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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 76 - No. 80 (1. November 1866 - 29. November 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0093
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des


Herausgegeöm im Auftrage des Mreins - AusfMsfes.


Heidelberg, den 29. November.

Inhalt:
Wochenbericht. — Aus Preußen. — Zur KrankhcitSgcschichte einer Be-
sessenen. — Von der sächsischen Gränze. — Ans Württemberg. — Zur
kurhcssischen Angelegenheit. — Ein österreichischer Fühler. — Zur deutschen
Münzfrage. — Zettungsschau. — Mtttbcilungen aus dem Nationalvcrcin.

Wochenbericht.
Heidelberg, 27. Nov.
*Die preußische Politik hat sich festgefahreu. Hie und
da ein kleiner Anlauf, ein schwacher Ruck — aber der „Staats-
wagen", um im vorsündfluthlichen Zeitungsstyl zu reden, kommt
nicht von der Stelle. Die Alltagsarbeit zwar wird mit ge-
wohnter mechanischer Regelmäßigkeit verrichtet, an die außer-
ordentlichen Aufgaben dagegen, welche der Krieg und der Frie-
den mit sich gebracht haben, ist kaum noch die Hand gelegt.
Wenn von den bevorstehenden Parlamentswahlen viel gespro-
'chen, wenn sogar diese und jene Vorbereitung dazu getroffen
wird, so fehlt doch bisher jeder auch nur vorläusgc .Entwurf
der künftigen Bundcovcrfastung, geschweige denn, daß von
irgend welchem Einverständnisse der betheiligtcn Regierungen
über die dem Parlamente zu machenden Vorlagen die Rede
wäre. Zur militärischen Organisation der neuen preußischen
Provinzen hat man allerdings den Anfang gemacht, für die
mindestens ebenso wichtige politische und moralische Einfügung
derselben in das preußische Staatswesen aber ist bis heute so
viel wie nichts, vielleicht sogar weniger als, nichts geschehen.
Die Ausgleichung des Verfassungskonflikts erweist sich schon
während der Budgetverhandlungen bei jeder Gelegenheit als
eine bloße Verkleisterung; die Regierung beharrt auf ihrem
Kopfe, und das Abgeordnetenhaus, ungeachtet einiger kleinen
Zugeständnisse, auf seinem bisherigen Rechtsstandpunkte. So
geht von der wahrscheinlich sehr kurzen Frist, welche uns zur
Sammlung und zur Festigung der Errungenschaften des vorigen
Sommers gegeben ist, ein kostbarer Monat um den andern
verloren, und. das nächste Jahr, statt uns zur raschen Erwei-
terung des/jetzigen nationalpolitischen Besitzstandes gerüstet zu
finden, wird uns schwerlich auch nur zu einer vollkräftigen Ver-
theidigung desselben in Stand gesetzt sehen.
Auf eine baldige Gelegenheit, sich für die erlittenen Nie-
derlagen schadlos zu halten, rechnen jeden Falls der König
von Hannover und der Großherzog von Darmstadt. Jener
verlangt öffentlich von seinen ehemaligen Offizieren, daß sie
sich für einen demnächstigcn Umschwung bereit halten, welcher
des Welfen-Haus „unter dem Klange der Siegeslieder" nach
Hannover zurückführen wird; dieser spricht gegen huldigende
Deputationen ohne Scheu seine bekannte Hoffnung auf „die
rothen Hosen" aus, die er zwar nicht rufen will, die aber, seiner
Ucberzeugung nach, von selbst kommen werden, um das alte
dynastische Recht und die bundestägliche Ordnung in Deutsch-
land wiederherzustellcn. Bei einer solchen Offenherzigkeit darf
man sich denn auch über die sonst unbegreifliche Erscheinung
nicht länger wundern, daß die darmstädtische Regierung, trotz-
dem, daß ein Drittel des Großherzogthums dem norddeutschen

1866.

Bunde anheimgefallen, in ihrer Presse und durch ihre Be-
amten einen förmlichen Kriegszustand gegen Preußen unter-
hält. Insbesondere bei den gegenwärtigen Neuwahlen zum
darmstädtischen Landtage tritt die Feindseligkeit der großher-
zoglichcn Regierung gegen Preußen so grell hervor, als ob
man den förmlichen. Bruch geflissentlich herbeiführen wollte
und als ob man des mächtigsten Rückhalts für alle Fülle voll-
kommen gewiß wäre. Achnliche Erscheinungen zeigen sich in
Stuttgart, und wenn dieselben in München nicht so deutlich
an die Oberfläche treten, so zweifelt doch kein Mensch, daß
die entsprechenden Gesinnungen auch in Baiern vorhanden sind.
Kurz, die preußische Regierung har die vollgültigsten Zeug-
nisse dafür, daß man in manchen deutschen Residenzen und
Hoflagern seine ganze Hoffnung auf den Ruin Preußens stellt,
der natürlich nur durch den Beistand des Auslandes bewerk-
stelligt werden kann. Wird man sich in Berlin, Angesichts dieser Ge-
wißheit nicht endlich dazu verstehen, ein Gegengewicht gegen
die tödtliche Feindschaft der Cabinette in der Bundesgenossen-
schaft des Volkes zu suchen ? Leider har cs nicht den Anschein,
daß cs unter den gegenwärtigen Machthabern jemals dazu
kommen werde.
— Die Reise des Königs von Baiern durch die vom
Kriege heimgesuchten Provinzen ist, wie die Allg. Zeitung sich
aus München schreiben läßt, „ein Triumphzug." Dazu stimmt, .
daß die bäurische Regierung eine Denkmünze auf den Feldzug
ihrer Truppen schlagen und an alle Soldaten, die denselben
mitgemacht haben, vertheilen läßt. Man sieht, die Ueberein-
stimmung zwischen Regierung und Volk in Baiern ist voll-
ständig wenigstens im Punkte einer beispiellosen Genügsamkeit.
— Die zwanzig Landtage des Habsburg'schen Kaiser-
staates sind versammelt, um sich wieder einmal an der harten
Nuß des österreichischen Versaffungsproblems abzuarbeiten.
Der Schwerpunkt der zu diesem Zwecke geführten Verhand-
lungen liegt natürlich in Pesth. Die den Ungarn entgegen-
gebrachten Regicrungsvorschläge scheinen in ihren Zugeständ-
nissen an die politische Selbstständigkeit des Magyarenftaates
bis an die Gränze der Möglichkeit zu gehen. Als gemein-
schaftliche Angelegenheiten der Gesammtmonarckste werden, ab-
gesehen von der auswärtigen Politik, nur Vorbehalten: Heer,
Staatsschuld, Zollwesen — ein Minimum, unter welches man
in der Wiener Hofburg nicht hinuntergehen kann, ohne die
innere Auflösung des Kaiscrstaats auszusprechen, das aber den
Ungarn schwerlich genügen wird, wenn sie nicht etwa über
Nacht um die Hälfte bescheidener geworden sind, als sie bisher
waren.
In den Landtagen der deutschen Provinzen herrscht Rath-
und Muthlostgkett. Man hat keine Zielpunkte und keinen
Glauben. Parteien und Programme sind allerdings in Ueber-
fluß vorhanden, aber die ersteren schon durch ihre endlose Zer-
splitterung zur Ohnmacht verdammt und die letzteren vermöge
ihrer Nebelhaftigkeit durchaus unpraktisch. Die plötzliche Spann-
kraft, welche die Berufung des Hrn. v. Beust in das politische
Leben Oesterreichs zu bringen schien, ist bereits wieder erlahmt.
Herr v. Beust ist sicherlich ein ausgezeichneter Kopf, aber im-
merhin kein Hexenmeister. Seine beste Eigenschaft war jeden
 
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