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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 16 (2. Maiheft 1913)
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Um Richard Wagner
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0293

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I Iahrg. 26 Zweites Maiheft 1913 Heft 16 ^

Llin Richard Wagner

enige Aufgaben übertreffen an Amfang, Bedeutung und
V Manziehendem Reiz die, sich Wesen und Werk eines Mannes
zu vergegenwärtigen, der wie Richard Wagner nach vielen
Seiten hin geschaffen und gewirkt hat. Wer musikalisch erfaßt, was
er für die Tonkunst bedeutete, hört bald SLimmen, die ihn als Dichter
und Dramatiker preisen; Kundige führen uns in seine Gedankenwelt,
sein zeitliches Wirken hinein; und ist der Amkreis seines in Schrift und
Werk erhaltenen Innenlebens umschritten, so eröffnet sich der Ausblick
schließlich über das unendlich weite persönlich wirkliche Leben seines
Innern; die Größe und Tiefe seines Fühlens, die Not und tzerr-
lichkeit seines irdischen Daseins erfaßt den Empfänglichen und zwingt
ihm gegensätzliche und endlose Miterlebnisse auf. Von da zurück-
kehrend hören wir ehrfürchtiger und liebevoller, mit schärferem Ohre
für die Stimmen dieses besonderen Lebens seine Werke, es müßte
sonderbar zugehen, wenn sie uns nicht tiefer und leidenschaftlicher er-
griffen, da eine Tondrama gewordene ganze Menschenwelt und Lebens-
erfahrung und ein Zeitalter für unser Ohr darin miterklingt. Die
tiefe, leidenschaftliche Dankbarkeit, mit der nun wieder Tausende des
Großen gedenken werden, wir begreifen sie als Antwort derer, deren
Gefühl und Schauen durch ihn einer erhabenen und umfassenden Welt
teilhaft wurde. Viele vermögen ein Leben lang, wie die Kinder am
Weihnachtabend, in alledem aufzugehen, was ihnen mit Richard
Wagner geschenkt wurde, ohne zu ermüden und ohne ihren inneren
Besitz zu erschöpfen.

Iedoch, die Dankbarkeit kommt hier nicht allein in Frage. Die
Zeit der offenen, der persönlichen und oberflächlichen Fehde ist vor-
über, die Zeit des tieferen, endgültigen Kampfes um das, was Wagner
in der deutschen Kultur fortan sein soll, beginnt erst. Dieser Kampf
wird minder laut, minder persönlich, minder geschäftig sein, aber er
wird sein. Es scheint uns die vornehmste Aufgabe für den Iubeltag
des großen Erregers dieser Bewegungen, eine sichere Stellung in
diesem Kampfe zu suchen.

Lebensanschauung und Kulturwirkung

Anglaubhaft lange hat es gedauert, bis die Kulturwelt von den
Beunruhigungen sich beruhigte, die von Richard Wagners Person,
seinem Werk und tzandeln unmittelbar auf sie einwirkten. Spätere
Menschenalter werden das nicht mehr verstehen, da dieser Teil der
Wirkung nicht im dauernden Kunstwerk eines Genius allein be-
gründet liegt. Für uns, die wir noch der „Zeit Richard Wagners^
angehören, ist diese Tatsache von höchster Vedeutung.

Vergegenwärtigt man sich einige Einzelzüge, so wird dies klarer.
Das neunzehnte Iahrhundert hatte die letzten Reste der europäischen
Kultureinheit, wie sie ein Voltaire oder Rousseau noch beherrschen

2. Maiheft W3 2R ^
 
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