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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 57.1941-1942

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Christoffel, Ulrich: Säule und menschliche Gestalt
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https://doi.org/10.11588/diglit.16490#0522

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Foto Jaeger & Goergen, München

Ludwig Platzöder. Stilleben mit Tonflasche

Große Deutsche Kunstausstellung München 1942

Säule Und menschliche Gestalt. Von Ulrich Christoffel

Die Säule gleicht der menschlichen Figur und sie
steht trotz ihrer architektonischen Gebundenheit zu
den plastischen Gestalten derselben Stilstufe jeweils
in einem dynamischen Wechselverhältnis. Die Grie-
chen hielten schon die Baumstämme für belebte ver-
letzliche Wesen und in jeder Säule wohnte ihnen eine
menschliche Gestalt. Die Schale der Säulentrommel
fiel und ein Doryphor, ein Apollo oder eine Kore tra-
ten hervor, frei von jeder tektonischenHemmung und
doch heimlich gestützt von der schönen Aufrichtung
der Säule. Die Säule ist eine reine Stütze, die das Dach
trägt, aber künstlerisch lebt sie nur, insofern sie von
menschlichem Geblüt ist und ihre Umgebung mit
ihrem Atem und Rhythmus erfüllt. Sie gehört in der
Reihung und Gruppierung dem baulichen Verband
des Tempels an, ist aber auch ein selbständiges bild-
nerisches Glied und wirkt wie die Bildfiguren der
Giebel und Metopen aus ihrem eigenen Schwerge-
wicht und aus ihrer eigenen Idee. Auf der harmoni-

schen Gleichung Säule und Bildfigur beruht die
Blütenschönheit der griechischen Kunst, die jede
Form dem menschlichen Empfinden anzugleichen
weiß. Diese Verbindung von Säule und Gestalt hat
sich später verändert und bald trat die Plastik in den
Dienst der Säule oder die Säule wurde entrechtet,
aber zu allen Zeiten blieb zwischen der Bildnerei und
der Säule ein Zusammenhang bestehen, der ihre Ent-
wicklung aus einer gemeinsamen künstlerischen Wur-
zel erkennen läßt.

In der frühchristlichen und byzantinischen Kunst der
Basiliken und Kuppelkirchen verband sich die Säule
mit dem Bogen und sie wurde damit in die abstrakte
Ebene der Wand aufgenommen, von der sie sich kaum
mehr befreit hat. Die Säule als Stütze und Schmuck
mußte sich einer höhern Ordnung fügen, in der sie
zwar noch Träger einer führenden Melodie blieb, die
sie aber nicht mehr beherrschte. Aber auch die Bild-
hauerei verlor ihre freie Gelenkigkeit und wurde ein

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