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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 15 (1. Maiheft 1913)
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Meinecke, Friedrich: Stein und die Erhebung von 1813
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0231

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Soll man in der Feierstimmung dieses Iahres über diese Alters-
züge und überhaupt die Schwächen seines Wesens hinwegsehen?
Wir meinen, sie berühren uns, wie seine großen und heldenhaften
Züge, ebenso menschlich wie deutsch. Die Tragik, die ihm anhaftete,
war und ist auch die Tragik unseres Volkscharakters. Wir streben
vielleicht höher himmelwärts als andere Nationen und können uns
doch aus einer gewissen angeborenen Lebensenge meist nicht ganz
befreien. Anser Kultur« wie unser Staatsleben ist deshalb unaus-
geglichener als das andrer Nationen, und das Philistertum haben
wir weder in dem einen, noch in dem anderen je ganz zu Boden
werfen können. Man müßte einmal das deutsche Philistertum unter
die geschichtliche Lupe nehmen, um zu wissen, wieweit setne Wurzeln
zurückreichen und welche singulären Schicksale es befördert haben.
Zweifellos haben die Vielstaaterei und der absolutistische Mllitär-
und Polizeistaat des siebzehnten und achtzehnten Iahrhunderts
mitgeholfen, die Nation zu verkrüppeln. Niemand hat tiefer und
leidenschaftlicher diese Verkrüppelung seines Volkes empfunden als
Stein, dieser Todfeind aller Schreiberseelen; niemand hat mehr da-
mals dafür getan, es emporzureißen zu festem und mutigem Aus-
schreiten. Wie er politisch die ältere Reichs- und Kalserzeit wleder
zu Ehren bringen wollte, so bedeutet sein Lebenswerk insgesamt die
Reaktion eines älteren, kräftigeren, vollblütigeren deutschen Geistes
gegen die Einschnürungen der letzten Iährhunderte. Wenn er nun
das, was er um sich herum niederzuschlagen versuchte, in sich nicht
ganz zu überwinden vermochte, so teilt er damit das Schicksal wohl
aller großen Reformer der Geschichte.

„Bei Stein lebt man immer unter freiem tzimmel^, hat Wilhelm
von tzumboldt nach einem Besuche bei ihm in ganz wörtlichem
Sinne und zugleich so schön bezeichnend gesagt. Er liebte die Wald-
gebirge und Stromtäler des westlichen Deutschlands und zog sie der
italienischen Landschaft vor. Wer sein Bild sieht, mag vlelleicht
zuerst meinen, daß Augen und Mund mehr auf ein mildes, wohl-
temperiertes Tugendideal deuten. Dann aber sieht man die Züge
immer fester und kraftvoller werden, und schließlich ahnt man den
Feueratem, der aus ihm Hervorbrechen konnte.

Freiburgi. B. FriedrichMeinecke

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Lose Blätter

Von SLein und über ihn

I^Die nachfolgende Auswahl möge zur Erläuterung und Ergänzung des
Aufsatzes von Meinecke dienen. Zuerst hören wir den immer tätigen,
immer wirksamen Mann, der selten Ruhe und Reigung zu langen theo-
retischen Auseinandersetzungen fand, mit einigen seiner festgefügten und
bei aller Knappheit so volltönenden Programmsprüche. Sie sind in
seinen Denkschriften und Briefen und in der Pertzschen Biographie abge-
druckt. Alle sind „Gelegenheiten", alle irgendeinem unmittelbaren Anlaß
entsprungen und zu einem bestimmten Zweck gesprochen; ihre Fülle

M Kunstwart XXVI, 15
 
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