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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 14 (2. Aprilheft 1913)
DOI Artikel:
Avenarius, Ferdinand: Mittelstelle für Volksschriften, gegründet vom Dürerbunde
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Greyerz, Otto von: Landerziehungsheime, [1]: was sie sind und was sie werden könnten
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0114

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genießen wird, der ein geistiges und seelisches Ernähren zu Ge«
sundheit und Kraft, der eine Tüchtigung unsres deutschen Vob-
kes bedeutet. A

Landerziehungsheime

Was sie sind und was sie werden könnten

or zweihundertfünfzig Iahren lehrte der alte Comenius, man solle
beten: ut sit insus Lana. iu ooryoro 39.110! daß ein gesunder
Geist in einem gesunden Körper wohne. Linfach und groß
ist die Bitte; selbstverständlich, sollte man meinen. Aber bis die
Menschen um das (Linfach-Große beten, kann man lange warten.
Täten sie's ernstlich, so würde die Bitte erfüllt. Denn an ihnen
allein.liegt's, daß sie erfüllt werde. Man frage unsre heutigen Schulen,
wie weit ,wir's mit der Bitte gebracht haben! Man frage das Leben!

Rnd noch ein anderes Wort stammt von jenem Comenius, dem
Manne der Sehnsucht, wie er sich selbst dankbar gegen Gott nannte;
jene Frage: „Warum sollten wir nicht statt toter Bücher das Buch der
Natur -aufschlagen?" Warum nicht? Natürlich sollen wir! Die
Natur ist ohne Zweifel das Batürlichste, was es gibt. — Darum heißen
wir auch das papierene Zeitalter! Selbst die Schule wird zur Presse,
wie der glückliche Ausdruck für unsre approbaten Cxamenfabriken
lautet. So natürlich ist die Sache.

Cs fällt mir noch ein drittes Wort ein, das auch im Comenius
steht. „Wissen", sagt er, „heißt gestalten können (6M§iLr6 xo886), sei's
mit dem Geiste, sei's mit der tzand, sei's mit der Zunge." Wissen ist
Können? So ein Unsinn! Wissen ist Wissen, Können ist Können.
Man weiß eine Regel oder man weiß sie nicht; man kann schwimmen
oder man kann nicht. — Der Schulverstand hat die Paradoxen nicht
gern. Aber die Barren und die großen Denker lieben sie. Um ge»
rade bei der Regel zu bleiben: nicht, daß ich die Regel weiß, sondern
daß ich sie brauchen kann, ist die tzauptsache; nicht daß ich von
Stilistik etwas weiß, sondern daß ich einen Stil schreiben kann; nicht
daß ich über Lessing etwas weiß, sondern daß ich ihn lesen, mit ihm
denken kann, ist das Wichtige. Mcht das Wissen, trotz allem Nutzen,
den es bringt, ist die erstrebenswerte Art geistigen Besitzes, sondern
das Können, die „tugendhaften Fertigkeiten", wie es in der zopfi--
gen Sprache Lessings noch heißt. Schaffen können, handeln können,
fchauen, Lenken, urteilen, fühlen, sprechen, schreiben können, und
alles aus eigenem starken Trieb, auf eigene Art und in ruhigem
Selbstvertrauen, das ist das Ziel, das alle Mühen des Lernens lohnt;
denn das heißt Persönlichkeit haben, „höchstes Glück der Lrdenkinder".

So alt wie diese drei Worte des Comenius sind die Grund-
erkenntnisse, aus denen die Landerziehungsheime hervorgegangen sind.

Ihre Vorläufer sind die Philanthropine des Iahrhunderts ge-
wesen. Die Geschichte nennt sie fast nur in Verbindung mit dem
Namen Basedow. Ihre Anfänge aber sind in der Schweiz zu suchen,
wo schon also dreizehn Iahre vor der Gründung des Dessauer
Philanthropins, der Pfarrer Martin v. Planta aus Süs sein Seminar

8H

Kunstwart XXVI,
 
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