öden Zivilisation heraus einer neuen Kultur entgegengehen, so müssen
wir überzeugt sein, daß diese Kultur auch den ihr entsprechenden
gesellschaftlichen Ausdruck finden wird. Darum: stoßen wir den mor-
schen Lattenzaun um, der die lebendigen Elemente für die neue
Gesellschaft der Kulturmenschen voneinader trennt, und sammeln
wir diese Elemente zum Kampfe für das XocXov X«^«^ov zugleich ge-
gen Philistertum und Snobismus.
Dietrich Frhr. von Miltitz
Der Künstler als Vorkämpfer der Menschheit
m Lnde seines Lebens wurde Tolstoi zu einem erbiLterten Feinde
der Kunst. Er sah rings um sich die Not und das Elend,
^^fühlte katastrophenartig die solidarische Verbindung, in der
jeder Einzelne mit dem Ganzen steht, empfand die Mitverantwortung,
die jeder Einzetne für jeden ungelinderten Iammer trägt, und stellte
schließlich als Bilderstürmer die zornige Frage: Darf dem Dienste
des Schönen Kraft und Gut zugewendet werden, solange an dem
meisten Elend das Menschenwürdige, das Menschenmögliche noch
nicht getan ist? Die Kunst erschien ihm den menschlichen Böten gegen-
über zuerst als ein leichtfertiger, schließlich als ein verbrecherischer
Aberfluß — glücklicherweise kam diese Lrkenntnis zu spät, als daß
sie die gewaltigen Drchtungen des wunderbaren Mannes hätte un-
geschrieben machen können. Man weiß, daß sein Wille, wenigstens
in seiner eigenen Lebenshaltung die Solidarität mit dem Iammer der
Menschheit auszuprägen, ihn bis zum Possenhaften führte. Aber
daß es ihm mit diefem Streben ernst war, ist außer allem Zweifel.
Man hat diesen Abertritt aus der Welt des Asthetischen rn die
Welt des Ethischen vielfach spöttisch oder witzig kommentiert. Aber
Tolstois letzte Lntwicklung hat ihre sehr ernste Seite. Denn sie lehrt
nachdenken über die tzierarchie der Werte, über die Frage, welche
Bedeutung dem ästhetischen Werte, vor allem dem kunstästhetischen,
innerhalb des menschlichen Lebens und Mühens zukommt. Tölstoi
steht mit seiner Auflehnung gegen die Kunst nicht allein. Ahnliche
Entwicklungen, häufig auch mit religiöser Betonung, haben verschie-
dene bedeutende Künstler durchgemacht, Lntwicklungen, die alle einen
Widerstreit zwischen ästhetischen und ethischen Werten zum Ausdruck
bringen.
Michelangelo verwirft am Ende seines Lebens ^die eitle Freude
am Gestalten". „Ietzt seh ich, wieviel Irrtum sie enthalten und wie
wir gegen unser Bestes streben." Elemens Brentano konnte nach
seiner Bekehrung nur mühsam von der Vernichtung seiner schönsten
Dichtungen abgehalten werden; Artur Rimbaud, als er in das tätige
Leben trat, warf die Kunst wie ein überflüssiges Spielzeug hinter sich,
Beardsley überstand den Abergang zum Äeligiösen nicht ohne leb-
hafte Bereuung seines glänzenden künstlerischen Schaffens. Ganze
Zeiten machen die ethische oder religiös begeisterte Gegenbewegung
wider die Kunst mit.
Ia, man kann weiter gehen und sagen: daß von Anfechtungen,
wie sie jene Männer erlebt haben, kein ernster Mensch ganz frei bleibt.
KunstwarL XXVI, 15
wir überzeugt sein, daß diese Kultur auch den ihr entsprechenden
gesellschaftlichen Ausdruck finden wird. Darum: stoßen wir den mor-
schen Lattenzaun um, der die lebendigen Elemente für die neue
Gesellschaft der Kulturmenschen voneinader trennt, und sammeln
wir diese Elemente zum Kampfe für das XocXov X«^«^ov zugleich ge-
gen Philistertum und Snobismus.
Dietrich Frhr. von Miltitz
Der Künstler als Vorkämpfer der Menschheit
m Lnde seines Lebens wurde Tolstoi zu einem erbiLterten Feinde
der Kunst. Er sah rings um sich die Not und das Elend,
^^fühlte katastrophenartig die solidarische Verbindung, in der
jeder Einzelne mit dem Ganzen steht, empfand die Mitverantwortung,
die jeder Einzetne für jeden ungelinderten Iammer trägt, und stellte
schließlich als Bilderstürmer die zornige Frage: Darf dem Dienste
des Schönen Kraft und Gut zugewendet werden, solange an dem
meisten Elend das Menschenwürdige, das Menschenmögliche noch
nicht getan ist? Die Kunst erschien ihm den menschlichen Böten gegen-
über zuerst als ein leichtfertiger, schließlich als ein verbrecherischer
Aberfluß — glücklicherweise kam diese Lrkenntnis zu spät, als daß
sie die gewaltigen Drchtungen des wunderbaren Mannes hätte un-
geschrieben machen können. Man weiß, daß sein Wille, wenigstens
in seiner eigenen Lebenshaltung die Solidarität mit dem Iammer der
Menschheit auszuprägen, ihn bis zum Possenhaften führte. Aber
daß es ihm mit diefem Streben ernst war, ist außer allem Zweifel.
Man hat diesen Abertritt aus der Welt des Asthetischen rn die
Welt des Ethischen vielfach spöttisch oder witzig kommentiert. Aber
Tolstois letzte Lntwicklung hat ihre sehr ernste Seite. Denn sie lehrt
nachdenken über die tzierarchie der Werte, über die Frage, welche
Bedeutung dem ästhetischen Werte, vor allem dem kunstästhetischen,
innerhalb des menschlichen Lebens und Mühens zukommt. Tölstoi
steht mit seiner Auflehnung gegen die Kunst nicht allein. Ahnliche
Entwicklungen, häufig auch mit religiöser Betonung, haben verschie-
dene bedeutende Künstler durchgemacht, Lntwicklungen, die alle einen
Widerstreit zwischen ästhetischen und ethischen Werten zum Ausdruck
bringen.
Michelangelo verwirft am Ende seines Lebens ^die eitle Freude
am Gestalten". „Ietzt seh ich, wieviel Irrtum sie enthalten und wie
wir gegen unser Bestes streben." Elemens Brentano konnte nach
seiner Bekehrung nur mühsam von der Vernichtung seiner schönsten
Dichtungen abgehalten werden; Artur Rimbaud, als er in das tätige
Leben trat, warf die Kunst wie ein überflüssiges Spielzeug hinter sich,
Beardsley überstand den Abergang zum Äeligiösen nicht ohne leb-
hafte Bereuung seines glänzenden künstlerischen Schaffens. Ganze
Zeiten machen die ethische oder religiös begeisterte Gegenbewegung
wider die Kunst mit.
Ia, man kann weiter gehen und sagen: daß von Anfechtungen,
wie sie jene Männer erlebt haben, kein ernster Mensch ganz frei bleibt.
KunstwarL XXVI, 15