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Deutscher Nationalverein [Hrsg.]
Wochen-Blatt des National-Vereins — 1866/​1867 (Nr. 69-123)

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No. 115 - No. 119 (1. August 1867 - 29. August 1867)
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— 92Z
der Berliner Parteiorgane inSckmtz nehmen, noch überhaupt
einer unnörhigen Schürfung des vorhandenen Gegensatzes das
Wort reden, noch läugncn, daß er in manchen einzelnen Fäl-
len durch die Uebcrmacht eines gemeinsamen Interesses zeit-
weise aufgehoben werden kann und wird, sondern nur dar-
auf will ich dringen, daß man sich nicht länger sträube anzu-
erkennen, daß dieser Gegensatz wirklich besteht, daß er von
wesentlicher und bleibender Bedeutung ist, und daß man mit
ihm rechnen, sich auf ihn einrichtcn muß. Und dies zwar
aus einem sehr praktischen, sehr naheliegenden Grunde.
Damit komme ich auf die Norddeutsche Allgemeine Zei-
tung, und die Ihnen mit ihr gemeinsame irrthümlichc Bor-
aussetzung zurück. Ich brauche nach dem Bisherigen nicht
mehr zu sagen, daß ich diesen Jrrthum in der Annahme finde,
als fei es die „liberale", überhaupt eine im Grunde ibres
Denkens und Wollens einige Partei gewesen, welche sich in
die beiden Fraktionen gespalten habe. Vielmehr vertreten
dieselben nach meiner Uebcrzeugung zwei grundsätzlich verschie-
dene Parteien, oder sind wenigstens unaufhaltsam unterwegs
dazu, nämlich die liberale und die radikale Partei. Daß
das in der That der Fall, wenn auch erst noch keimartig,
noch keineswegs nach allen Seiten und Folgerungen entwickelt,
kst in diesem Blatte schon früher dargelegt worden, weßhalb
ich auf jeden weiteren Nachweis verzichte. Uebrjgens ließen
sich schon jetzt, z. B. aus der Presse der beiden Fraktionen,
Hunderte von Belegen dafür bcibringcn. Nicht minder darf
ich voraussetzen, daß die Hauptzügc des Gegensatzes zwischen
liberaler und radikaler Politik Jedermann bekannt sind.*)
Nun wohl, dies ist freilich gewiß: der Liberalismus, wenn
er, sei cs im Besitz der Regierung, sei es in einer Stellung,
wie sie die Natioualliberalen auf dem ersten Reichstag inne
hatten, kurz wcnu er für irgend eine positive Aufgabe jemals
darauf rechnen sollte, die Unterstützung der radikalen Partei
zu gewinnen, so würde er stets und unvermeidlich auf das
Bitterste enttäuscht werden. Denn selbst wenn er z. B. auf
dem Gebiete der inneren Fragen die ausgedehntesten freiheit-
lichen Reformen durchsetzt, so würde er, seiner Natur "wie
der Natur der Dinge nach, dabei doch immer gewisse Rück-
sichten auf die konkreten und geschichtlichen Lebensbedingungen
des Staates zu nehmen haben. Aber in den Augen des Ra-
dikalismus ist das ein Verbrechen am Prinzip; ganz abge-
sehen davon, daß derselbe gewohnt ist, seine Forderungen immer
und immer zu steigern, um, so lange er nicht am Ruder,
mit ungeschwächten Kräften fortopponircn zu keimen. Seine
Befriedigung würde sein Tod sein.
Daraus folgt also, daß die liberale Partei danach trachten
muß, statt durch das Bündniß mit den radikalen Elementen,
welches spätestens eine Stunde nach dem gemeinsamen Siege
in Feindschaft umspringt, durch andere Hebel und Kräfte sich
und ihre Anschauungen zur Herrschast zu bringen und darin
zu behaupten. Vor Allem gebort dazu innere Stärkung und
Cousolidirung; hat erst einmal die Partei, in Theorie und
Praxis, sich von allen uuächten Anhängseln befreit und über
eine Reihe von Grundsätzen verständigt, an denen sie nach
Oben wie Nack Unten unerschütterlich festhält: alsdann wird
auch der Kern des gebildeten Bnrgcrthums mit größerem
Nachdruck als bisher auf ihre Seite treten, und auf ihrer
Seite bleiben. Auf eine solche Partei, von der nicht bei
jedem Windhauch ein Theil entweder nach rechts oder nach
links wieder fortgewebt wird, hört die Argumentation der
Nordd. Allg. Zeitung vollkommen auf zutreffend zu sein.
Uebrigens würden die Angriffe des Radikalismus schon
jetzt noch viel weniger zu bedeuten haben als es der Fall,
wäre nur die innere Politik der Regierung etwas verständiger
als sie bis heute gewesen ist. Daß man diese, im Innern
Wir würden den Gegensatz zwischen beiden Fraktionen doch
anders bestimmen; denn zwischen liberal und radikal liegt nach dem
herkömmlichen Sprachgebrauch, die Meinungsverschiedenheit hauptsäch-
lich auf dem Gebiete der Freiheitsfragen; eine solche ist aber bei jenen
beiden Fraktionen keineswegs in irgend ausgeprägter Weise vorhan-
den; sie weichen vielmehr nur darin von einander ab, daß die National-
liberalen ungleich mehr Werth auf das Zustandekommen und die För-
derung des Einheitswerkes legen als die Fortschrittspartei. D. R.

steif reaktionäre Regierung dennoch auf einem einzelnen Ge-
biete, dem der deutschen Hrage, wenn auch mit schwerem Her-
zen unterstützen muß, obgleich, ja sogar weil man ein Liberaler
ist, das will manchem ehrlichen Freiheitsfreunde nicht in den
Kopf, und er wendet sich daher lieber den Radikalen zu, die
die „Consequcnz" für sich haben. Und diese ihrerseits, da
sie der Regierung direkt nicht so scharf zu Leib rücken können
als sie gern möchten, lassen ihren Ingrimm um so zügelloser
an den „abgefallenen" Genossen aus; man schlägt auf den
Sack und meint den Esel. Von diesem Zündstoff der ra-
dikalen Prcßpolcmik schweigt die Nordd. Allg. Zeitung natür-
lich mäuschenstille.

Aus Thüringen 17. August. „Worte, mein Prinz, nichts
als Worte," sagt Horatio zu Hamlet und diese Worte fallen uns ein, wenn
wir die Programme lesen, mit denen unsere Gegner bei den Reichstags-
wahlen die nationale Partei anfallen. Da ist in Jena ein Professor
Hildebrand, früher Vorsteher des statistischen Büreaus für die Klein-
staaten Thüringens, aufgetreten und erklärt uns, daß wir verkappte
Anhänger des Einheitsstaates wären, nämlich wir, die nationale
Partei, daß der Einheitsstaat niit seiner strammen Zentralisation das
Grab der Freiheit sei, daß nur eine solche Bundesverfassung, welche
die Fortexistenz der Einzelstaateu garantire, uns die hohen Güter des
deutschen Kulturlebens erhallen könne. Ein edler Wettstreit auf den
Gebieten des politischen, socialen, künstlerischen und wissenschaftlichen
Lebens würde sich entwickeln, die schönen Blüthen einer Maunichfal--
tigkeit, wie sie eben nur Deutschland zeige, würden auch ferner uns
erquicken und erfreuen. „Worte, nichts als Worte, mein Prinz!" Aber
da es immerhin eine nicht geringe Anzahl Menschen giebt, welche
jedes Wort für baare Münze nehmen, Menschen, die bloß den Stem-
pel ansehen, aber nicht den wirklichen Gehalt prüfen, so wollen wir
uns diese edlen Blüthen der deutschen Kleinstaaterei etwas bei Licht
betrachten, indem wir dabei sogleich erklären, daß wir keine verkapp-
ten Anhänger des Einheitsstaates, sondern offene, ehrliche Bekenner
desselben sind, daß wir die deutsche Nationalbewegung auch nicht eher
für abgeschlossen halten, als bis sie dieses Ziel: den Einheitsstaat,
erreicht hat. — Was aber nun den edlen Wetteifer der Einzelstaaten
anlangt, jenen Wettlauf auf der Bahn der Freiheit und der Cultur,
so gestattet uns der Herr Professor, der übrigens hier bloß als Typus
einer sehr zahlreichen Klasse auftritt, wohl einige bescheidene Zweifel.
Ist es zuvörderst erlaubt, von der Vergangenheit einen Schluß
auf die Zukunft zu ziehen? Welche schrankenlose Freiheit im edlen
Wetteifer war den Einzelstaaten Deutschlands nicht verliehen? Und
wie benutzten sie dieselbe? Der deutsche Patriotismus, die Liebe zum
Vaterlands, die Begeisterung für die Nation, diese Urquelle großer
und edler Thaten und Bestrebungen, sie wurde geächtet, strafrechtlich
und polizeilich verfolgt, sobald sie sich in Wort oder That äußerte.
Eine elende Carricatur, das Zerrbild der Vaterlandsliebe, wurde an
ihre Stelle gesetzt, der anhallische, schwarzburg'sche, reußische, lippe-det-
mold'sche Particularismus wurde großgefüttert und dem Volke zuge-
rufen, vor diesem Wechselbalg niederzuknieen und ihm seine Huldigun-
gen darzubringen. Wie stand es mit der Freiheit? Wetteifernd in
der Unterdrückung und Ertödtung derselben, arbeiteten die Regierun-
gen am Frankfurter Bundestag und daheim Was waren ihnen Preu-
ßen und Oesterreich anders, als die Schildwachen vor den kleinfürst-
lichen Schlössern, die großen Polizeingenten, deren Hülfe angerufen
wurde, wenn die getreuen Untcrthanen anfingeu unruhig zu werden?..
Würde, wenn die norddeutsche Bundesverfassung den Einzelstaaten eine
dauernde Existenz sicherte, sich dies Alles, nur in veränderter Gestalt,
nicht wiederholen? Würde man nicht mit allen Mitteln, öffentlich, wie
im Geheimen die Liebe zu dem angestammten Fürstenhaus zu steigern,
den Particularismus zu pflege» suche»? Welcher Zwiespalt aber würde
dadurch in den Gemüthern entstehen! Ein fortwährender Kampf
zwischen dem großen Nationalgefühl und dem kleinen Scholleupntrio-
tismus würde stattfinden, unser Vaterland der Schauplatz ewiger
Zwistigkeiten zwischen den Anhängern des KleiudyuastenthumS und
der Nationalregierung sein. Die Freiheit würde nicht gedeihen; denn,
wie man es schon erlebt hat. suchen solche kleine, nach Außen ohnmäch-
tige Negierungen durch desto größere Autoritätsentfaltung in« Innern
die Einbuße wieder auszugleichen, die ihre äußere Machtstellung erlit-
ten hat. Kunst und Wissenschaft und alle andern Blüthen unseres
Culturlebens können nicht vom Gemeinwesen gepflegt werden, deren
Einwohner und Steuerkräfte sehr häufig nicht einmal denen eines
preußischen Landrathkreises gleichkommcn. Das Beispiel von dem
weimarischen Hof und Schiller und Göthe beweist nichts. Denn hier
war bloß die Zufälligkeit entscheidend, daß der weimarische Kleinfürst
eben ein — Karl August war. Es ist das eine reine Personensache;
das Nämliche hätte von einem reichen Privatmann geleistet werden kön-
nen, mit der Kleinstaaterei hat das nichts zu schaffen. Was ist
die weimarische, was die mciningische Bühne jetzt für die deutsche
dramatische Kunst, trotzdem daß hier Herr von Badenstedt, dort Herr
von Dingelstedt Intendant ist? Jedes'Berliner Theater zweiten Ran-
ges übt einen größeren Einfluß aus, als diese kleinen Hoftheater, de-
nen vor Allem' das Eine fehlt: in der Mitte eines großen, bewegten
Volkslebens zu stehen, wie es Berlin z. B. hat.
Deutschlands Fluch war die Dezentralisation. Diese jammervolle
 
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