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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 17 (1. Juniheft 1913)
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Stapel, Wilhelm: Vom Entarten der Wohltätigkeit
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Reichel, Ernst: Obligatorische Mädchenfortbildungsschule
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0396

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die armen tzeimarbeiterinnen sind, welche die künstlichen Blumen für
tzungerlöhne herstellen. Also just die, denen geholfen werden sollte!
Ie besser sie bezahlt werden, um so schlechter das Ergebnis des
Blumentages. Alles in allem betrug der Anteil, den die Lrträgnisse
aus Basaren, Tombolen, Wohltätigkeitsfesten und Blumentagen in 8g
von Levy statistisch berücksichtigten Städten an der Gesamtsumme aller
in diesen Städten aufgebrachten Mittel für Wohltätigkeit hatten, nur
etwas über 5 vom Hundert! Die Blumentage brachten 3,75, die
Feste 0,9t, die Basare und Tombolen gar nur 0,6 vom tzundert!
Wie winzig ist dieses Ergebnis gegenüber dem der geräuschlosen, ernst«
haften Wohltätigkeit! And dafür nimmt man Erscheinungen in Kauf,
von denen Levy sagt: „Insbesondere in den großen Städten gestalteten
sich die Blumentage zu wahren Festorgien, bei denen nichts fehlte, was
für alle großen jahrmarktmäßigen Veranstaltungen, in denen die
Masse sich zügellos ergehen kann, charakteristisch zu sein Pflegt/
Aber, sagt man, wieviel Gutes bliebe ungeschehen, wenn wir auf
die Summen verzichteten, die uns jene Veranstaltungen immerhin ein--
bringen. Gewiß, die Augenblickserfolge sind unbestreitbar. Aber
ebenso unbestreitbar ist, daß das soziale Verantwortlichkeitsgefühl auf
die Dauer verkümmert, wenn man ihm mit fröhlichem Lachen genug
tut. Auf diesem Verantwortlichkeitsgefühl aber beruht die gesamte
freie Liebestätigkeit, all ihre stille, hingebende Kleinarbeit. Ie mehr
in unserm Volk der Sinn für den Ernst dieser Sache schwindet, um
so mehr schwindet jener Tätigkeit und ihren Organisationen der Boden
unter den Füßen. And letzten Endes sägt man damit den Festen und
Blumentagen selbst den Stamm ab, dem sie entsprossen sind. Es ist
besser, wir verzichten auf die lustige, lärmende WohlLätigkeit trotz
ihrer „Erfolge", als daß wir der Wohltätigkeit ihre Seele nehmen
und sie langsam, aber sicher töten. Der Sache wird am besten ge-
dient, wenn wir uns auf die Form des Wohltuns beschränken, die
schon rn der Bergpredigt empfohlen wurde. Wilhelm Stapel

Obligatorische MLdchenfortbilduugsschule

it dem Scheitern des sächsischen Volksschulgesetzes im vorigen
Iahre wird auch die obligatorische Mädchenfortbildungsschule auf
lange hinaus der heranwachsenden weiblichen Iugend in Sachsen
vorenthalten. Kann Sachsen, kann überhaupt das deutsche Volk auf eine
solche Schule verzichten?

Aach Friedrich Paulsen vollzieht sich durch Erziehung und Bildung
die Äbertragung des gesamten Kulturbesitzes der elterlichen Generation
auf ihre Aachfolger, oder, anders ausgedrückt: Bildung ist die Hinein-
bildung aller Kultur erzeugenden und erhaltenden Kräfte und Fähig-
keiten in die nachwachsende Iugend. Trägt die Mädchenfortbildungs-
schule hierzu bei, dann sollte keiner der deutschen Bundesstaaten zögern,
sie einzuführen. Süd- und mitteldeutsche SLaaten haben ihre Aotwendig-
keit erkannt: Baden, Bayern, Württemberg, Sachsen-Meiningen, Sachsen-
Koburg fordern sie durch Landesgesetz allerorts. Eine Reihe andrer
Staaten, wie das Königreich Sachsen, Sachsen-Gotha, Hessen-Darmstadt,
Sachsen-Weimar, Sachsen-Altenburg, Schwarzburg-Sondershausen, Aeuß


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Kunstwart XXVI,
 
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