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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 111 - No. 114 (4. Juli 1867 - 25. Juli 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0349
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Herausgegebm im Austrage des llerems-Ausschusses.

s r e i n


Heidelberg, den 18. Juli.

Inhalt:
Wochenbericht. — Die Arbeiterbewegung. — Aus Preußen. — Heute und
vor einem Jahr. — Die Süddeutschen Interessen. — Dänisches. — Aus
Baiern. — Zcttungsschau.

Wochenbericht.
Heidelberg, 16. Juli.
*So oft der preußische Landtag der Regierung außeror-
dentliche Vollmachten crtbeilr, eben so oft hat er beim Ge-
brauch derselben die schlimmsten Erfahrungen gemacht. So
bei der Zusammensetzung des Herrenhauses, bei den „provi-
sorischen" Anfängen der Hccrcsvrganisation, und neuestens bei
der Ordnung der Verhältnisse der neuen Provinzen. Die
Minister des Innern und der Justiz üben die ihnen zu diesem
Zwecke von den Kammern verliehene „diskretionäre" Gewalt
mit einer Indiskretion, welche man nicht voraussctzcn zu dürfen
geglaubt hat, weil sie in der That über die Grenzen, nicht
nur der Billigkeit, sondern auch der gewöhnlichsten Klugheit
weit hinausgeht. In Hannover freilich hat man es mit Ach
und Krach dahin gebracht, daß das Land, wenigstens im letz-
ten Augenblicke vor völlig abgemachter Sache, durch den Mund
von Vertrauensmännern zu Worte kommen soll, für Kur-
hessen und Nassau dagegen, geschweige für Schleswig-Holstein
ist keine Rede davon, daß den Interessen und der rechtmäßigen
Eigenliebe dieser Provinzen ein ähnliches Zugeständnis; gemacht
werde. Obgleich cs klar ist, daß die preußische Verwaltung in
der kurzen Zeit ihrer bisherigen Dauer in den neuen Landen
unmöglicher Weise hinlänglich orientirt sein kann, nm mit
sicherer Hand in die dortigen Verhältnisse tiefer, als durchaus
nothwendig, einzugreisen, so wird doch im Verwaltungs- und
Justizwescn, ohne allen dringenden Anlaß, das Unterste zu
oberst gekehrt, und werden nur allzu oft die bestehenden Ein-
richtungen, nach der allgemeinen Nebcrzeugung der Betheiligtcn
nicht nur, sondern auch nach dem Urthcile unbefangener Zeugen,
geradezu verschlechtert. So zum Beispiel in Knrhesscn und Nassau
Prozeß- und Gerichtsordnung, die doch wahrhaftig mit der
preußischen Staatseinheit zu wenig gemein haben, um etwa
im Namen derselben über das Knie gebrochen zu werden,
zumal auf diesen Gebieten auch in verschiedenen alten Pro-
vinzen verschiedene Einrichtungen bestehen. Die Vortheile der
preußischen Staatsangehörigkeit dagegen sehen sich die Neu-
preußen bis jetzt entweder vorenthaltcn, oder beschnitten, wie
man denn, beispielsweise, kein Bedenken getragen hat, den
Nassauern das Jagdrccht auf eignem Grund und Boden,
nachdem man sic über Gebühr auf die Wiederherstellung des-
selben warten lassen, hinterdrein auf dem Verwaltungswege
wieder möglichst zu verkümmern. Frankfurt vollends wird
fort und fort mit einer Rücksichtslosigkeit behandelt, welche
dem Verstände Derjenigen, welchen dieselbe zur Lall fällt,
eben fo wenig Ehre macht, wie ihrem Charakter. Man will
in Berlin auch heute noch nicht begreifen, daß das vorjährige
Verfahren gegen die weiland freie Stadt am Main nicht
bloß ein Schandfleck in der preußischen Geschichte ist, sondern

1867.

auch ein arger Hemmschuh der preußischen Politik, und daß
das eigenste Interesse des Staates selbst dahin drängt, daß
die Erinnerung an jene traurigen Vorgänge durch günstigere
Eindrücke in den Hintergrund geschoben werde. Diese Erin-
nerung wird vielmehr, man möchte sagen geflissentlich, auf-
gefrischt durch überspannte financicllc Anforderungen an Frank-
furt und durch schonungslose Behandlung seiner materiellen
Interessen. Während man mit den Spielcrbandcn in Wies-
baden u. s. w. eingestandener Maßen über die Verlängerung
ihrer Concessionen unterhandelt, nimmt nmn der Stadt Frank-
furt von heute auf morgen ihre Klasscnlottcric, auf deren
Betrieb Hunderte von Familien mit ihrer Existenz angewiesen
sind — und zwar augenscheinlich nicht ans Gründen der
öffentlichen Wohlfahrt und Moral, sondern zu Nutz und
Frommen der preußischen Staatslvttcrie. Die Entschädigung
aber, welche Preußen der Stadt Frankfurt für alle ihre Ver-
luste gegeben, ist bis auf den heutigen Tag gleich Null
und wahrlich nicht, weil es an Gelegenheiten zu Gegenlei-
stungen durch Befriedigung brennender städtischer Bedürf-
nisse fehlt.
Mit desto zarterer Rücksicht und Schonung wird dagegen
allerdings ein anderer Staat behandelt, welcher der Neuge-
staltung Deutschlands wenigstens einen Thcil seiner bisherigen
Souveränctät hat opfern müssen, nämlich das großherzogliche
Mecklenburg. Der himmelschreiende Durchgangszoll auf der
Straße von Berlin nach Hamburg wird vou Mecklenburg
munter forterhoben, ohne daß Preußen Anstoß daran nähme,
und der Eintritt Mecklenburgs in den Zollverein ist auf un-
bestimmte Zeit vertagt weil — das Großhcrzogthum durch
den französischen Handelsvertrag gebunden ist und weil über-
dies der Zollvereinstarif nicht zu den mecklenburgischen Ge-
wohnheiten und Interessen paßt; so wenigstens sagt das neue
ministerielle Blatt in Schwerin. Am wenigsten scheint die
mccklenburg'sche Kricgsherrlichkeit durch eine jener Militär-
conventionen bedroht zu sein, wie sie Preußen von andern
norddeutschen Bundesstaaten, thcils bereits erlangt hat, theils
zu erlangen sucht, und ohne welche allerdings die Einheit
des norddeutschen Bundcöhceres kaum mehr sein würde, als
ein Name. Nichtig ist übrigens, daß der Verzicht auf die
Militärhoheit nur als der Vorläufer eines anderweitigen
und schließlichen Verzichts aufgcfaßt werden kann, welchen
man in Berlin den mecklenburgischen Nachbarn und Vettern,
zwar ohne Zweifel nicht erlassen will, mit dessen Schreckbild
man sie aber vielleicht bis znm Verfalltage verschonen möchte.
Unterdessen fährt die „freisinnige" Berliner Presse unver-
drossen fort, ihr Publikum mit einem sinnlosen Gezänk über
„Nationalliberalismus" und „Fortschritt" zu unterhalten —
znr hohnlachenden Schadenfreude des Konservativismus, welcher
in seinen Blättern sorgfältig Protokoll führt über diesen er-
baulichen Wortwechsel der Organe der Gegenpartheien. Wie
viel Wahrheit und wie viel Schein bei den kreischenden
Wortgefechten der Blätter der einen und der andern Farbe
im Spiel ist, mag schwer herausznsindcn sein; wenn aber zum
Beispiel die sonst so leutselige „Vossische Zeitung"' im Tone
eines Wütherich's, den man an die Kette legen sollte, gegen
 
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