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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 102 - No. 106 (2. Mai 1867 - 30. Mai 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0273
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spaltige Petitzeilc berechnet.


Herausgegebm im Auftrage des Vereins-Ausschusses.

Heidelberg, deu 9. Mai.

Inhalt:
Wochenbericht. — Preußischer Landtagsbricf. — Der Vcrrath der Natio-
nallibcralen. — Die Kieprrt'schc Sprachkartc. — Der deutsche Rechtsschutz-
verein in London. — Oestreichische Armcevcrhältniffc. — General Trochu
über den Krieg. — Mitthciluugen aus dem Nationalveretn.

Wochenbericht.
Heidelberg, 7. Mai.
* Die Cabinettc, die Parlamentssääle und die Regierungs-
presse hallen wider von Worten des Friedens, die europäische
Diplomatie, welche heute odcrmorgcn in London das großeVermitt-
lungSwerk in die Hand nimmt, zeigt die zuversichtlichste Miene,
die Völker bezeugen durch tausend Kundgebungen ihre ver-
söhnlichen Gesinnungen und ihr Bedürfnis; der Ruhe — und
gleichwohl macht sich alle Welt auf das Schlimmste gefaßt.
Dir Friedenswünsche sind in Aller Herzen, die Fricdcnshoff-
nru.gcn nur auf den Lippen und auf dem Papier; der zur
Schau getragene Glaube an den Erfolg der Londoner Con-
ferenz ist ein Selbstbetrug der Heuchelei.
In der That, Jedermann weiß oder fühlt, daß Luxemburg
bei der deutsch-französischen Streitfrage nur die Bedeutung
eines Vorwandes, oder höchstens eines Anlasses hat, daß cs
also weder der preußischen Negierung noch dem Tuilcrien-
cabinettc ernstlich darum zu thun sein kann, diesen Vorwand
durch ein wirkliches Opfer zu beseitigen, welches nicht wezüg-
stcns durch den damit gemachten Zeitgewinn ausgeglichen
würde. Preußen ist aber, nach der allgemeinen Annahme, in der Lage,
vielmehr die Beschleunigung der Crisis als deren Ver-
zögerung wünschen zu müssen, und Frankreich hat, aller
Wahrscheinlichkeit nach, den anfänglichen Vorsprung Preußens
während der letzten Wochen so weit nachgeholt, daß ihm ein
längerer Aufschub kaum von hinlänglichem Werthe sein
wird, um denselben durch irgend einen namhaften Verzicht
zu erkaufen. Damit ist das äußerste Mißtrauen gegen
den bevorstehenden diplomatischen Ausgleichungsversuch hin-
länglich gerechtfertigt. Mag derselbe aber gelingen, oder fehl-
schlagen, immer wird cö auf Kosten Preußens geschehen. Im
ersten Falle wird Preußen damit sein bisheriges Prästigium,
im zweiten Falle den Vortheil seiner größeren Kriegsbereit-
schaft theilweise drangcgeben haben, und also der unausbleib-
lichen Waffenprobe mit verminderten Kräften entgcgengchen.
In der Behandlung der Luxemburger Sache, von Anbe-
ginn hi. auf die neuesten Tage, ist überhaupt die sonstige
Bismarck'sche Politik nicht wieder zu erkennen. Sehr auffallend
war es zunächst, daß Hr. v. Bismarck die unter der Krone
Holland stehenden Bundcslande von vorn herein und aus-
drücklich von seinem deutschen Rcorganisationsplan ausschloß.
Weiter erschien es geradezu unbegreiflich, daß der preußische
Minister alle Ansprüche Deutschlands auf Limburg aus freien
Stücken und ohne Weiteres prcisgab, und in Bezug auf Lu-
xemburg über dessen staatsrechtliche Stellung, und über die
Besinnungen seiner Bevölkerung im offenen Parlamente Er-
klärungen abgab, welche der französischen Anexionspolitik die

1867.

wirksamsten Handhaben boten. Daß die preußische Regierung
sich ferner ans eine europäische Confcrenz wegen Luxemburgs
einließ, von welcher mit Sicherheir vorauszusehen war, daß
sie, im Interesse des Friedens, den Forderungen Frankreichs
allen möglichen Vorschub leisten werde, wird sich aller Wahr-
scheinlichkeit nach als einen Mißgriff Herausstellen, und daß
Preußen die „Neutralisierung" Luxemburgs als Ausgangspunkt
der Londoner Unterhandlungen angenommen, ist vielleicht der
schwerste Fehler, den Hr. v. Bismarck jemals gemacht. Und
um das Maaß der räthselhaften Dinge in der Luxemburger
Sache voll zu machen, gibt Preußen jetzt dem Vorschläge seine
Zustimmung, daß auch Italien zu der Londoner Konferenz
Ungeladen werde, Italien, das sich unter dem Ministerium
Rattazzi zum willenlosen Handlanger des Bonapartismus her-
gegeben hat. — Für alle diese Vorgänge gibt es vielleicht
einen Erklärungsgrnnd, der hier unausgesprochen bleiben mag;
ihre Rechtfertigung aber könnten dieselben nur in einem Er-
gebnisse finden, welches mit den angewcndeten Mitteln außer
allem ersichtlichen Verhältnisse stände.
Mit Anerkennung der Bundesverfassung hat der wichtigste
der norddeutschen Landtage — nächst dem preußischen — den
Anfang gemacht; eine erste Bestätigung der allgemeinen An-
sicht, daß die deutsche Vcrfassungssache durch die Beschlüsse
des Reichstags praktisch erledigt ist. Noch über die öffentliche
Erwartung hinaus geht die Einstimmigkeit des Votums der ersten
Dresdener Kammer, in welcher ohne Zweifel die widerstands-
fähigsten Bcstandtheile des sächsischen Partiknlariömus sich
conccntrircn.
Im preußischen Abgeordnetenhause glaubt die Fort-
schrittspartei — welche in diesem Falle ihrem Namen
schwerlich gerecht wird — die Ehre der von ihr im Reichs-
tage aufgepflanzten Fahne durch einen letzten Kampf wahren
zu sollen. Sei es darum. Am Tage nach der entscheidenden
Abstimmung wird die liberale Opposition sich auf dem Boden
der Bundesverfassung wieder znsammcnfinden, und wird alleWelt
gewahr werden, daß ihre Stellung und ihre Aussichten durch die be-
wirkte Veränderung der öffentlichen Zustände wesentlich ver-
bessert worden. Wie mangelhaft auch die Bundesverfassung
sei, das Königthum von Gottes Gnaden hat in und mit der-
selben abgedankt, um eine Bundesgenoffcnschafl mit der deut-
schen Nationalpolitik einzngehcn, von welcher Preußen nimmer-
mehr wieder loskommen wird und kann. Weit entfernt, der
Herr der Schicksale Deutschlands geworden zu sein, ist der
preußische Staat von jetzt an, freiwillig oder nicht, das Werk-
zeug des Nationalgeistcs und der Nationalintcrcsscn, an welche
er seine eigne Zukunft unwiderruflich gebunden hat. Preußen
wird nicht nur Alles daran setzen, die politische Einigung
Deutschlands zu vollenden, weil diese allein ihm die vollständige
Sicherheit für seinen neuen Bestand geben kann, sondern an
der Hand der Ereignisse auch bald genug zu der Erkenntniß
gelangen, daß die Freiheit des Volkes und die Macht des
Staates einander gegenseitig ergänzen.
 
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