Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

DOI Heft:
Heft 13 (1. Aprilheft 1913)
DOI Artikel:
Walzel, Oskar: Jean Paul: zum 21. März 1763
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0022

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Jean Paul

Z«m 21. März 1763

^^in eignes Phänomen ist es; ein Autor, der die Anfnngsgründe der
F ^ Kunst nicht in der Gewalt hat, nicht ein Bonmot rein ausdrücken,
»^^nicht eine Geschichte gut erzählen kann, nur was man gewöhnlich
gut erzählen nennt, und dem man doch schonum eines solchen humoristi«
schen Dithyrambus willen, wie der Adamsbrief des trotzigen, kernigen,
prallen, herrlichen Leibgeber, den Namen eines großen Dichters nicht
ohne Ungerechtigkeit absprechen dürfte." Dieses Arteil über den jungen
Iean Paul steht in der schärfsten, feinsinnigsten, treffendsten und ver-
ständnisvollsten Charakteristik, die jemals auf ein paar Seiten über
den Abgott des großen Lesepublikums um ^800 und den Liebling
einiger weniger Auserlesener um i900 niedergeschrieben worden ist:
das Athenäumfragment ^2j, von t^98 ist gemeinsame Arbeit Friedrich
Schlegels und seiner Schwägerin Karoline. Ls vereint die epigram-
matische Schärfe von Friedrichs Geist mit Karolinens künstlerischem
Feingefühl und ihrem unbeirrbar sicherem Rrteil über menschliches
Lun und Treiben; ein Wortpräger von schlagender Charakterisie-
ruugskunst und eine Frau, die den Mittelpunkt einer Persönlichkeit
zu erschauen und zu tresfen wußte, arbeiten sich wechselseitig in die
Hand.

Leibgebers Adamsbrief ist echtester Iean Paul. Er steht im vierten
Kapitel des Buches „Blumen-, Frucht- und Dornenstücke oder Che-
stand, Tod und Hochzeit des Armenadvokaten F. St. Siebenkäs im
Reichsmarktflecken Kuhschnappel". Im „Siebenkäs^, der ^96/9^ er-
schienen war, hatte Iean Paul sein Wesen klarer noch ausgesprochen
als ür seinem ersten großen Roman „tzesperus, oder ^5 Hundspost-
tage" von t?95. Beide Richtungen seiner Erzählungsart sind hier
vereinigt: die Reigung zur kleinbürgerlichen Idylle und der An-
spruch, in Erziehungsromanen mit „Wilhelm Meisters Lehrjahren"
zu wetteifern und in die Seelen der eigenwilligen und sortgeschritte-
nen Bertreter der Kultur des ausgehenden achtzehnLen Fahrhunderts
Hineinzuleuchten. Gerade in Leibgeber hatte Iean Paul einen der
Abergangsmenschen jener Tage erfaßt und in ihm eine Gestalt von
ursprünglicher Sonderlichkeit und doch auch wieder von typischer Be-
deutung verlebendigt, einen Menschen von solcher Kraft der Persön-
lichkeit, daß Iean Paul ihn noch in späteren Schriften zu benützen
wagte. Leibgebers Adamsbrief ist vollends ein Muster- und Meister-
stück Iean Paulschen Witzes.

Leibgeber schreibt ihn an seinen jungverheirateten tzerzensfreund
Siebenkäs. Er versetzt sich in die Seele Adams und hält in Adams
Ramen, anr tzochzeitsabend mit Eva außen am Spaliere des Para-
dieses in grünen Tändelschürzen und in Pelzen auf und ab spazierend,
eine tzochzeitsrede an die Mutter aller Menschen; er entwickelt, was
für und was gegen die Erzeugung eines künftigen Menschengeschlechts
spreche. Voraussetzung ist, daß Adam vor seinem Falle das Vorzüglichste
von seiner Allwissenheit aufnotiert hat. Denn im Stande der Anschuld
hatte er alle Wissenschaften innegehabt, die Aniversal- wie die Ge-
lehrtenhistorie, die verschiedenen peinlichen und anderen Rechte und die

Aprilheft t9l3 7
 
Annotationen