Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 90 - No. 93 (7. Februar 1867 - 28. Februar 1867)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0197
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AbonncmentSpreis: del di-
rektem Bezug von der Expedi-
tion 36 kr. oder 10>/s Sgr.,
bei Bezug durch die Post oder
den Buchhandel 45 kr oder
13 Sgr. für das Quartal.


Inserate werden mit 7 kr.
oder 2 Sgr. für die doppel-
spaltige Petitzetle berechnet.



p s r s i N
Hemusgegeken im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 28. Februar.

Inhalt:
Wochenbericht. — Der Prager Friede als Grundlage der Neugestaltung
Deutschlands. — Aus Preußen. — Aus Hannover. — Aus Wiesbaden.
— Aus Thüringen. — Zeitungsschau.

Wochenbericht.
Heidelberg, 26. Februar.
* Die anfängliche Berechnung der Ergebnisse der Rcichs-
tagswahlen hat sich nachträglich als falsch erwiesen; die na-
tionalliberale Partei in Preußen ist bei den Wahlen in ent-
schiedener Minderheit gegen die „Conservativen" geblieben und
wenn sie im Reichstage selbst, Dank den aus den cinvcrlcibten
und den bundcsgenössifchen Landen ihr zugewachsencn Stimmen,
die Mehrheit gewinnt, so wird dieselbe allein Anscheine nach
keine bedeutende sein. Wir haben eine starke Enttäuschung
erlebt, zugleich aber eine überaus lehrreiche Erfahrung ge-
macht, die uns für die Zukunft hoffentlich zu gut kommen
wird.
Die Mehrheit des preußischen Volkes ist also, wenigstens
in Sachen des Norddeutschen Bundes, Bismarckisch gesinnt,
das heißt, sie will die nationalpolitischcn Ergebnisse dcS vorigen
Jahres vor allen Dingen und um jeden Preis fest-und sicher-
gestellt wissen; die Ergänzung des preußischen Staatsgebietes
durch die neuen Provinzen und die vertragsmäßige Ausdeh-
nung des preußischen Machtgebictes auf ganz Norddeutschland
ist in den Augen der Masse des preußischen Volkes die große
Angelegenheit des Tages, hinter welcher jedes andere politische
Interesse bis auf Weiteres zurücktritt r das ist die erste wich-
tige Folgerung, welche sich ans dem Wahlresultatc ergibt.
Welche Lektion für den Radikalismus, der dem preußischen
Abgeordnetenhaus? zumuthetc, daß es, im Namen dieses oder
jenes Princips, tapfer Opposition mache gegen die Machtpolitik
des Ministeriums Bismarck! — Aber der Radikalismus verachtet
die Thatfachen zu sehr, nm sich dadurch irre machen zu lassen
an feinem System. Er frohlockt über die Niederlage, welche
die Fortschrittspartei bei den Wahlen erlitten, als wäre er
selbst der Sieger gewesen, ja er scheut sich nicht, mit dreister
Stimme zu versichern, daß daS Volk die Fortschrittspartei
gerade deßhalb im Stiche gelassen, weil sie der Bismarck'schcn
Vcrgrößerungspolitik keinen entschlossenen Widerstand geleistet.
Nach vernünftigen Gründen darf man natürlicher Weise bei
solchen Behauptungen nicht fragen. Bei einem geringen Grade
von Schaam, Ehrlichkeit uud Conscguenz würde die radikale
Presse sich durch die Reichstagöwahlcn überzeugen lassen, daß
sie und ihre vereinzelten Gesinnungsgenossen im Abgeordneten-
hause auf dem besten Wege waren, die Volksvertretung von
dem Volke selbst gänzlich loszureißcn, die öffentliche Meinung
der Bismarck'schcn Politik vollends in die Arme zu treiben.
Und da die Mehrheit, nach den Grundsätzen des Radikalismus,
immer Recht hat, was kann der Radikalismus, ohne zum
Lügner an sich selbst zu werden, gegen das Verdammungsur-
theil einwendcn, welches durch die preußischen Reichstagswahlen
über seine deutsche Politik gesprochen worden ist?
In Bezug auf die Wahlen in den neuen preußischen Pro-

1867.

vinzen bestätigt sich das vorausgesetzte Gesammtergcbniß einer
nativuallibcralcn Mehrheit, gegenüber einer mehr oder weniger
partikularistisch gesinnten Minderheit, während das Berliner
System hier keinen einzigen seiner Candidatcn durckgebracht
hat. Ohne die mindeste Ueberbcbung dürfen wir sagen, daß
der Nationalvercin an jenem Resultate einen großen Authcil
gehabt, daß ohne seine Vorarbeit die Wahlen in Hannover,
Kurhcfseu und Nassau wahrscheinlich nicht viel anders ausge-
fallen sein würden, als in Schleswig-Holstein, dessen unin
Abgeordnete bekanntlich durchweg preußenfeindlich gesinnt sind
(wiewohl anzunchmen steht, daß sich die meisten derselben im
Reichstage selbst mit den Nothwendigkeitcn der Lage schließlich
abfinden werden). Wenn also der preußischen Regierung und
dem preußischen Staate die Demüthigung erspart ist, die Ab-
geordneten der neuen Provinzen in Masse als einen lebendigen
Protest gegen deren jetzige Staatsangehörigkeit in den Reichs-
tag eintreten zu sehen, so hat man cs in Berlin vorzugs-
weise einer Parthci zu verdanken, welche von dort aus mit
größerer Feindseligkeit behandelt worden ist, als von Seiten
irgend einer der anderen Regierungen, deren Mißgunst eben
so unzweifelhaft war, zugleich aber viel besseren Grund
hatte, als die des Berliner Cabinets.
An dem Entwürfe der Verfassung des Norddeutschen Bundes
werden mit Recht viele Ausstellungen gemacht. Er trägt die
deutlichen Spuren einer hastigen Arbeit in dem Mangel an
Ordnung, Deutlichkeit und Vollständigkeit. Einige feiner Be-
stimmungen sind kleinlick, einige seiner Dunkelheiten schienen
berechnet, einige seiner Lücken lassen sich nur durck ein reines
Vergessen erklären. Trotz alledem muß man, unparthciischcr
Weise, zngcstchen, daß der Verfassungscntwurf im Großen und
Ganzen ein zweckmäßiges Provisorium für die staatlichen
Verhältnisse Norddcutschlands aufstellt — denn daß dieser
Norddeutsche Bund nur ein Durchgangspunkt fein will und
kann, ist von selbst einleuchtend, und wird sogar in der Thron-
rede des Königs von Preußen ziemlich unumwunden anerkannt.
Insbesondere die Bestimmungen über die Befugnisse der Prä-
sidialmacht, über das Heerwesen, die Flotte, die Verkehrs- und
Handelsangclegenhciteu, einfchließlich der Haudelsdiplomatie,
sind, der Hauptsache nach, so bemessen, daß das nationale Be-
dürfnis seine Rechnung dabei findet, wiewohl die Einräumungen
an den Einzclstaat in gewissen Punkten immer noch weiter
gehen, als wünsckcnswerth. Die schwachen Seiten des Ent-
wurfs sind dagegen die Artikel, welche vom Reichstage und
von den Bundcsfinanzcn handeln. Daß hier wesentliche Er-
gänzungen stattfindcn müssen, wenn dem Reichstage der Cha-
rakter eines wirklichcnNationalparlamcnts gegeben und dem preu-
ßischen Abgeordnetenhaus? die erforderliche thcilwcise Abdankung
zu Gunsten des Reichstags ermöglicht werden soll, darüber wird
innerhalb aller liberalen Parteien keine Meinungsverschiedenheit
obwalten. Ist auch das Bndgctrcckt des preußischen Land-
tags, wie die Erfahrung der letzten vier Jahre bis zum llebcr-
flussc dargcthan hat, kaum mehr als ein bloßer Name, so
kann doch das preußische Abgeordnetenhaus,in Bezug auf dieBun-
desfinanzcn, niemals auf den mit jenem Namen gegebenen
Anspruch verzichten, wenn derselbe nicht ausdrücklich auf den
 
Annotationen