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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 90 - No. 93 (7. Februar 1867 - 28. Februar 1867)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0173
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Herausgegeben im Auftrage des Vereins-Ausschusses.


Heidelberg, den 7. Februar.

Inhalt:
Wochenbericht. — Der Nattonalveretn von auswärts betrachtet. — Preu-
ßischer Landtagsbrief. — Von der sächsischen Gränze. — Aus Thüringen.
— Aus Franken. — Verhandlungen zwischen Preußen und Hannover. —
Salzmonopol und Salzsteuer. — Beseitigung der Taris'schen Post.

Wochenbericht.
Heidelberg, 5. Februar.
* Je näher der Tag der Wahlen heranrückt, desto zuver-
sichtlicher wird das Auftreten der Nationalpartet, desto un-
sichrer die Haltung ihrer Gegner. Abgesehen von der preu-
ßischen Regierung selbst, weiß nur die Nationalpartei, was
sie will, und sie will nichts, als was auf der einen Seite
möglich, auf der andern Seite nothwcndig, mit einem Worte
was vernünftig ist. Der altpreußische Conservativismus, der
im Berliner Hcrrcnhause seinen grellsten Ausdruck findet, treibt
ohne Steuer und Ziel auf der hohen See, und hat bereits
den besten Theil seiner Principien und seiner Vergangenheit
über Bord geworfen, um wo möglich wenigstens dieses oder
jenes Stück seiner Selbstsucht zu retten. Der Partikularismus
in den cinverleibten Ländern und den bundcsgenöffischen Staaten,
fast allenthalben gänzlich entmnthigt, wagt kaum anders, als
mit verlarvtem Gesichte und verstellter Sprache aufzutreten,
und bringt der nationalen Sache durch die zaghafte und un-
aufrichtige Weise, in welcher er dieselbe bekämpft, seine un-
freiwillige Huldigung. Der Radikalismus endlich zieht sich,
im Bewußtsein seiner Ohnmacht, vor dem Augenblicke der
Entscheidung aus dem Kampfe zurück, für den er keine bessern
Waffen hat, als Worte ohne sachlichen Inhalt.
Von solchen Worten ist im lieben Deutschland freilich, seit
den ersten Anfängen unseres politischen Lebens, ein ausgiebiger
Gebrauch gemacht worden, niemals aber haben dieselben hohler
geklungen als heute, beim Anprall an eine massive Wirklichkeit.
Allerdings, diese Wirklichkeit ist nicht die Verkörperung eines
Ideals und sie läßt sogar viele billige Wünsche und Forde-
rungen unbefriedigt; was sie uns aber dennoch gibt und leistet,
ist jedenfalls tausend Mal mehr Werth, als alle Versprechun-
gen, mit denen uns Phantasie oder System seit fünfzig Jahren
gefoppt haben. In all' der mündlichen und schriftlichen Be-
redsamkeit, welche sich gegen die mit der Bildung des Nord-
deutschen Bundes begonnene staatliche Entwicklung tagtäglich
ergießt, sucht man vergebens nach irgend einem praktischen
Gedanken, einem brauchbaren Auskunftsmittel, einer Hand-
habe zum Bessermachen. Mit bloßem Pathos aber, gleichviel
ob wahrem oder falschem, mit Witz, Zorn und schönen Re-
densarten ins Blaue hinein ist der öffentlichen Sache wahr-
haftig nicht gedient, am wenigsten in einem Augenblicke der
größten thatsächlichen Entscheidungen. Obendrein sind die
meisten jener Schlagwörter, mit denen man die Forderungen
des Tags zurückweisen zu können meint, unehrlich oder doch
unwahr. — Deutschland, heißt es zum Beispiel, ist durch die
Norddeutsche Bundespolitik in drei Stücke zerrissen — als ob
es jemals ein Ganzes und nicht vielmehr ein Inbegriff von
einigen dreißig Fetzen gewesen wäre, von denen jetzt wenigstens

1867.

die große Mehrzahl zu leidlicher Einheit verbunden wird!
Die Freiheit, sagt man, wird auf dem Altäre der Einheit
geschlachtet — obgleich man nicht ein einziges öffentliches
Recht zu nennen weiß, welches dem Norddeutschen Bunde auf-
geopfert worden wäre oder aufgeopsert werden sollte und wollte.
Für das Berliner Cabinet, fährt man fort, handelt es sich
nur um die Vermehrung der Hohenzollernschen Hausmacht —
als ob innerhalb der monarchischen Verfassung, die wir nun
einmal in Deutschland haben, die nach außen gekehrte Macht
des Königthnms von der auswärtigen Staatsmacht überhaupt
getrennt werden könnte. Der Norddeutsche Bund, sagt man
weiter, ist Großpreußen, und nicht das geeinigte Deutschland
— was in gewissem Sinne richtig sein mag, nur daß der
Norddeutsche Bund zugleich der Sperling in der Hand ist,
daS geeinigte Deutschland aber die Taube auf dem Dache.
Nur ein constituirendes, ein souveraincs Parlament, ruft man
aus, ist der Nation würdig und den Ausgaben der Zeit ge-
wachsen — als ob sich die constituirende Macht hinter dem
Zaune finden, oder auch etwa durch,, Dekret schaffen ließe!
Um ein deutsches Parlament mit der verlangten Souveränetät
auszustatten, müßten vor allen Dingen die bestehenden politi-
schen Gewalten, und insbesondere der preußische Staat, zu
Boden geworfen, vernichtet sein, und bis dahin mit der Re-
conftituirung Deutschlands zu warten, möchte die Sache denn
doch sehr verzögern. Und angenommen, diese Vorbedingung
wäre erfüllt, gibt es denn heute noch irgend einen Menschen
von gesunden Sinnen, der sich einbildet, die Neugestaltung
Deutschlands könnte durch Mehrheitsbeschlüsse einer parla-
mentarischen Versammlung geschaffen werden? Gar nicht zu
reden von dem immerhin sehr wahrscheinlichen Falle, daß in
den wichtigsten Dingen überhaupt keine Mehrheitsbeschlüsse zu
Stande kämen.
Indessen cs handelt sich für die Volkspolittk nicht um
das, was sein könnte, sondern um -das, was ist, und zwar
nicht um die Beurtheilung, sondern um die Bearbei-
tung dessen, was ist. Jeder unbefangene Blick auf den heu-
tigen Bestand der deutschen Sache erkennt die großen Fort-
schritte, welche dieselbe im Laufe des vorigen Jahres gemacht
hat, zugleich aber allerdings auch die große Entfernung, welche
uns noch von dem Ziele trennt. Ist es eine Schwachköpfigkeit, zu
grollen, weil nicht Alles auf ein Mal geleistet oder gewonnen
worden, so würde es eine Schwachherzigkcit sein, sich darüber
zu täuschen, daß das schwerste Stück Arbeit noch zu thun
übrig bleibt. Der Soldat und der Staatsmann, die bis jetzt
allein am Werke waren, werden ohne Zweifel später zu noch
schwereren Leistungen berufen sein, das deutsche Volk aber,
das bis jetzt nur die Rolle des kritisircnden Zuschauers ge-
spielt, hat'endlich ohne weitern Verzug selbst in die Hand-
lung einzutreten, und die unentbehrliche Mitbürgschaft für
deren bisherige und künftige Ergebnisse zu übernehmen. In
diesem Sinne sind die bevorstehenden Wahlen eins der größten
geschichtlichen Ereignisse, die seit Menschengedenken in Deutschland
stattgefunden haben. Durch die Wahlen tritt das deutsche
Volk in die, so zu sagen, persönliche Verantwortlichkeit für den
Bestand und die Fortentwickelung der neuen deutschen Staats-
 
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