was
aber das Schlimmste ist, die Beschwerden der Gegenwart lassen
sich nicht einmal mit glaubhaften Anweisungen auf die Zu-
kunft beantworten. Von einem Regicrungssystem, welches die
bescheidensten Erwartungen des alten Preußen unerfüllt läßt,
kann man sich und Andern doch unmöglich die Befriedigung
der natürlich höher gestellten Ansprüche der neuen Provinzen
versprechen. Wenn die preußische Staatsgewalt in den ein-
verleibten Ländern vereinsamt dasteht, fast wie in Feindesland,
so geschieht es, weil sie ihren eignen Anhang in die Unmög-
lichkeit versetzt hat, sich um sie zu sammeln und für die neue
Ordnung der Dinge entschlossen Partei zu machen. Ob man
in Berlin etwa der Ansicht ist, daß man in Hannover u. s. w.
Soldaten genug hat, um keine preußische Partei zu brauchen?
Mit Hülfe der militärischen Diktatur, welche man dem Ge-
neral Voigts-Rhectz übertragen, wird sich allerdings viel aus-
richten lassen; nur das Eine nicht, was am meisten Noth
thut, die moralische Eroberung des mit den Waffen unter-
worfenen Landes.
Zu den unbegreiflichsten Maßregeln, durch welche sich die
Spannung zwischen dem Ministerium und dem Abgeordneten-

hause neuerdings verschärft hat, gehört die hartnäckige Ver-
folgung der parlamentarischen Redefreiheit, die in der Person
des Herrn Twesten zum zweiten Mal auf die Anklagebank
des Obertribunals gesetzt worden ist. War cs denn nicht
genug an der allgemeinen Empörung, welche der vorjährige
Spruch des obersten Gerichtshofs in dieser Sache hcrvorge-
rufcn und konnte man einen bessern Rückzug aus diesem
schlimmen Handel finden, als die Berufung auf die inzwischen
erlassene Amnestie! Wenn dieselbe den Rechtögang nicht unter-
brechen durfte, so war sie doch wahrhaftig kein Hinderniß des Ver-
zichts auf eine Appellation, bei welcher die preußische Justiz
eben so wenig zu gewinnen hat, als das Ministerium Bis-
marck, während sie auf der andern Seite die bittersten Em-
pfindungen nicht bloß im Abgeordnetcnbause, sondern auch im
ganzen gebildeten Publikum auffrischt. Nachdem man dem
Norddeutschen Parlamente die unbeschränkte Redefreibeit zuge-
stehen müssen, wird man doch wohl nicht mehr hoffen, dieselbe
den: preußischen Abgeordnetenhaus? auf dem Wege dcs Cri-
minalprozesses verkümmern zu können. Und da die Person
dcs Herrn Twesten, auch für den Fall der Verurtheilung,
durch die Amnestie gegen die Vollziehung der Strafe geschützt
ist, so bleibt zur Erklärung des gegen ihn eingehaltencn Ver-
fahrens nichts übrig, als ein Eigensinn, der so wenig nach
Gründen wie nach Zwecken fragt.
Auch innerhalb des Abgeordnetenhauses fehlt es übrigens
nicht an Vorgängen, die dem Beobachter aus der Ferne sehr
schwer verständlich find. Vor allen Dingen will es uns schei-
nen, als ob noch immer zu viele und zu lange Reden über
unbedeutende Gegenstände, oder zu unrechter Zeit gehalten wür-
den. Nach allseitiger Uebereinkunft handelt es sich ja bet
der diesjährigen Budgetberathung vielmehr um die Form als
um die Sache; die Staatsrechnung soll endlich einmal recht-
zeitig zur verfassungsmäßigen Feststellung gelangen, also vor
Beginn des Verwaltungsjahrcs, während bisher die Geneh-
migung der öffentlichen Einnahmen und Ausgaben erst dann
vom Abgeordnctenhause eingeholt wurde, wenn dieselben bereits
im vollen Zuge waren, so daß eine ernstliche Berücksichtigung
der Beschlüsse der Landesvertretung oft selbst beim besten
Willen nicht mehr hätte stattfinden können. Die Abstellung
dieses groben Mißverhältnisses ist natürlich die erste Beding-
ung der vollen Verwirklichung des Budgetrechts des Abgeord-
netenhauses, uud demnach doch wohl eine Sache von größerem
Belang, als jeder Abstrich von dreißig oder fünszigtausend
Thalern, der durch eine lange Verhandlung erkämpft werden
muß. Diese kleinen Veränderungen der von der Regierung
ausgestellten Zahlen erscheinen vollends geringfügig in Betracht
des provisorischen Charakters des jetzigen preußischen Staats-
haushalts, welcher im nächsten Jahre, bei seiner Ausdehnung
auf die neuen Provinzen, ganz andere Verhältnisse annehmen
wird, die dann allerdings nach strengen wirthschaftlichen Grund-
sätzen zu bemessen sein werden. Wenn bis dahin aber
politische Bedenken gegen den einen und den andern Ausgabeposten
obwalten, so sollte man meinen, daß dieselben durch einen in
wenige Worte zusammcnzufassendcn Vorbehalt ihre genügende
Erledigung finden könnten.
 
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