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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 76 - No. 80 (1. November 1866 - 29. November 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0100
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632

kammer am 2g. August 1866 In der Debatte über den FricdcnSvertrag,
der ParticittariSmuS ist der Wurm, der an der Macht, an der Ehre, an
den Interessen GesamuttdcutschlandS zehrte. Warum an der Ehre? Wett
derselbe die deutschen Mittelstaaten, Bayern vor allen, zu einem Bündniß
mit Frankreich gegen den deutschen Norden drängen muß. Warum an den
Interessen? Weil er unter der Firma de« Schutzes gewisser Hoheitsrcchtc
Bayern so weit treiben kann selbst mtlzuhelfen, daß die schönste Perle der
Krone, die Pfalz, unwiederbringlich verloren geht Dieser Standpunkt ist
auch nicht der des bayerischen Volks, welches sich durch ein mit großer
Mehrheit gefaßtes Votum seines Abgeordnetenhauses, nicht für bedingungs-
losen Eintritt in den norddeutschen Bund, wohl aber für Anbahnung eines
enge» Anschlusses an den deutschen Norden mit dem Bande gemeinsamer
parlamentarischer Verfassung ausgesprochen hat. Ich habe allen Grund,
zu glauben, daß der Lenker der bayerischen Politik diesen Ausdruck der
VolkSmcinung bisher ignorirt hat."
„Es ist richtig, daß die Operationen des 7. und 8. Armee-
corps im letzten Krieg und die Vota der drei süddeutschen Kam-
mern in den jüngsten Tagen so wenig Ucbcrcinstimmung gezeigt haben,
daß der Versuch der Bildung eines süddeutschen Bundes keine Aussicht auf
Gelingen biciet. Za cS ist als ein erfreuliches Zeichen zu betrachten, daß
der gesunde Sinn der Bevölkerung sich von einem Versuch abwcndet, der,
selbst wenn er gelänge, nur eine vermehrte Auflage paritculartsitscher Be-
strebungen zu Tage fördern würde."
„Ebenso richtig ist, daß das Aufgchen der Einzelnsouveränetät in Preu-
ßen, wie solches unter vem Namen Norddeutscher Bund von einer starken
Partei in Berlin angestreht wird, vom Volke nicht gewollt, und am we-
nigsten von einem bayerischen Minister befürwortet werden kann."
„Nicht minder richtig aber ist, daß der deutsche Norden durch eine mehr
als tausendjährige Vereinigung unser natürlicherBuncesgenosse, und daß es
Aufgabe Bayerns ist, eine Form zu finden, welche diese Bundcsgenosscuschaft neu
gründet und aller Welt offen darlcgt. Die bayerische Selbständigkeit kann
neben solcher Form bestehn, wenn nur nicht vergessen wird, daß einzelne
Hoheitsrcchtc, wie namentlich der Oberbefehl im BundeSkrieg, den ein-
zelnen Souveränen schon durch die deutsche BundeSacic entzogen waren,
und jetzt offenbar an ric Centralgewalt abzugeben sind, welche an die
Stelle des Bundestags zu treten hat. Als Anknüpfungspunkt der Unter-
handlungen könnten demnach die Vorschläge benützt werden, welche Preu-
ßen selbst unmittelbar vor dem Krieg für Reform der Bundesverfassung
ausgestellt hat. Als das wesentliche Erfvrderniß, ohne welches jeder solche
Versuch scheitern muß, und ohne welches die bayerische Souveränetät noch
wett dringenderen Gefahren entgcgcngcht, und ohne welches Bayern, ich
wiederhole es, zum Rheinbund gedrängt würde, obgleich die Anhänger des-
selben in Bayern an den Fingern abzuzähle» sind, erscheint jedoch, daß die
preußische Regierung die Ucberzeugung gewinne, daß die bayerische eine
verfassungsmäßige BundcSgenoffcnschaft mit dem übrigen Deutschland wirk-
lich will, und ehrlich und ernstlich austrcbt. Diese Ucberzeugung besteht
heute in Berlin nicht, und kann nicht wohl bestehen. Sic besteht nirgends.
Offene Adoptirung des Programms der bayerischen Abgeordnetenkammer-
unter Wahrung der bayerischen Souveränetät, also ohne bedingungsloses
Aufgchen in den preußischen Staat, ist Aufgabe der bayerischen Politik."

Mittheilungen aus dem Nationalverein.
Der Geschäftsführer hat ein Rundschreiben folgenden Inhalts an die
Agenten des Vereins ergehen lassen:
„Wennschon das Vereinsstatut bekanntlich keinerlei auch nur indirekte
Nöthignng enthält, jedes Jahr die Generalversammlung zu -berufen, so
konnten es doch nur ganz überwiegende Rücksichten sein, welche den Aus-
schuß bestimmten, von dem bisherigen Gebrauch abzuweichen, und die
Einberufung auf das nächste Jahr zu vertagen. Zunächst war, auch ab-
gesehen von der Jahreszeit, bei der gegenwärtigen, noch so wenig ani-
mirten Stimmung, aller Grund, zu besorgen, daß die Versammlung nur
sehr schwachen Besuch von auswärts, mithin ein vorwiegend lokales Ge-
präge erhalten und schon dadurch in ihrer Wirkung stark beeinträchtigt
werden möchte. Sodann aber dursten wir urrs nicht verhehlen, daß der
in unserer Partei, wie innerhalb der ganzen Nation vor sich gehende Gäh-
rungS- und Umbildungsprocess noch zu wenig vorgerückt sei, als daß er
es bereits zu einem festen Niederschlag allseitig anerkannter neuer Richt-
punkte gebracht hätte. Vielmehr laufen die Ansichten in wesentlichen
Fragen noch aus- und durcheinander und nur bezüglich solcher könnten
wir es zu einmütbigen Beschlüssen rn einer größeren Versammlung brin-
gen, über welche, wie z. B. über das Vcrhältniß zum deutschen Süden,
es einer Cvnstalirung unserer Einmüthigkctt nicht mehr bedarf. Der
Rus nach einem neuen Programm ist eben so allgemein, als die Vor-
schwebungen über dessen Inhalt noch schwankend und getheilt sind. Wohl
aber können wir auf rasche Abklärung hoffen, sobald die in der Ansprache (des
Ausschusses an die Vereinsgenossen, s. die vorige Nummer des Wochenblatts)
bezeichneten Voraussetzungen erfüllt und in den Vorlagen der norddeutschen
Bundesregierungen, so wie dem Charakter und der Haltung des Reichs-
tags die festen Punkte gegeben sind, an welche sich die Auffassung über
unsere nächste Zukunft und die uns obliegenden praktischen Aufgaben
Wied «»lehnen können."

.'-'„Alsdann aber wird, nach Ansicht des Ausschusses, auch der Zeit-
punkt gekommen sein, wo der Generalversammlung die eigene Lebens-
frage des Vereins zur Entscheidung vorzulegen ist. Daß die liberale Na-
tionalpartei ihre Thäligkeit für die freiheitliche Einigung von Gesammt-
deutschland nicht eher cinstellen dürfe, als bis dieses Ziel erreicht ist, da-
rüber sind wir wohl Alle einverstanden. Aber es fragt sich, ob für diese
Thäligkeit die bisherige Form unserer Verbindung beinhalten, oder ob
eine neue an ihre Stelle gesetzt werden soll? Auch hierüber werden wir
besser entscheiden können, wenn wir erst wissen, was wir von den officiellew
Faktoren unserer nationalen Entwicklung zu erwarten haben."
„Bis dahin aber ist es selbstverständlich die nächste und erste unserer
politischen Wichten, mit Anspannung aller verfügbaren Kräfte und Mittel
dahin zu arbeiten, daß der eine jener Factoren, der Reichstag, mit der
vollen Fähigkeit zur Erfüllung seines Berufes ausgerüstet in'S Leben trete.
Sie Alle kennen die neuen und besonderen Schwierigkeiten, welche wir bei
den bevorstehenden Wahlen für diese Körperschaft zu besiegen haben
werden; sie fordern unsere verdoppelte Anstrengung heraus, wollen wir
nicht, daß durch ein „Spottparlamen!" unsere ganze nächste Zukunft ver-
fahren und verdorben wird. Es schien dem Ausschuß aus verschiedenen
Gründen unthunlich, daß der Naüonalverein als solcher die Wahlagitation
in die Hand nehme. Wohl aber liegt uns ob, dieselbe im Anschluß an
die, aus allen verwandten Elementen zu bildenden Eomite'S der einzelnen
Bundesländer, insbesondere an den Berliner Central-Wahlausschuß, mit
dessen jüngstem Aufrufe der Ausschuß sich in vollem Einverständnisse-be-
findet, nachdrücklich zu unterstützen. Auch hak der Ausschuß bereit« eine
namhafte Summe zu diesem Zwecke bestimmt und hossi, d h es gelingen
werde, neben den lokalen einen allgemeinen WehligitationSfvudS zu be-
gründen, durch welchen dem verschiedenen Bedürfnis) der einzelnen Wahl-
kreise ausgleichend und ergänzend Rechnung getragen werden kann *)"
„Nur wenn wir uns ernstlich rühren, ernstlicher als seit Jahren,
werden wir diesmal den Sieg davon tragen. Die blendenden Erfolge,
welche die preußische Regierung, aus dem Schlachtfeld und am grünen
Tische, in diesem Sommer errungen, haben in vielen Kreisen den Wahn
verbreitet, als könne und werde das Werk der narwualen Neugestaltung,
wie es ohne den Beistand der Voltspolitik begonnen, so auch ohne diesen
Beistand, allein durch das Glück und Geschick der leitenden Hand in
Berlin, zur Vollendung gebracht werden. Da« Trügerische dieser Vor-
stellung ist Ihnen gegenüber urinölhig darzulegen; Sie wissen, um von
allem Anderen zu schweigen, daß die innere Festigkeit de« zu errichtenden
Slaatswe;ens sowohl, als seine Anziehungskraft auf Süddeutschland, wie
nicht minder der Respekt, den es dem Ausland einflößt, wesentlich mit
abhängen wird von dem Maße der Freiheit uird Volksthümlichkeit feiner
Verfassung und Institutionen. Sie wissen ferner, daß die Freiheit sich
nur erarbeiten, niemals schenken läßt, selbst nicht von einer Regierung,
deren Liberalität in dieseni Punkte weniger fragwürdig ist, als die der
preußischen. Und auch zugegeben, daß sie gerade um ihrer jetzigen deut-
schen Politik willen ein starkes eigenes Interesse hat, freiheitliche Einräu-
mungen zu machen , so wird cs doch eures steten und ausgiebigen Nach-
schubs voir unserer Seite bedürsen, um in den vielen zur Lösung kom-
menden Fragen diesem Interesse über mächtige Gegenwukungeu zum
Siege zu helfen. Wohl aber ist, eben durch die zwischen uns und Preu-
ßens Negierung heute bestehende Gemeinsamkeit in einer Reihe praktischer
Ausgaben der deutschen Politik, unsere Lage,weitaus günstiger und für die
Selbstthätigkeit der Nation anfmunternder geworden, als sie je seit Bestand un-
seres Vereins, und besonders die letzten Jahre hindurch gewesen. Es war vor
Allem der, aus der Unreife unseres deutschen politischen Lebens entsprun-
gene, innere Constikt in Preußen, durch welchen die liberale Rationalpartei
von Jahr zu Jahr mehr Boden verlor, in immer schwierigere und un-
dankbarere Zwischenstellungen gedrängt und in immer mühsamer auszu-
gleichenden Zwiespalt im eigenen Lager gebracht wurde. Dieser Constikt
ist für'S Erste beseitigt, aber die Nachwirkungen der Uebel, die er für uns
im Gefolge gehabt hat, sind noch nicht alle überwunden; von dem un-
fruchtbaren Bemühen der verflossenen mageren Jahre rst an vielen Stellen
Ermattung und Ueberdruß zurück geblieben. Hoffen wir und lhun wir Alle
das Unsrige, daß bald überall neuer Muth und neue Freudigkeit sich ein-
stelle für das Schaffen auf dem neuen Arbeitesseld!"
„Daß und in welcher Weise auch unsere Mitglieder in den Süd-
staaten an dieser Arbeit sich betheiligen können, brauche ich nicht erst aus-
zuführen. DaS Interesse, welches sie haben, daß eine würdige und volks-
thümliche Vertretung des Nationalwillens im Norddeutschen Reichstage
erstehe, ist nicht minder stark und gebieterisch als das unsrige."
— Am 22. d. M. starb am Herzschlage unser Ausschussmitglied, Dr- F.
Lang in Wiesbaden. Die Nationalparlei hat mit ihm einen ihrer besten
Männer in der Fülle der Krast verloren. Einen Nekrolog aus bewährter
Feder werden wir in unseren nächsten Nummern bringen.

*) Der Geschäftsführer ist zur Empfangnahme von Beiträgen für
denselben bereit, nnd wird regelmäßig im Wochenblatt de« Nationalvereins
darüber quiltiren.

Verlag der Erpcdition des Wochenblatts des NationalvercinS. — Rcdigirt unter Verantwortlichkeit von K. Schwab in Heidelberg.
Druck von G- Mohr in Heidelberg.
 
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