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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 94 - No. 97 (7. März 1867 - 28. März 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0213
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Hemusgegeken im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 14. März.

Inhalt:
Wochenbericht. — Die preußische Negierung und die Preßfreiheit. — Ber-
liner NcichStagSeindrücke. — Parlamentsbriefe II. — Aus Preußen. —
Aus Thüringen. — Aus Wiesbaden. — Das einzige Ziel. — Literatur.
— Zeitungöscha«. — Mtttheilungen aus dem Nationalverein.

Wochenbericht.
Heidelberg, 12. März.
*Die Abklärung der Ansichten über den Vcrfassungsent-
wurf und die entsprechende Gruppiruug der Parteien im
Reichstage ist so weit gediehen, daß die am letzten Tage der
vorigen Woche begonnene allgemeine Verhandlung einen ziem-
lich sichern Einblick in den bevorstehenden Gang der parla-
mentarischen Diilge zu geben verspricht. Ohne den Aufschlüssen
vorzugrcifen, welche uns die nächsten Reichstagssitzungen brin-
gen werden, läßt sich indessen schon heute die zuversichtliche
Erwartung aussprcchen, daß in der wichtigsten der obschwc-
benden Streitfragen, in der Frage des parlamentarischen Bud-
getrechts, die Stimme der nationallibcralcn Partei den Aus-
schlag geben wird. Die Regierung selbst, will sie nicht ihr
Werk den Wechselfällen einer äußerst ungewissen Zukunft
preisgebcn, hat das größte Interesse bei einer Entscheidung in
diesem Sinne. Die Stellung, welche sie auf dem Gebiete
der Finanzen in dem Verfassnngsentwurf eingenommen, erweist
sich in der That bei näherer Betrachtung als unhaltbar, und
insbesondere als ganz unverträglich mit den gebieterischen
Gründen, welche verlangen, daß die Cvnstituirung des Nord-
deutschen Bundes zu einem raschen Abschlüsse gebracht werde.
Nicht zu reden von der Gehässigkeit des Versuchs, von dem
karg zugemessencn Versassungsrcchtc Preußens bei einer solchen
Gelegenheit wieder ein gutes Stück, ohne Ersatz, abzuzwacken,
würde man dabei im preußischen Abgeordnetenhaus,: und zu-
gleich in zwanzig kleinstaatlichcn Landtagen auf einen Wider-
stand stoßen, zu dessen Ueberwindung wenig Aussicht vorhanden
wäre und dessen Bekämpfung jeden Falls einen Aufwand von
Zeit und Kräften erforderte, welche andern und wichtigem
Zwecken entzogen werden müßten. Nicht bloß in den Preußi-
schen Staatszuständcn und in der Beschaffenheit der deutschen
Verhältnisse, sondern auch in der ganzen Weltlage liegt für
das Berliner Cabinet die dringende Aufforderung, in diesem
Falle einen billigen Vergleich, wie er ohne Schwierigkeit zu
haben ist, einem langwierigen und unsicher» Prozesse vorzuziehen,
und es ist also nicht anzunehmcn, daß die Herausforderungen
und Drohungen, mit denen die in diesem Sinne gestellten For-
derungen und Vorschläge von dem Famulus Wagcner be-
antwortet wurden, der Ausdruck der Gesinnungen des Herrn
und Ministers, geschweige denn dessen letztes Wort gewesen
sind.
Die Ergänzungs- und Nachwahlen scheinen keine nennens-
werthe Veränderung in der anfänglichen Zusammensetzung des
Reichstags hervorzubringcn, sich vielmehr ziemlich gleichmäßig
auf die verschiedenen Hauptgruppen desselben zu vertheilen.
Mehrere der bedeutendsten Männer des preußischen Abgeord-
netenhauses, namentlich die Herren Löwe-Calbe, Forckenbeck

1867.

und Hoverbeck haben ihre Plätze im Reichstage leider immer
noch nicht gefunden. Noch bedauerlicher ist es, daß in Marien-
werder ein polnischer Kandidat mit Hülfe „liberaler" deut-
scher Stimmen die Mehrheit gegen seinen deutschen Mitbewerber
gewonnen hat — wenn anders die darüber von der Neuen
Preußischen Zeitung gemachten Angaben richtig sind, welche
überdies zwei Advokaten als die Urheber dieses Verrathes an
der Nation bezeichnet. Es würde der Mühe werth sein, dieser
Sache auf den Grund zu gehen, wäre cs auch nur, um den
Namen jener Ehrenmänner den verdienten Platz am Pranger
zu verschaffen. — Daß Herr M. Wiggers, der mecklenburg'-
schen Regierung und Junkerei zum Trotz, Eingang in den
Reichstag gefunden, ist ein Triumph der öffentlichen Moral
und der parlamentarischen Gerechtigkeit, welcher um so höher
angeschlagen werden muß, als auch die preußische Regierungs-
partei ihre Mitwirkung dazu nicht versagt hat. Zugleich er-
hält dadurch jene Gesetzgebungspolitik und Justiz eine ange-
messene Beleuchtung, welche — und leider nicht in Mecklen-
burg allein — durch eine im Dienste der Rache angewendete
Strafe. Personen entehren möchte, durch welche im Gegcntheil
die Strafe zu Ehren gebracht wird.
— Die Genehmigung und Veröffentlichung der Stutt-
garter Conferenzbeschlüsse in Betreff der Militärreform in den
Südstaatcn kann für den Beweis gelten, daß in München und
Stuttgart, eben so wie in Karlsruhe, die Richtung auf die
Annäherung an den Norden bis jetzt die Oberhand über alle
Gegenbcstrebungcn behauptet. Läßt der Inhalt der Stutt-
garter Vereinbarungen Vieles zu wünschen übrig, fo stellt er
doch wenigstens die Ueberzeugung der betheiligten Regierungen
außer Zweifel, daß die Einheit der militärischen Organisation
Deutschlands eine Nothwendigkeit geworden ist und daß die-
selbe nur im Anschlüsse an die preußische Heeresverfassung
erreicht werden kann. Eine Abweichung von derselben, welche
in der Bestimmung enthalten sein mag, daß die grundsätzlich
festgehaltene dreijährige Präscnzzeit thatsächlich durch längere
Beurlaubungen abgekürzt werden könne, wird von der öffent-
lichen Meinung in Norddeutschland eben so willkommen ge-
heißen werden, wie südlich dcS Mains, und wahrscheinlich auch
bei der preußischen Regierung keinen ernstlichen Anstoß erregen,
welche sich doch wohl schwerlich einen Hehl daraus machen kann,
daß ihr eigenes System in diesem Punkte sich auf die Dauer nicht
durch führen läßt. Die allgemeine Wehrpflicht steht mit
der dreijährigen Präsenz in einem Gegensätze, welcher auf
die Dauer unerträglich ist und der früher oder später auf
Kosten der letzteren ausgeglichen werden muß. Das nächst-
liegende Ausrunstsmittcl" ist mir jenem Vorbehalte der Stutt-
garter Uebcreinkunft bezeichnet, ein Auskunftsmittcl, welches
übrigens auch bisher schon in Preußen selbst zu einiger, wie-
wohl sehr beschränkten, Anwendung gekommen ist, und dessen
umfassendem Gebrauche kaum ein größeres Hinderniß ent-
gegenstchen mag, als der feste Glaube des Urhebers der heu-
tigen preußischen Wehrvcrfassung an sein „eigenstes Werk".
Persönliche Glaubensartikel sind aber bekanntlich nicht für die
Ewigkeit gemacht.
 
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