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Deutscher Nationalverein [Editor]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 72 - No. 75 (4. Oktober 1866 - 25. Oktober 1866)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0060
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592

Thaler- Aehnlich ist e« in Weimar, in Etsennach, Gotha, Coburg, Al-
tenburg. Zn allen diesen Städten giebt es aus Landesmitleln erhaltene
Gymnasien und Lycecn; aber die Gemeinden haben sich damit nicht be-
gnügt. Um den guten Unterricht auch den ärmsten Kindern zugänglich zu
machen, find überall, mit großen Opfern für die Gemcindckaffen, Volks-
schulen errichtet worden, in denen nicht nur die einfachen Elemente der
Bildung: Schreiben, Lesen, Rechnen, Religion, sondern auch Geschichte,
Geographie, deutsche Sprache, Physikc, Mathematik, Naturgeschichte, so-
wie selbst Französisch und Lateinisch gelehrt wird, während das Turnen
bet der männlichen Schuljugend überall in Thüringen ein obligatorischer
Unterrichtsgegenstand ist. Auf dem glatten Lande fällt natürlich das La-
teinische und Französische weg, allein außer den üblichen Elementarunter-
richtSgcgenständen finden Sie auch Geschichte und Geographie in jeder kleinen
Dorfschule. Eine alleiniges Ausnahme macht das Fürstenthum Rcuß-
Greiz, wo die vrthodorc Fürstin Caroline zwar viel betet und beten läßt,
aber wo der Unterricht im Verhältnis zu dem übrigen Thüringen noch
sehr im Argen liegt.
Alles in Allem wird Preußen aus Thüringen einen zahlreichen und
sehr gebildeten Zuwachs zu seinem Heer erhalten. Aehnliches wird mit
den meisten übrigen norddeutschen Ländern der Fall sein, wie mit Brauu-
schwetg, Oldenburg, den Hansestädten, wo der Vvllsunterricht auch eine
rühmliche Stellung einnimmt! —
Wie ganz anders ist eS da in Oesterreich. Der Wiener Gemeinde-
rath, vielleicht die intelligenteste Versammlung und Behörde in der ganzen
Habsburg'schen Monarchie, weiß, wo Oesterreich der Schuh am stärksten drückt.
Er will ein Lehrerpädagogtum errichten, in welchem gute Volksschullchrcr
gebildet werden sollen. Aber wozu braucht Oesterreich gebildete Bürgers
wenn es nur gute Untherthanen und gläubige Seelen hatt Der Statt-
halter von Niedcrösterretch verbietet die Errichtung des LchrcrpädagogiumS,
weil die Herren Cardinal Rauscher und der päpstliche Nuntius darin ei-
nen Eingriff in die Rechte der römisch-katholischen Kirche und Gefährdung
des Concordais erblicken.
Die Volksschulen in Norddcutschland, in den annectirien, wie nicht
annectirten Ländern, sind Dank der Energie und der Intelligenz der Ge-
meinden eine der besten Bürgschaften für das Gedeihen der öffentlichen
Freiheit; — nur ein gebildetes, aufgeklärtes Volk versteht es, nicht nur
die Freiheit zu erringen, sondern auch zu behaupten, eine Fähigkeit, die
nicht viele Nationen besitzen. Aber die Bildung ist auch eine Waffe für
die Unabhängigkeit der Nation, und was intelligente Soldaten gegenüber
ungebildeter Tapferkeit zu leisten vermögen, das hat uns das Jahr 1566 gezeigt.
Zeitungsschau.
Ueber die Art und Weise, in welcher die preußische Negierung die
innere Versöhnung versteht und die Amnestie handhabt, schreibt die Danzi-
ger Zeitung: „Gegen denselben Twcstcn, der vorzugsweise dazu bcigetra-
gcn hat, daß der Schleier der Vergessenheit über die, wie die Minister
selbst es wiederholt anerkannt haben, durch die Verfassung nicht gerecht-
fertigte budgctlose Verwaltung geworfen wurde, gegen eben diesen Twesten
hat der Ober-SlaaiSanwalt beim Kammergcricht 26 Tage nach crtheilier
Indemnität die Diseipltnar-Unlersuchung beantragt. Er hat sie beantragt,
weil der um das Land hochverdiente Abgeordnete am 4. Juni, also 14
Tage vor der königlichen Kriegserklärung an Oesterreich, eine Wahlrede
gehalten har, in welcher er die Minister um derselben Handlungen willen
getadelt hat, um derentwillen sie später selbst von dem Abgeordnetenhaus!!,
also auch von ihm, Indemnität erbeten und erhalten haben. Wir sind
weit davon entfernt, den Antrag des Ober-Staatsanwalts dem gejammten
Ministerium zur Last zu legen. Wir lassen auch dahingestellt, ob der
Ober-Staatsanwalt seinen Antrag ohne Wissen oder gar gegen den Wil-
len des Justiz-Ministers gestellt hat. Graf zur Lippe hatte aber jedenfalls
die gesetzliche Befugniß, dem Ober-Staatsanwalt die Stellung seines An-
trages zu untersagen. Er hat von dieser Befugniß keinen Gebrauch
gemacht. Freilich behaupten wir nicht, daß der Minister durch diese
Unterlassung, auch nicht, wenn er aus eigenem Antriebe die Erhebung der
Anklage gegen Twesten veranlaßt haben sollte, daß er durch diese Hand-
lung mit sich selbst in Widerspruch getreten wäre. Im Gegcntbcil, er hat
bet der Verhandlung über das Jndcmnitätsgcsctz, bei welchem zu sprechen
gerade zu seinem Reffort gehörte, consequent geschwiegen. Wir bezweifeln
auch nicht die Richtigkeit der Erzählung, daß er im Ministcrrathe Wider-
spruch erhoben hat, znerst gegen das JndemnilätSgesuch und später gegen
den Erlaß der Amnestie. Er wäre also nur sich selbst treu geblieben und
hätte überdies kein positives Gesetz verletzt, selbst wenn er den Ober-
StaatSanwalt direkt mit der Stellung der Disciplinar-Klage gegen Twe-
stcn beauftragt hätte. Aber in dieser Conscquenz liegt es auch, daß des
Grafen zur Lippe Stelle ferner nicht ist in einem Ministerium, welches
durch die oben genannten Schritte, wie Graf Eulenburg sagt, die Präli-
minar-Grundlage zu einem wahrhaften und dauernden Frieden zwischen der
Regierung und der Volksvertretung festgestcllt hat."
Daß die Verhandlungen mit Sachsen schließlich doch in Flauheit und
Halbheit enden und die nachtheilig ste Rückwirkung auf die Gestaltung des „Nord-
deutschen Bundesstaats" ausüben werden, wird mehr als wahrscheinlich durch die
folgenden MittheilungenderZciiler'schen Korrespondenz: „Beiden militärischen
Bestimmungen dcS Friedensvertrags mit Sachsen handelt cS sich nicht um eine per-
manente Besetzung einzelner Positionen deS Königreiches mit preußischen Trup-
pen, sondern um provisorische Anordnungen dieser Art, deren Dauer von dem
Zeiträume abhängt, welcher für die Reorganisation der königlich sächsischen
Armee erforderlich sein wird. Es versteht sich von selbst, daß während

dcS in letzterer Hinsicht cintrctendcn Ucbergangs-Stadiums preußische Trup»
pentheilc im Königreiche anwesend bleiben müssen; es ist aber auch ein-
leuchtend, daß diese Occupativn nach Beseitigung des Kriegs-Zustandes den
sächsischen Gemeinden keine finanzielle Last bereiten wird. Die preußische
Negierung hat in den Verhandlungen mit dem Könige Johann alles ver-
mieden, was als ein Bestreben, dem besiegten deutschen Fürsten eine Dc-
mülhigung zuzufügen, hätte ausgelegt werden können. Sobald sich daher
der König von Sachsen überzeugte, daß die Bedingungen, die man ihm
anlrug, rein und allein im Interesse deutscher Gesammthcit-Sicherhcit for-
mulirt waren, daß man nicht so sehr an sein Gefühl der Niederlage, als
an seinen deutschen Patriotismus und an seine Verpflichtung für dar Wohl
des sächsischen Volkes appclltrre, so mußten seine Bedenken schwinden und
das FriedenSwcrk rasche Fortschritte machen. Es ist alle Aussicht "vorhan-
den, daß inmitten der Theilnahme Sqchsens an den Schicksalen und Ar-
beiten deS regcnerirten Norddeutschlands alle mißlichen Erinnerungen, die
sich noch bet einzelnen Elasten der sächsischen Bevölkerung an den Krieg
knüpfen möchten, verschwinde» werden. Je mehr diese Hoffnung sich ver-
wirklicht, desto mehr wird man dem Königreiche alle diejenigen Bestimmun-
gen, die wie eine mißtrauische Fessel aussehen würden, erlassen können.
Es ist nicht die Sache Preußens, in dem von ihm geschaffenen Staatcn-
Complcrc durch Erregung bitterer Empfindungen und Nebenbuhlerschaften
die heilsame Wirksamkeit der gemeinsamen Institutionen zu beeinträchti-
gen. Da« freisinnige, arbeitsame, einsichtige sächsische Volk wird volle Ge-
legenheit behalten, seine Eigenschaften zum Vvrthcilc des Ganzen zu ent-
wickeln, und die Zeit ist nicht mehr fern, wo cS cinsehen wird, daß die
schwere Krisis, welche es nunmehr bestanden bat/, zii seinem Besten aus-
geschlagen."
Die „Allgemeine Militär-Zeitung" in Darmstadt Icharaktcrisirt die
Militärvcrhältniffe der deutschen Mittel- und Kleinstaaten wie folgt:
„Während in Deutschland ein Natioualverein sich eonstituirte, ein deutscher
Schützenbund mit gleichen Bestimmungen und Büchsen gleicher Centnuction
errichtet wurde; während Wehr-, Turn- und sogar Gesangvereine sich nach
denselben Gesetzen freiwillig leiten ließen, um dem Drange nach Einheit
zu genügen und das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu entwickeln und zu
pflegen; während dicß Alles in Deutschland unter unseren Augen vorging,
zeigte man in den „maßgebenden" militärischen Kreisen eine solche Gleich-
gültigkeit gegen alles Das, was uns Noth that, daß man es nicht einmal
dahin bringen konnte, den vier BundesarmeekorpS (VII. bis X.) Feuer-
waffen von gleichem Kaliber zu geben. Ja, cs gab sogar unter den von
den Mittel- und Kleinstaaten gebildeten Armeekorps einige, deren Verschie-
denheit in den angeführten Punkten nicht nach Divisionen, sondern nach
Bataillonen und Compagnien zählte Man war ganz auf dem Wege, das
Heer nicht als Mittel der Verthcidigung des Vaterlandes nach außen und
innen, sondern als eine geputzte Puppe zu betrachten, mit welcher man
ein glänzences und thcurcs Spiel zu spielen sich für berechtigt hielt. Un-
sere braven Soldaten aus Nord und Süd haben mit ihrem Herzblut diese
Vcrkchrheiten über Bord werfen helfen, und sic sind mithin die Märtyrer
eines Systems geworden, das die einsichtsvolle militärische Welt längst ver-
dammte, das sich aber nur aus dem Grunde so lange halten konnte, weil
man rascher und sicherer avancirte, wenn man lobte, und weil man die
Männer von Einsicht und practischcm Sinn als unbcguem entfernte, oder
sie wenigstens als Revolutionäre verschrie.:
Mittheilungen aus dem Natioualverein.
Gü Heidelberg, 2t. Oki. Rach langer, durch dieZeitverhäliuisse hier
wie allenthalben verursachter Unterbrechung, hielten die hiesigen Mitglieder
dcS Natioualverein« gestern wieder ihre erste Versammlung. Nach ein«
gänglicher und lebhafter Besprechung der durch die Ereignisse des Sommers
hervorgebrachtcn Veränderung der öffentlichen Lage und der dadurch herbei-
geführten neuen Aufgabe der Vercinsthätigkeit, wurde der einstimmige Be-
schluß gefaßt, die nationale Agitation mit verdoppeltem Eiter wieder auf-
runehrnkn und in der Richtung auf den Anschluß Badens an den nord-
deutschen Bundesstaat mit dem größten Nachdruck zu betreiben Die ersten
Wirkungen dieses Beschlusses werden demnächst in die Oeffenilichkett treten.
— Obgleich uns von einer förmlichen Zurücknahme des gegen das
Prcßorgan des Nationalvercins in Preußen seit Jahren ergangenen Ver-
bots noch keine Kenntniß geworden, so können wir unfern Lesern jenseits
der Matnlinte doch die willkommene Lhatsache mitthcilen, daß bei den
preußischen Posten wieder Abonnements auf das Wochenblatt angenommen
werden.
-s Pforzheim, 22. Okt. Am vorigen Samstag versammelten sich,
auf mehrere Anregungen in der Presse durch Herrn Moritz Müller und
durch eine besondere Einladung von dem Vorstand aufgcfordcrt, die htesi»
gen Mitglieder des Nationalvercins. Auch unsere beiden Abgeordneten
hatten sich cingefunden. Das Resultat dieser Versammlung war der all-
gemeine Vorsatz, sich in Zukunft eben so thätig zu zeigen wie der hiesige
Volksveretn, (man muß auch vom Feinde lernen,) und so werden sich Die-
jenigen, welche für „Anschluß an Preußen" sind, jede Woche am Donner-
stag zur Berathung versammeln. Freilich wurde es schon in früherer Zeit
bei uns so gehalten, aber wir sind leider lässiger geworden. Demnächst
sollen denn die Beiträge eingezogcn und auch zu einer Neuwahl der Vor-
stände geschritten werden. Vielleicht können wir vor Jahrcsschluß noch be-
richten, daß die alte Rührigkeit PforzhcunS sich auf's Reue bewährt. Sehr
viel wird freilich von der Generalversammlung des Nationalvercins ah-
hängeu. Pforzheim wird jedenfalls dabei auch vertreten sein; auch dieß
hat die jüngste Versammlung hier einstimmig ausgesprochen.

Verlag der Expedition des Wochenblatts des Nationalvercins. — Redigirt unter Verantwortlichkeit von K. Schwab in Heidelberg.
Druck von G. Mohr in Heidelberg.
 
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