Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

DOI Kapitel:
No. 107 - No. 110 (6. Juni 1867 - 27. Juni 1867)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43377#0319
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
851

mus und preußische Regierung, oft genug aufeinander ange-
wiesen, und gcnöthigt sein werden, einander Zugeständnisse zu
machen. Und der Liberalismus wird sich dabei um so besser
sichen, je weniger er sich auf ein doktrinäres Ideal steift, sei
es nun freiheitlicher oder unitarischer Tendenz, je mehr er
seine Forderungen mit dem praktisch nächsten Bcdürfniß in
Einklang zu bringen versteht. Die Linke aber wird wohl mehr
und mehr dahin gedrängt werden, sich mit den partikularisti-
schen Elementen zu verbunden. Auch wird sic, allem Vcr-
mnthen nach, in dem natürlichen Widerspicl und Machtstrcit,
welcher sich zwischen Reichstag. und preußischem Landtag er-
heben wird und muß, für letzteren Partei ergreifen, während
die Nationalliberalcn, aus selbstredendcn Gründen, auf die
Seite des Reichstags treten werden; und leicht dürfte dieser
Punkt es sein, um welchen sich der Gegensatz beider Parteien
in der nächsten Zukunft vorzugsweise bewegen wird. —
In dem Gesagten liegt schon, daß der Liberalismus, in-
dem er der nationalen Aufgabe zu Liebe Kompromisse mit der
Regierung eingeht, hicmit zugleich im Interesse der Freiheit
selbst handelt. In der That, nichts wäre thörichtcr, als wenn
wir diese beste, ja vielleicht einzige Gelegenheit, welche wir
auf Jahre hinaus haben werden, nm von der preußischen
Staatsgewalt, Zug um Zug, Einräumungen für die Freiheit
zu erlangen, unbenutzt verstreichen ließen. Oder welche Mittel
und Aussichten haben wir denn etwa, unsere Sache nicht auf
dem Wege des Vergleichs, sondern des Kriegs, nicht durch
Compromißpolitik, sondern, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist,
durch Consliktspolitik durchzusetzen? Um die Politik des
„Alles oder Nichts", welche der Natur der Sache nach immer
in einen Konflikt ausläuft, mit begründeter Hoffnung auf Er-
folg zu betreiben, dazu gehört entweder ein größerer Besitz
von gesicherter legaler Macht, als wir ihn zur Zeit im preu-
ßischen Verfassuugsrccht haben, oder der Hintergrund der Re-
volution, nach Umständen auch beides zusammen. Nachdem
aber die Revolution 1862—66 ausgeblicbcn ist, wird heute,
und so lange nicht die Verhältnisse ein gänzlich anderes Ge-
sicht annehmen, kein verständiger Mensch an ihr Kommen
glauben, oder durch die Furcht vor demselben sich zum Rückzug
treiben lassen.
Allerdings, die Negierung hat nicht bei jedem Konflikt ein
Königgrätz in die Wagschalc zu werfen. Aber ihre Machtstellung ist
heute auch ungleich stärker, als sie vor 1866 gewesen, ungleich
stärker schon deßhalb, weil sich an die Erhaltung derselben,
allen Unbefangenen sichtbar, jetzt auch ein nationales Interesse
knüpft, und so lange wenigstens knüpfen wird, bis das Ge-
bäude der deutschen Einheit fertig und wetterfest geworden.
Insbesondere wird es nicht leicht sein, ihr Zugeständnisse ab-
zuringen auf demjenigen Gebiet, um welches sich der Kampf
bisher fast ausschließlich bewegt hat, dem Grenzgebiet nämlich
der Rechte von Krone und Volksvertretung. Werden wir in
nächster Zeit so viel Macht aufbringen, um solche Rechtsan-
sprüche, der Krone gegenüber, durchzusetzen? Schwerlich; und
vielleicht empfiehlt es sich, diesen Kampf an der Spitze vorerst
nur sehr vorsichtig zu führen, unser Hauptaugenmerk aber auf
die Grundlegung unserer Macht zu richten, d. h. vor
Allem den Aus- und Ausbau der feit dem Konflikt gänzlich
in's Stocken gerathcncn freiheitlichen Organisationen, der Kreis-
verfassung u. s. w. zu betreiben. Mit dergleichen positiven
Aufgaben würde sich die nculiberale Partei in erster Linie zu
beschäftigen haben.
Aber für alle diese Erwägungen ist und bleibt die Fort-
schrittspartei unzugänglich. Mag sie denn ihr Heil versuchen
in ausschließlichem Beharren auf der alten Kampfweisc; es
wird ganz gut und nützlich sein, daß neben der liberalen,
eine Partei dieser Art da ist, sie wird ihre eigcnthümlichen
Aufgaben und Verdienste haben können. Bestände die Oppo-
sition bloß aus der Linken, so kämen wir bald wieder in den
chronischen Konflikt, ohne irgend welche Bürgschaft für den
endlichen Sieg, vielmehr mit der Aussicht, durch eine Reihe
vergeblicher Anläufe den Volksgcist gründlich zu ermüden und
schließlich für alle politische Arbeit abzustumpfcn. Bestände sie
bloß aus den Liberalen, so würden große Kreise des Volks,

welchen das Verständniß für die Politik der Mittclparteien
nun einmal abgeht, welche das Unbedingte, Markige, Er-
schütternde lieben, sich-von der Thcilnahme am politischen
Leben abwenden, und dadurch müßte die Gesammtkraft der Volks-
politik erheblich vermindert werden. Ohne eine entschiedene
Linke, würden die Liberalen überdies bald in eine ähnliche
Stellung, der Regierung gegenüber, kommen, wie nun jene sie
einnimmt; nur durch die Folie der demokratischen „Entschieden-
heit" erscheinen sic als Gemäßigte, deren Forderungen sich
hören lassen. So können also beide Parteien, gesondert und
jede in ihrer Weise, mit Vorlheil für die Freiheit arbeiten,
während sic, widernatürlich vereint, einander bloß stören und
hindern würden. Nur das persönliche Verketzern und Ver-
dächtigen, wie es die Presse der Fortschrittspartei gegen die
Nationalliberalcn mit ruhelosem Eifer betreibt, wäre nach un-
serer Ansicht für den getrennten Geschäftsbetrieb nicht gerade
unumgänglich nöthig, ja man könnte dasselbe sogar höchst un-
verständig finden, da ja doch die Sache der ganzen Opposition
dadurch geschädigt wird. Zndcß scheint dieses Nebenvergnügen
nun einmal zu den Dingen zu gehören, von welchen die ra-
dikale Presse nicht lassen kann, ohne aufzuhören, sie selbst
zu sein.-
Die Moral der bisherigen Ausführung, angewandt auf
die alte Nativnalpartei, und insbesondere auf den National-
verein, ergibt sich von selbst. Hervorgegangcn aus einer Mi-
schung liberaler und radikaler Elemente, wie sie nur möglich
war unter dem Druck der Zustände Altdcutschlands, wirkte
auf ihn die Umwälzung von 1866 in der Weise zersetzend,
wie ein elektrischer Strom auf eine flüssige chemische Verbin-
dung — wobei bekanntlich der eine Bestandkhcil an den po-
sitiven Pol, der andere an den negativen sich begibt. Mancher
mag das Auscinandergehcn bisheriger Genossen beklagen, doch
im Grunde ist es auch in diesem Falle, wie so oft, ein Symp-
tom glücklicherer und gesünderer Verhältnisse. Die Fortschrits-
partei hat nun, wie bereits Eingangs erwähnt, angcfangen,
sich eine eigene Organisation zu geben; die NationaÜiberalen
haben einfach deßgleichen zu thun*). Vielleicht könnte der
Nationalvcrein, nachdem ihm zuerst die süddeutschen und nun
größtentheils auch die preußischen Radikalen, beide aus we-
sentlich gleichen Motiven, den Rücken gewendet, einfach als
Verein der nationalliberalen Partei reorganisiert werden. Na-
türlich wäre nur die Generalversammlung des Vereins zu-
ständig, einen Beschluß der Art zu fassen, und je bälder sie
zu diesem Zwecke berufen würde, desto besser. Auf alle Fälle
werden die Nationalliberalen nicht allzu lange anstehen dürfen,
ihren ohnehin noch sehr lockeren Parteizusammenhang durch
das Band der Vercinsorganisation zu festigen, wollen sie nicht
von hüben und drüben überflügelt werden. Ohne feste Or-
ganisation ist jede politische Partei im heutigen Deutschland
ohnmächtig.

Die Auswanderung aus Nordschleswig.
li, Im nördlichen Schleswig haben sich bekanntlich viele
Hunderte der Militärpflicht durch Auswanderung oder Flucht
nach Dänemark entzogen. Von den dänischen Blättern und
ihrem Ableger in der deutschen Presse, der Kölnischen Zeitung,
wird dieser Vorgang so dargestellt, als sei er einerseits dem
glühendsten Nationalhaß entsprungen, andererseits herbeigeführt
durch einen Druck, beinahe schlimmer als der, welchen Ruß-
land in Polen ausübt. Es fehlte nur noch, daß einer der
zahlreichen nach Paris gereisten „Nordschleswiger", die unter-
wegs der Kölnischen Zeitung ihre Aufwartung zu machen nicht
versäumt haben, eine Schlüsselbüchse auf den König von Preu-
ßen abgefeucrt hätte, so wäre die Parallele zwischen der russi-
schen Gewaltherrschaft in Warschau und der preußischen in
Flensburg vollständig.
Ohne vorgefaßte Meinung betrachtet, nimmt sich der Vor-
gang wesentlich anders aus. Das Unrecht der preußischen
Regierung besteht nicht in irgend einer besonderen Härte, mit
*) Als dieser Artikel geschrieben wurde, war das berliner Programm
der Nationalliberalcn noch nicht bekannt.
 
Annotationen