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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

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Heft 13 (1. Aprilheft 1913)
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Zu der einmaligen Vermögensabgabe
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Weber, Ernst: Harmonische Bildung
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0041

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schleierung schwächt das Verantwortungsgefühl der Regierenden, deren
Aufgabe es sein rnuß, von der verstärkten Wehrmacht künftig in der
äußeren Politik einen solchen Gebrauch zu machen, daß sich die Zahl
unsrer Feinde verringert, die unsrer Freunde vermehrt. Iede Macht-
politik, die nicht darauf aus ist, die Voraussetzungen für eine Betätigung
friedfertiger, den Weltverkehr fördernder Zwecke zu schaffen, wirkt kultur-
hemmend. Die deutsche Diplomatie rechnete bisher fast immer nur mit
gewordenen, selten mit werdenden Mächten, und irrte daher jedesmal
in einer falschen Richtung, sobald eine innerlich morsche, alte, mit einer
jungen, noch unbewährten, aber in aller Stille erstarkten Macht in
Kampf geriet. Sie mißachtete Iapan, solange es Rußland noch nicht
besiegt hatte, sie hatte vom Iungtürkentum keine Ahnung, solange Abdul
Hamid am Ruder war, sie verkannte die Kräfte der Balkanslawen vor
dem jüngsten Kriege, und trotz all solcher Erfahrungen verwechselt sie
heute noch den Zaren und seinen Hof mit Rußland, wie es ist und sein
wird. Zum Leil haben erst die Folgen dieser Irrtümer eine neue Heeres-
vermehrung notwendig gemacht. Die Opfer, die dafür gebracht werden,
werden vergeblich sein, wenn die Zukunft unsrer Diplomatie ihrer Ver«
gangenheit gleichen wird.

Harrnonische Bildung

^-^ange Iahre hindurch hatte sie starke Geltung behauptet, die For-
MEpexung nach harmonischer Bildung aller Menschenkräfte, aller
^^körperlichen und geistigen Anlagen. Besonders seit der Philosoph
unter den Pädagogen oder der Pädagoge unter den Philosophen,
seit Ioh. Friedrich Herbart im „gleichschwebenden Interesse" ein Ideal
erziehlicher Beeinflussung entdeckt hatte. Es galt fortan als das Beste
und Erstrebenswerteste, die einzelnen Fähigkeiten des Menschen mög-
lichst weit zu umspannen und möglichst gleichmäßig zu entwickeln und
keine Seite der menschlichen Natur zu vernachlässigen. Man sah den
wahrhaft Gebildeten und Lrzogenen weder in dem kalten Verstandes-
noch in dem überschwänglichen Gefühlsmenschen. Auch nicht in dem
sein Ziel rücksichtslos verfolgenden WLllensmenschen. Man forderte
tzarmonie. Man hielt es auch innerhalb der einzelnen Gebiete
für falsch, eine Spezialität übermäßig zu pflegen. Man suchte den
iperderrderr Menschen in die gesamte Kultur der Gegenwart, zum min-
desten in die grundlegenden Fundamente dieser Kultur einzuführen,
nicht nur in ein bestimmtes Teilgebiet.

Dieses Bestreben, allen alles zu bieten, alle für alles zu inter-
essieren, zu möglichst vielem anzuleiten, keine Kraft und kein Kultur-
gebiet brach liegen zu lassen, führte jedoch zu einem gewissen Äber-
maß hinsichtlich der Stoffe. Gleichzeitig zu einer nervösen tzast in der
Stoffvermittlung, wodurch ein ruhiges, „harmonisches" Arbeiten un-
möglich gemacht wurde.

And gleichzeitig mußte man entdecken, daß von Natur aus gar
nicht alle Kräfte des Menschen in Harmonischer, in gleichmäßiger
Fülle vorhanden, sondern daß die Anlagen und Dalente bei jedem
einzelnen verschiedenartig gemischt zu finden waren, daß Stärken und
Schwächen auch bei ein und derselben Persönlichkeit vorkamen, kurz-

^ 26_ Kunstwart XXVI, 13
 
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