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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 107 - No. 110 (6. Juni 1867 - 27. Juni 1867)
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diesem vierjährigen Interimistikum und dem dauernden Normalmilitäretat,
an welchem, ohne Zustimmung der Regierungen, gar nicht mehr gerüttelt
werden konnte, und der in meinen Augen die Verfassung unannehmbar
gemacht hätte. Ich sage, in meinen Augen, denn es unterliegt keinem
Zweifel, daß die Verfassung auch mit dem Normal-Mtlitäretat im Reichs-
tage angenommen worden wäre. Und im Abgeordnetenhause? Wahrschein-
lich dasselbe Resultat, wenn auch mit kleiner Majorität. Gewiß ist das
Interimistikum, nach meiner Meinung, weder durchaus nothwendig, noch
wünschenswert!); aber wie die Sache lag, mußte jeder gewissenhaflc Abge-
ordnete sich fragen: ist das Interimistikum von solchem Nachthcile, daß
dcßhalb die Verfassung verworfen, also der Bund, d. h. der erste wirksame
Versuch zur Einigung Deutschlands, aufgegeben werden muß? — Wem
freilich Grundrechte, Ministcrverantwortlichkeit und GeldbeivtliigungSrccht
nur Schlagworte sind, bet denen es gar nicht darauf ankommt, was denn
eigentlich damit erreicht ist, und ob diese Rechte, wie die preußische Ver-
fassung dieselben gewährt, wirksam gewesen sind, der bedarf einer gründ-
lichen Prüfung nicht. Grundrechte fehlen, verantwortlich ist nur der Bun-
deskanzler, die Geldbewilligung ist für einen EtatStitel auf 4 Jahre im
Voraus erfolgt! Fort mit dieser Verfassung, mag aus dem Bunde und
der viel besungenen deutschen Einheit werden, was da will! Nieder mir
den Abgeordneten, welche doch dafür gestimmt, wenn sie auch 20 Jahre
redlich gekämpft, sich treu bewährt, ihre Gesinnung und ihre Ziele niemals
gewechselt haben. Hoch die 91, welche gegen die Bundesverfassung ge-
stimmt haben! Hat die Versammlung sich auch klar gemacht, wie viel Polen
und Ultramontane, welche gar keine Einheit Deutschlands wollen, unter
den 91 sind? Auch im Reichstage befanden sich unter der Minorität von
53 die Polen, Ultramontanen, Partikularisten und der hannoversche Adel!
— Tics find doch deutliche Fingerzeige."
„Es lag auf der Hand, daß ich durch den einfachen Anschluß an die
Linke im Reichstage eine sehr bequeme Stellung gehabt und in Preußen
Popularität erworben hätte; aber dies hat niemals mein Ziel und mein
Streben sein können. Es war meine Pflicht und meine Neigung, für die
Einigung Deutschlands zu wirken, durch Preußen vor Allem ein selbständiges,
mächtiges Deutschland schaffen zu helfen, nicht um jeden Preis eine un-
brauchbare Verfassung zu Stande zu bringen, aber, wie die Sachen standen,
Mängel mit in den Kauf zu nehmen, wenn der Hauptzweck erreicht würde.
Wer diesen mit einem Parlamente, aus allgemeinem gleichem Wahlrechte
hervorgegangcn, ohne Staaten- oder Herrenhaus, ausgestattet, nicht mit
allen wunschcnswerthen, aber doch den wesentlichsten Rechten, und zur Seite
die ganze Kraft des preußischen Staates, nicht zu erreichen hofft, der ist
entweder zu sehr Jdcolog, Doktrinär, oder ein ganz ausgeprägter Partiku-
larist, wenn auch zehnmal ein preußischer Partikularist. Seien wir nur
ehrlich, gestehen wir cS uns nur selbst, der PartikularismuS steckt uns in
den Gliedern und ist bei uns Preußen am meisten zu entschuldigen, ja
dis auf einen gewissen Punkt zu rechtfertigen Wir Preußen müssen aber
Opfer bringen für das ganze Deutschland, und das wird uns schwer.
Auch der Masse des Volkes wird diese Wahrheit klar werden, wie jetzt
schon im Süden Deutschlands geschieht. Dann wird auch das Volk auf-
hören, seine alten bewährten Freunde der Prinzipienlosigkeit, wohl gar
des RencgatenihumS und des Gesinnungswechsels zu beschuldigen. Mich
stören und verbittern solche unerfreuliche Erscheinungen nicht. ES kommt
nicht darauf an, ob der Einzelne dabei leidet. Ein tüchtiges Volk ist nun
einmal kein spiegelglattes Meer. Die Welle hebt und senkt sich, aber cS
geht vorwärts. Reaktionäre Bestrebungen der Regierungen werden die
alten Kämpfer wieder fest beisammen finden. Ich bin mir bewußt, ganz
der Alte geblieben zu sein. Ich habe nichts aufgegebcn von meinen Zielen.
Ich werde, nach wie vor, nach wirksamer Einführung von Grundrechten
durch Gesetze, nach wirklich anwendbarer Ministerverantwortlichkcit, nicht
nach dem Schatten derselben, nach vollem Budgctrecht streben und hoffent-
lich zugleich auf günstigerem Boden, als die preußische revidirle Verfassung
gewährt, und in Gemeinschaft mit den bewährten Liberalen der nichtpreu-
ßischen Staaten."
„Ich kann mich nicht zu der Höhe der Anschauung erheben, daß es
besser gewesen sein würde, die Bundesverfassung zu verwerfen und zu warten,
ob die Regierungen eine bessere verlegen würden, oder auf eine Revolution
zu hoffen. Vielmehr bin ich überzeugt, daß die Verwerfung der Bundes-
verfassung das VerfassungSleben in Preußen auf lange Zeit zerstört und
die süddeutschen Staaten entfremdet und dem Auslande gegenüber die Zer-
rissenheit Deutschlands als unheilbar und verlockend bloßgelcgt haben würde.
Die Heeresreformen in Frankreich und Deutschland.
Wenn irgend etwas geeignet war, die preußische Regierung bei
ihrem Auftreten in der Luxemburger Frage zur Vorsicht und Zurück-
haltung aufzufordern, so war es die Rücksicht auf die Militärverhält-
nisse in Süddeutschland. Niemand hatte im vorigen Jahre besser als
die preußische Regierung zu erfahren Gelegenheit gehabt, wie kriege-
risch untüchtig die Contingente derjenigen Staaten ausgerüstet, ver-
waltet und geführt waren, welche zusammen das ehemalige siebente
und achte Buudesarmeekorps zu stellen hatten. Nach dem Kriege hatte
man in den süddeutschen Staaten zwar theilweise Militärreformen be-
gonnen, aber noch heute befindet man sich dort auf dem Gebiete der
Experimente und Einübungen nach neuen Systemen und Reglements,
so daß gegenwärtig die süddeutschen Truppen womöglich noch weniger,
als im vorigen Jahre, geeignet sind, einem wohl organisirten und
geführten Heere erfolgreich entgegenzutreten. Süddeutschland hätte in
eineni Kriege gegen Frankreich wenig zu leisten vermocht und die Auf-
gabe des mit ihm verbündeten Nordens nur gesteigert. Die Kriegs-
gefahr ist für den Augenblick beseitigt, aber alle Welt steht unter dem
Verlag der Erpedition des Wochenblatts des NationalvercinS. —
Druck von G. M

Gefühl, daß der Friede nicht dauernd sein und die staatliche Wieder-
geburt des deutschen Volkes nicht ohne einen Kampf wird erfolgen
können, der die Kräfte der ganzen Nation in Anspruch nehmen wird.
Die Militärreformen, welche gegenwärtig den Gesetzgebenden Körper
in Frankreich beschäftigen, fordern namentlich die süddeutschen Regie-
rungen zu einer stärkeren Anspannung ihrer militärischen Kräfte auf.
Die französische Regierung beabsichtigt in dem vorgelegten Heeres-
reformentwurf, das Effectiv ihrer Armee auf 800,000 Mann zu brin-
gen. Dies heißt zwar nicht, wie manche Zeitungen es darstellen, daß
die Friedensstärke der Armee die angegebene Höhe erreichen soll, die
vielmehr durch ein besonderes Gesetz alljährlich zu bestimmen sein
wird, sondern es will damit nur gesagt sein, daß die active Armee,
die verfügbare Reserve und die mobil. Nationalgarde zusammen eine
Stärke von 800,000 Mann haben sollen. Hierin liegt eine hohe Stei-
gerung der militärischen Kräfte Frankreichs, denn nach dem franzö-
sischen Kriegsbudget von 1867 betrug das Effectiv der Armee nur
600,000 Mann. Es wird aber damit auch zugleich der französischen
Nation die höchste Steigerung ihres militärischen Aufwandes zugemu-
thet, deren sie überhaupt fähig ist. Denn das Effectiv der Armee soll
von nun an mehr als zwei Procent der Bevölkerung ausmachen, ein
Procentsatz, welchen bisher nur Preußen und die Schweiz, in Folge
ihrer eigenthümlichen auf allgemeinster Dienstpflicht beruhenden Wehr-
systeme, haben überschreiten können.
Wenn die preußische Heeresorganisation in ganz Deutschland und
namentlich auch im Süden, zur Einführung gelangt, so wird es für
Deutschland möglich sein, Frankreich auch nach dieser Reform ebenbür-
tig zur Seite zu stehen, ohne doch so stark wie dieses seine Kräfte im
Frieden anzuspannen. Die Friedensstärke des französischen Heeres
betrug bisher ungefähr 400,000 Mann; nach der Heeresreform wird
sie etwa die Ziffer von 500,000 erreichen. Bei einer derjenigen von Frank-
reich etwa gleichen Bevölkerung wird dagegen Deutschland, die in der
Norddeutschen Bundesverfassung festgesetzte Friedensstärke von 1 Pro-
cent der Bevölkerung ebenso auch sür den Süden angenommen, doch
nur ein Friedensheer von 385,000 Mann haben. Zu den bereits be-
stehenden dreizehn norddeutschen Armeecorps würden zwei baierische,
ein würtembergisches, ein badisch-hessisches treten, das verbündete
deutsche Heer also würde aus siebenzehn Armeekorps bestehen mit einer
Durchschnittsstärke von je 40,000 Mann, wie dies gegenwärtig nach
Heranziehung der Reserven, die Stärke eines preußischen Armeecorps
ist. So würde also der französischen Armee ein deutsches Heer von
680,000 Mann Feldtruppen entgegentreten, zu denen, bei Durchfüh-
rung der preußischen Heeresverfassung, noch 200,000 Mann Ersatz-
truppen (Linie) und 300,000 Mann Besatzungstruppen (Landwehr er-
sten Aufgebots im Alter von 27—32 Jahren, hinzukämen.
Wir sehen also, an dem tüchtigen Material eines Frankreich eben-
bürtigen und selbst überlegenen Heeres fehlt es nicht, wenn die Heere
aller deutschen Staaten nach dem Vorbild des preußischen organisirt
werden. Daß dies in Norddeutschland so bald als möglich geschehen
wird, dafür ist durch die Verfassung des Norddeutschen Bundes hin-
reichend gesorgt. Aber auch die süddeutschen Staaten haben das Ihrige
zu thun, und haben hierzu um so mehr Veranlassung, als ein fran-
zösischer Angriff immer hauptsächlich und zunächst gegpn den Süden gerich-
tet sein würde. Wenn Luxemburg von den Franzosen ein preußisches Aus-
fallthor gegen Frankreich genannt worden ist, so ist noch viel mehr Straß-
burg ein französisches Ausfallthor gegen Baden, Metz ein solches, welches,
außer dem Regierungsbezirk Trier, auch die Nheinpfalz bedroht Baiern
und Baden haben gegen Frankreich eine Grenze von nahezu vierzig Mei-
len, während Preußen für sich, nach der Neutralisirung Luxemburgs, eine
Grenze von nur etwa acht Meilen gegen Frankreich zu vertheidigen
hätte. Süddeutschland hat also Veranlassung, sich für den Krieg zu
rüsten, wenn es den Frieden bewahren will. Noch immer aber ist
für die militärische Regeneration des deutschen Südens gar wenig
geschehen. Gegenwart und Vergangenheit sprechen laut dafür, daß die
Regeneration schnell erfolgen, und, wenn sie Erfolge verheißen soll,
nach dem Vorbilds und unter der fortdauernden Leitung Preußens
vor sich gehen muß. Wandelt hier jeder der Südstaaten, in der Be-
sorgniß, seiner Souverainetät etwas zu vergeben, seinen eigenen Weg,
so werden die süddeutschen Truppen nie aufhören, das im vorigen
Jahre wieder lebendig gewordene Gedächtniß der Reichsarmee, trauri-
gen Angedenkens, zu verewigen.

Berichtigung.
Durch eine irrige Angabe, bei Gelegenheit einer wohlwollenden Er-
wähnung meiner Anteccdenticn in Nr. 106 d. Bl. (S. 832), sehe ich mich
zu der berichtigenden Erklärung veranlaßt, daß ich mich nie um die venia.
tSASuäi beworben, geschweige denn jemals auf eine gänzlich außerhalb
meiner Specialbeschäftigungcn und meines BerufswcgeS liegende Stelle
reflcctirt habe, und daß daher von einer Zurücksetzung seitens der früheren
hannoverschen Negierung, über die ich in der angedeutctcn Beziehung mich
zu beklagen gehabt hätte, keine Rede sein kann. Vielmehr muß ich er
dankbar anerkennen, und habe dies auch jederzeit gethan, daß das han-
noversche Universitäts-Euratorium jede, nach Lage der Verhältnisse, mit den
allgemeinen Rücksichten der Gerechtigkeit und Billigkeit vereinbare Humani-
tät gegen mich hat walten lassen. Etwaige Ungunst rein politischer Art,
woran es zu Zeiten nicht gefehlt haben mag, hat wenigstens auf meine
dienstliche Stellung keinerlei nachtheiligen Einfluß geübt.
Göttingen, 3. Juni 1867. A. Ellisscr, Dr. psi.
Redigirt unter Verantwortlichkeit von K. Schwab in Heidelberg,
ihr in Heidelberg.
 
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