Iahrg. 26 Erstes Iuniheft 1913 Heft 17
^Der praktische Psychologe" — ein neuer Beruf
an beklagt dre Aberfüllung der bestehenden Berufe und vergrßt
IF dre Schaffung neuer; wrr erleben das kläglrche Schauspiel der
^^^Vrelzuvrelen, dre auf erne frer werdende Stelle lauern, täglrch,
und sehnen uns nach dem großen Anblrck ernes Ernzelnen oder Wenr«
ger, dre vorhandenen Bedürfnrssen rn neuen Berufen dre Erfüllung zu
bringen den Ernfall, dre Kraft und den Mut haben. Dre Diffe-
renzrerung und die Arbeitsterlung schreiten doch fort; Betätigungen,
die einst Teile gewesen sind, werden selbständig; theoretische Er«
rungenschaften ziehen Nntzanwendungen nach sich; die Bedürfnisse
wachsen, wandeln sich und nähren die Sehnsucht nach Stillung;
zuweilen züchtet auch der Unternehmer erst das Bedürfnis, durch
dessen Befriedigung er möglich wird und Erwerb findet. Die Nachfrage
regelt das Angebot, gewiß; aber das Angebot auch die Nachfrage.
Sind die alten Berufe überfüllt, so muß man neue anbieten.
In unserem Leben wachsen die Komplikationen; der Einzelne hört
auf immer mehr Gebieten auf, sich selbst genug zu sein, sich allein
orientieren zu können; er wird abhängig nicht nur von Seines-
gleichen, in immer zahlreicheren und umfassenderen Standesorgani«
sationen, sondern auch vom Berater, vom Fachmann auf den ver-
schiedensten Gebieten. Die Zeit ist vorbei, da man seine Prozesse
selber führte, seinen erkrankten Körper selber Pflegte, sein Geld selbst
verwaltete — und außerdem (sogar in erster Reihe) noch einen
Beruf übte. Die Leistung im eigenen Beruf ist gewachsen und macht
es unmöglich, sich mit der Sachkenntnis zu versehen, die sür ein anderes
Gebiet Voraussetzung des Erfolges ist. Ohne die Wissenschaft als
Führerin ist aber in sehr vielen Beziehungen unseres öffentlichen
und privaten Lebens nicht mehr auszukommen, seit die überkommenen
Anschauungen und Lebensformen zerbröckeln.
Aber „leben" — so meint man — kann doch noch jeder ohne
fachmännische Beratung, „leben" schlechthin sei noch die eigentliche
Leistung des ganzen Individuums. Allein was heißt das: Leben?
Lassen sich nicht neben die Seiten, die heute schon vom Ganzen
unserer Persönlichkeit einigermaßen abgespalten sind, soweit verselb-
ständigt, daß wir zu ihrer Vertretung und Pflege den fachmänni-
schen Berater brauchen, andere stellen, gleicher Verselbständigung
fähig, für sie reif? Ich Höre nicht auf, Ich zu sein, diese Person
mit eigener Prägung und Vergangenheit, Einheit durch und durch,
und doch überlasse ich mich als „juristische Person" meinem Anwalt
und seiner Führung, als „Lebewesen, als Körper^ dem Arzt und
seiner Behandlung, als „bomo WeonomuL" der Bank und ihrem
Rat. Sollte es nicht mit anderen Seiten meiner Person ähnlich
bestellt sein können und müssen, wenn sie einmal deutlich bewußt
und durchgebildet sind? Die Religionen zeigen ja sogar, daß man
für sein tzeil, obgleich es den ganzen Menschen betrifft und umfassen
will und obgleich es das persönlichste Werk jedes Menschen sein
t- Iunihest W3 305
^Der praktische Psychologe" — ein neuer Beruf
an beklagt dre Aberfüllung der bestehenden Berufe und vergrßt
IF dre Schaffung neuer; wrr erleben das kläglrche Schauspiel der
^^^Vrelzuvrelen, dre auf erne frer werdende Stelle lauern, täglrch,
und sehnen uns nach dem großen Anblrck ernes Ernzelnen oder Wenr«
ger, dre vorhandenen Bedürfnrssen rn neuen Berufen dre Erfüllung zu
bringen den Ernfall, dre Kraft und den Mut haben. Dre Diffe-
renzrerung und die Arbeitsterlung schreiten doch fort; Betätigungen,
die einst Teile gewesen sind, werden selbständig; theoretische Er«
rungenschaften ziehen Nntzanwendungen nach sich; die Bedürfnisse
wachsen, wandeln sich und nähren die Sehnsucht nach Stillung;
zuweilen züchtet auch der Unternehmer erst das Bedürfnis, durch
dessen Befriedigung er möglich wird und Erwerb findet. Die Nachfrage
regelt das Angebot, gewiß; aber das Angebot auch die Nachfrage.
Sind die alten Berufe überfüllt, so muß man neue anbieten.
In unserem Leben wachsen die Komplikationen; der Einzelne hört
auf immer mehr Gebieten auf, sich selbst genug zu sein, sich allein
orientieren zu können; er wird abhängig nicht nur von Seines-
gleichen, in immer zahlreicheren und umfassenderen Standesorgani«
sationen, sondern auch vom Berater, vom Fachmann auf den ver-
schiedensten Gebieten. Die Zeit ist vorbei, da man seine Prozesse
selber führte, seinen erkrankten Körper selber Pflegte, sein Geld selbst
verwaltete — und außerdem (sogar in erster Reihe) noch einen
Beruf übte. Die Leistung im eigenen Beruf ist gewachsen und macht
es unmöglich, sich mit der Sachkenntnis zu versehen, die sür ein anderes
Gebiet Voraussetzung des Erfolges ist. Ohne die Wissenschaft als
Führerin ist aber in sehr vielen Beziehungen unseres öffentlichen
und privaten Lebens nicht mehr auszukommen, seit die überkommenen
Anschauungen und Lebensformen zerbröckeln.
Aber „leben" — so meint man — kann doch noch jeder ohne
fachmännische Beratung, „leben" schlechthin sei noch die eigentliche
Leistung des ganzen Individuums. Allein was heißt das: Leben?
Lassen sich nicht neben die Seiten, die heute schon vom Ganzen
unserer Persönlichkeit einigermaßen abgespalten sind, soweit verselb-
ständigt, daß wir zu ihrer Vertretung und Pflege den fachmänni-
schen Berater brauchen, andere stellen, gleicher Verselbständigung
fähig, für sie reif? Ich Höre nicht auf, Ich zu sein, diese Person
mit eigener Prägung und Vergangenheit, Einheit durch und durch,
und doch überlasse ich mich als „juristische Person" meinem Anwalt
und seiner Führung, als „Lebewesen, als Körper^ dem Arzt und
seiner Behandlung, als „bomo WeonomuL" der Bank und ihrem
Rat. Sollte es nicht mit anderen Seiten meiner Person ähnlich
bestellt sein können und müssen, wenn sie einmal deutlich bewußt
und durchgebildet sind? Die Religionen zeigen ja sogar, daß man
für sein tzeil, obgleich es den ganzen Menschen betrifft und umfassen
will und obgleich es das persönlichste Werk jedes Menschen sein
t- Iunihest W3 305