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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 81 - No. 84 (6. Dezember 1866 - 27. Dezember 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0102
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634

die bekannten Kraft- und Kunstmittel im alten Preußen die
größten Wahlsiege gewinnen, in Hannover, Kurhessen, Nassau
wird sie damit auf Jahrzehnte hinaus nichts ausrichten; eine
geschlossene Opposition der Vertreter der neuen Provinzen in
einer Landrathskammer aber wäre eine sehr gefährliche Er-
scheinung, viel gefährlicher als die größte parlamentarische
Mehrheit der Fortschrittspartei im bisherigen Preußen.
Die jetzigen Wege der preußischen Politik haben dieselbe
bis hart an den Punkt geführt, wo die Welt mit Brettern
zugenagelt ist. Nochmals: so geht cs nicht weiter. Stillstand
ist eine Unmöglichkeit, Umkehr wäre Raserei; es gilt also, die
neue Bahn einzuschlagen, welche längst offen vor Aller Augen
liegt. Hr. v. BiSmarck ist endlich nach Berlin zurückgekchrt.
Ob er der Mann ist, die durch die Lage des Staats und der
Negierung geforderten Entschlüsse zu fassen und durchzusetzen,
wird sich wahrscheinlich schon in den nächsten Tagen zeigen. Ange-
sichts der, allem Anscheine nach, unmittelbar bevorstehenden
Krisis ersparen wir uns alle Vermuthungen über deren Ausgang.
— Bei den Hessen-Darmstädtischcn Landtagswahlen hat
das Ministerium Dalwigk die Oberhand behalten. Freilich nur
mit Anspannung aller Kräfte und durch eifrige Bewerbung
um den Beistand der „Demokraten", welche an vielen Orten
Arm in Arm mit den Ultramontanen und dem ganzen Auf-
gebot der großherzoglichcn Staatspolizei zur Wahlstätte ge-
gangen sind. Das Bindemittel dieser scheckigen Bundcögenos-
senschaft konnte natürlich kein anderes sein, als die gemein-
schaftliche Feindschaft gegen Preußen. Hessisch oder preußisch
— heißt die öffentlich ausgegebene Losung. Hr. v. Dalwigk
hat, wie gesagt, unter diesem Fcldgeschrei gesiegt, und sein
Ministerium gerettet — aber auf Kosten des Staats. Kein
verständiger Mensch wird in der That verkennen, daß den
Interessen des Großherzogthums Darmstadt nicht schlechter
gedient werden konnte, als durch die Kundgebung des ohn-
mächtigen Hasses seiner Regierung gegen das nämliche Preu-
ßen, welches die eine der drei Provinzen des Landes und die
Festung Mainz in Händen hat.
Unter nationalem Gesichtspunkte hat man indessen keine
Ursache, sich über die Rücksichtslosigkeit der ministeriellen Selbst-
sucht des Hrn. von Dalwigk zu beklagen. Im Grunde ge-
nommen ist der deutschen Sache doch ein Dienst dadurch er-
wiesen.
Herr v. Dalwigk hat ein neues lautes Zcugniß von den
Gesinnungen abgegeben, die in der großen Mehrzahl aller
deutschen Residenzen zu Hause sind, nur daß sie sich nicht
allenthalben offen hervorwagen. In Berlin wird man beim
besten Willen nicht umhin können, dieses Zeugniß zu den Akten
zu nehmen und sich selbst zur Lehre dienen zu lassen. Nebenbei
hat sich im Verlaufe der darmstädtischen Wahlen wieder ein-
mal hcrausgestcllt, daß einzig und allein die Nationalpartei
es ist, welche fest zu Preußen hält, und in und mit ihr der
wohlhabende und gebildete und demgemäß liberale Mittelstand,
welchen die preußische Cabinetspolitik nut systematischer Feind-
seligkeit zu behandeln gewohnt ist.

vr. Friedrich Lang.
sH Wiesbaden, 25. Nov. Heute haben wir unsern
Lang begraben. Einen solchen Leichenzug hat Wiesbaden noch
nicht gesehen. Er bewegte sich endlos mitten durch den strö-
menden Regen. Vorn die Musik. Dann die Turner, die
den Sarg trugen. Dann die Familie und die Nachbarn.
Hierauf Lang's Kollegen, die Abgeordneten des letzten Land-
tags von Nassau. Weiter die Mitglieder der Staats- und
Gemeinde-Behörden. An der Spitze der ersteren der Civil-
commissär, Herr von Tuest, an der Spitze der letzteren Herr
Fischer, Bürgermeister von Wiesbaden. Dann die Deputa-
tionen aus dem Lande Nassau, Notabeln aus dem Main-,
dem Lahn- und dem Rhein-Gau, aus dem Dillgrnnd, vom
Taunus und Westerwald, aus allen Städten und Städtchen
des Landes. Hierauf die zahlreichen Gesang-, Schützen- und
sonstigen Vereine der Stadt Wiesbaden, ihre Fahnen, Stan-

darten und Embleme mit Trauerflor umhangcn. Endlich die
Bürgerschaft von Wiesbaden und eine zahllose Ruhe von
Equipagen. Auf dem Friedhöfe gingen für Alle, die nicht
in unmittelbarer Nähe des Grabes standen, die milden Worte
des Geistlichen und die kräftige Gedächtnißrcdc eines der jüngeren
Freunde des Verstorbenen, des Herrn Carl Scholz' von
Wiesbaden, vormaligen Abgeordneten zur ersten Kammer, —
die älteren Freunde waren von dem Verluste zu scbr erschüttert,
um sprechen zu können, — in dem endlosen Rauschen deS
Regens verloren. Aber Keiner wich, bis die Feier zu Ende
war. Auch viele politische Gegner Lang's hatten sich zu der-
selben cingefundcn, um, unbeschadet ihrer gegentheiligen Welt-
anschauung, dem edeln Charakter des Verstorbenen ihre letzte
Huldigung darzubringen.
So wurde in der Hauptstadt des Landes Nassau der Mann
begraben, den der Herzog Adolf als seinen persönlichen „Feind"
prokiamirt, den er in die Acht- und Aberacht erklärt, gegen
den er seine gedungenen Prcßbanditen, die unaufhörlich von
den Gerichten bestraft und von dem Herzog begnadigt wurden,
losgelassen, und den er mit allen Mitteln der Allmacht eines
bis zum Uebermaß bürcaukratisch-absolutistischen Zwergstaats
zu vernichten gesucht hatte, — Mittel, denen Lang nichts
entgegenzusetzcn hatte, als seinen Bürgermuth und sein Selbst-
bewußtsein, sein reines Gewißen und das Vertrauen seiner
Mitbürger, welche nicht irre an ihm wurden, obgleich die
Klerisei, im Bunde mit den Gesellen der Spielhölle, die La-
kaien und die Schreiber, der hohe und der niedere Pöbel,
gegen ihn hetzten, und die zweite Kammer dreimal, haupt-
sächlich Lang's und Braun's wegen, aufgelöst wurde. Viermal
hob ihn die Hauptstadt des Landes auf den Schild. Und
zum fünften und sechsten Male würde sie ihn gewählt haben,
sowohl zum Reichstag, als zum Abgeordncten-Hause in Berlin,
wenn nicht das unerbittliche Schicksal plötzlich seinen Lebens-
faden abgcschnitten und uns nichts mehr übrig gelassen hätte,
als ihn zu Grabe zu geleiten, in einer Art, die bisher hier
einem Privatmanne noch nicht zu Theil ward und die durch
allen officicllen Pomp nicht ersetzt werden kann.
Lang hat diese letzte Ehre in vollem Maße verdient; ebenso,
wie die sonstigen Auszeichnungen, welche ihm durch seine Mit-
bürger zu Theil wurden. Nach anderen hat er nie gestrebt.
Es war ein Mann von einfachen Sitten und Lcbensgewohn-
heiten; in Allem was er that, schlicht, gerade, offen.
Eine Kernnatur in allen Dingen, war er cS vorzugsweise
in der Politik. Er trieb dieselbe nickt, wie so Viele im deut-
schen Vaterlande, als Dilettant in den Musestundcn, sondern
betrachtete und behandelte sie als seinen obersten Lcbensbcruf,
dem er oblag mit der ganzen Treue und Hingebung, Zähig-
keit und Opfcrwilligkeit, die ihm eigen war. In öffentlichen
Angelegenheiten kannte er keine Rücksichten. Er war streng
gegen die polilischen Gegner, strenger noch gegen seine eigenen
Parteigenossen, aber am strengsten gegen sich selbst. Selbst
in dem letzten Jahre, als schon, wie „der Rheinische Kourier"
sagt, „sein Antlitz jene bedenklichen Schattirungcn zeigte, welche
dem kundigen Auge das hereingcbrochene Verhängniß offen-
baren", selbst nachdem ihm sein Arzt, der sein ganzes Vertrauen
besaß und es verdiente, gesagt hatte, jede Anstrengung und
noch mehr jede Aufregung könne die verderblichsten Folgen
für ihn haben, warf er sich mit desto größerem Eifer täglich
wieder von Neuem in die politische Bewegung, je größer die
Gefahren, und je zahlreicher die Schwierigkeiten waren. Deß-
halb ertrügen denn auch seine Freunde und Parteigenossen von
ihm, und nur von ihm, jedes Wort des Tadels und der Zu-
rechtweisung, selbst daS herbste; denn sie wußten, cS kam aus
treuem Herzen und tiefinncrster Ucberzeugnng. Er konnte
mit Nathan (bei Lessing) sprechen: „Es ist Arznei, nicht Gift,
was ich Dir reiche." Dabei kam ihm eine wahrhaft seltene
Menschenkenntnis, zu statten, welche es ihm möglich machte,
auf den ersten Blick Kern und Aeußcrlichkeit, Wahrheit und
Schein zu unterscheiden und die wirklichen Beweggründe hinter
der voraeschobenen Dekoration mit überraschendem divinatori-
schcm Scharfsinne zu finden und zu enthüllen. Niemals wurde
er von falschen Anhängern getäuscht, nie von den Gegnern
 
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