Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 94 - No. 97 (7. März 1867 - 28. März 1867)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0206
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
73s

Präsidium die Reste der „Kriegsherrlichkeit", welche ihnen
durch den Entwurf der Bundesverfassung belassen worden,
abgetreten, dagegen aber einen Nachlaß an ihrem Antheile an
dem Kricgsbudget des Bundes erlangt haben. So wenig gegen
den ersten Theil einer solchen Uebereinkunft einzuwcnden sein
möchte, so große Bedenken erheben sich gegen den zweiten.
Die dadurch in dem Kricgsbudget des Bundes entstehende
Lücke würde der preußische Landtag schwerlich geneigt sein,
auf Kosten der preußischen Finanzen auszufüllen, und es ist
auch nicht abzusehen, wie mau eine Zumuthung dieser Are
überhaupt begründen könnte. — Dem Gerüchte, daß Preußen
mit diesem oder jenem Kleinstaate wegen gänzlicher Einverlei-
bung in Verhandlung stehe, wird von Cabincts wegen wider-
sprochen. Aufgeschoden ist aber nicht aufgehoben.
Was die deutsche Vielstaaterei für unsere Stellung nach
außen und für unsere innere Wohlfahrt bedeutet, wird uns
wieder einmal durch den mecklenburgisch-französischen Han-
delsvertrag eingctränkt, welcher, erst im vorigen Sommer abge-
schlossen, planmäßig darauf angelegt zu sein scheint, den durch
die Ereignisse bereits damals angebahntenZwangseintrittMecklen-
burgs in den Zollverein noch für eine Weile zu Hintertreiben. Daß
das Tuileriencabinet sich weigert, Mecklenburg dieses Vertrags
auf billige Bedingungen zu entlassen, muß man lediglich als
eine politische Chicane gegen Preußen ansehen, als ein Werk,
des Übeln Willens, welchem der augenscheinlichste volkswirth-
schaftliche Vortheil Frankreichs aufgeopfert wird. Kurz, wir
müssen uns darauf gefaßt machen, die Zolleinigung Deutsch-
lands, nachdem alle inneren Hindernisse derselben beseitigt
sind, auf Jahre hinaus vertagt zu sehen, weil eine fremde
Macht durch einen deutschen Kleinstaat ein Einspruchs-
recht dagegen erworben hat. Ein Verrath, welcher diese oder
jene Gränzfestung an den Landesseind auslieferte, würde nicht
verbrecherischer, wahrscheinlicki aber weit weniger verderblich
sein, als der mecklenburgische Zollvertrag mit Frankreich.
— Nachdem sich Herr v. Beust an der heißen orientali-
schen Frage, bei seinem dreisten Zngreifen, die Finger verbrannt,
ist der staatsmännische Credit, den er sich durch den Ausgleich
mit Ungarn verschafft, wieder sehr zweifelhaft geworden. Bei
näherer Betrachtung der Sache findet man, daß das ganze
Verdienst des Ministers, der den langjährigen Prozeß des
Magyarenthums gegen das Haus Habsburg endlich zum
Austrage gebracht, eigentlich darin besteht, daß er dem Wider-
part des Kaisers Alles zugestanden was derselbe gefordert;
auf solche Bedingungen einen alten Hader zu schlichten, meint
man, sei keine Kunst, und der Vortheil, der dabei heraus-
kommen solle, müsse sich erst noch zeigen. Gewiß ist, daß
Ungarn zur Zeit völlig zufriedengestellt ist und dem Kaiser-
reiche bis auf Weiteres keine Verlegenheiten, mehr machen
wird, wie denn auch der Pesther Reichstag, nachdem man
ihm in der Hauptsache den Willen gethan, der Regierung
in Nebendingen gern seine guten Dienste leistet. Desto unge-
bärdiger zeigen sich einige andere Provinzen, die sich den Ungarn
geopfert glauben, oder doch meinen, daß ihnen recht sei, was
Ungarn billig. So vor allen andern Croatien, welches un-
gefragt, ja wider feinen wohlbekannten Willen, als Bestand-
jheil der ungarischen Krone, nach Maßgabe der revolutionären
Verfassung von 1848, an die Magyaren ausgeliefert ist,
gegen welche es seiner Zeit, unter dem Ban Jcllachich, für
Kaiserhaus und Kaiserreich als Helfer in der äußersten Noth
auftrat und die größten Dienste leistete, die jetzt mit schwarzem
Undank heimgezahlt werden, wie die bittre und drohende
Klage der Kroaten sagt. Noch trotziger, wo möglich, treten
die Tschechen auf, mit dem Ansprüche, daß Böhmen als ein selbst-
ständiger politischer Körper innerhalb des Reiches constituirt werde.
Mähren, bisher eine der fügsamsten Provinzen Oestreichs,
folgt jetzt dem Beispiele des Nachbarlandes. Auch auf den
Landtagen in Kärnthcn und Krain nimmt das Slaventhum,
In seinem Streben nach Emancipation, eine zuversichtliche Hal-
tung und eine dreiste Sprache an. Die Polen und Ruthcnen
grollen um die Wette mit der neuen Wiener Politik. Ja sogar
in Tyrol macht die Pfaffenpartei gemeinschaftliche Sache mit
den Slaven in der Opposition gegen die Centralgewalt, die,

nach ungarischem Muster, auf das engste Gebiet beschränkt
und von der Einmischung in Gesetzgebung und Verwaltung
der Provinzen wo möglich ganz ausgeschlossen werden soll.
Daß diese Bestrebungen, bewußt oder unbewußt, auf die Auf-
lösung des Kaiserstaats hinausgehen, ist einleuchtend. Noch
unlängst konnte Oesterreich seine inneren Widersacher, so viele
ihrer "auch sein mochten, durch altüberlieferte Künste und Aus-
kunftsmittel ohne große Mühe im Schach halten; heute, nach-
dem das Haus Habsburg durch zwei unglückliche Kriege
und den Verlust feiner beiden schönsten Provinzen, an Macht und
Ansehen sehr herunter gekommen ist, heute steht seine Partie
schlechter als je, und es ist kaum abzusehen, wie sich dieselbe
wiederhcrstellen ließe.

Rechtmäßige und unrechtmäßige AnsprücheZan die
Bundesverfassung.
R, Der Entwurf der Verfassung des Norddeutschen Bundes,
und die Thronrede, mit welcher der Reichstag vom Könige
von Preußen eröffnet worden ist, haben im In- und Aus-
lände im Allgemeinen eine günstige Aufnahme gefunden. Ohne
die Mängel des Entwurfs zu verkeimen, und ohne auf man-
cherlei nothweüdige Ergänzungen und Berichtigungen desselben
zu verzichten, läßt man dessen wesentlichen Inhalt als die
vorläufige Grundlage gesunder öffentlicher Verhältnisse gelten,
und wenn man in der Thronrede die politischen und staats-
rechtlichen Gesichtspunkte unzulänglich findet, so verkennt man
doch nicht den nationalen Geist, welcher sich darin mit uner-
wartetem Nachdruck ausspricht. In diesem Sinne stimmt
das Urtheil der englischen und französischen Presse — Aus-
nahmen Vorbehalten — mit dem der großen Mehrzahl der
verständigen liberalen Blätter Deutschlands überein, wiewohl
bei diesen letzteren, ihrer unmittelbaren Bctheiligung an den
Dingen gemäß, die Einwendungen und Bedenken schärfer her-
vortretcn, als in den mehr über Bausch und Bogen abgegebenen
Gutachten der auswärtigen Stimmen.
Auf der andern Seite fehlt es natürlich nicht an entgegen-
gesetzten Auffassungen, denen der Entwurf nicht bloß unge-
nügend, sondern geradezu unbrauchbar erscheint, und welche
denselben kurzer Hand abgewiesen, oder wenigstens von Grund
aus umgearbeitet wissen wollen. Die Gründe oder Vorwände
dazu werden hauptsächlich von den herkömmlichen Begriffen
und Formen des Verfassungswesens hergenommen, denen der
Entwurf allerdings in vielen Stücken nicht entspricht. Ein
Staatsgrundgesetz, welches der Volksvertretung kein Ministerium
gegenüberstellt, in welchem von Regierungsverantwortlichkcit nicht
die Rede ist, welches die gesetzgebende Gewalt auf einen scharf
abgcgränztcn Theil der öffentlichen Angelegenheiten beschränkt,
welches von keiner Art von „Grundrechten" spricht und so
manche andre Dinge mitfStillschweigen übergeht — Adressen,
Interpellationen, Diäten u. s. w. — die in sämmtlichen Ver-
fassungen des üblichen Musters, von der französischen des
Jahres 1791, bis auf die der deutschen Kleinstaaten aus
neuester Zeit herunter, wohl paragraphirt zu finden sind,
ein solches Staatsgrundgesetz hält man überhaupt für eine
Ungeheuerlichkeit, welcher durch den Namen einer Verfas-
sung viel zu viel Ehre angethan werde.
Solche Urtheile gehen zumeist aus einem großen Jrrthume
hervor, welcher in der ganzen politischen Geschichte der neuesten
Zeit eine traurige Rolle spielt, aus der Meinung, daß die
Grundlagen der Staatsverhältnisse durch Dinte und Papier
geschaffen und zerstört oder beliebig umgestaltct werden können,
während es sich doch in Wirklichkeit bei der schriftlichen Ab-
fassung eines Staatsgrundgesetzes, wenn dasselbe lebendig
werden soll, im Wesentlichen nur darum handelt, die vor-
handenen Zustände zu ordnen, zu regeln, durch Ab- und
Zugeben in ein gewisses Ebenmaß zu bringen, mit einem
Worte, den bestehenden politischen Thatsachcn einen staats-
rechtlichen Ausdruck und Bestand zu geben. In diesem
Sinne war die vielgeschmähete Verfassung des weiland deut-
schen Bundes eine untadelhafte, das wahrheitsgetreue Abbild
der deutschen Zerfahrenheit und Ohnmacht, welche die Bun-
 
Annotationen