Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

DOI issue:
Heft 13 (1. Aprilheft 1913)
DOI article:
Möller, Karl: "Künstlerische Gymnastik"
DOI article:
Stapel, Wilhelm: Parlamentarische Einstimmigkeit
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0036

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Kattun ist, wird ja doch kaurn einer merken! Oder wer es merkt, der
pflegt zumeist stillächelnd beiseitezugehen und läßt die Menschen sein,
wie sie nun einmal sind. Wir aber meinen mit Goethe: Uns will das
kranke Zeug nicht munden. Autoren müssen erst gesunden!

KarlMöller

Parlamentarische Einstimmigkeit

kommt es, daß wir uns ein Parlament unwillkürlich als
V Heinen K amp fplatz vorstellen? Die große Posaune der po-
litischen Agitation, die mit ihrem schmetternden Getön zum
„Kampf" und „Sturm" und „Aiederzwingen der Gegner" ruft, die
Riesenlettern, mit denen manche Zeitungen selbst kleine parlamen-
tarische Balgereien als wichtige Aktionen dem Staatsbürger in sein
friedliches Gemüt schieben, und ähnliches dergleichen mag zur Entstehung
dieser Zwangsvorstellung beigetragen haben. In der Idee des Par--
laments liegt es ursprünglich nicht, daß es ein Schlachtfeld sein solle,
auf dem sich die einzelnen Interessen in Beleidigungen, Hohngelächter
und Zornesrufen austoben können: man lese darüber nach, wie die
Männer, die jene Idee formten und in die Wirklichkeit überführen
halfen, sich die Lätigkeit eines Parlaments vorstellten. And was die
praktische parlamentarische Arbeit betrifft, so gilt, daß stets mehr Friedens--
wille als Kampfeswille vorhanden sein muß, wenn es zu einer für
die Gesamtheit ersprießlichen Arbeit kommen soll. Die gesetzgeberische
Arbeit beruht ja im Grunde nicht auf Kampf, sondern auf Ginigung. Das
Parlament soll nicht eine Fortsetzung des Widerstreites der Interessen
draußen im Leben sein, sondern seine Äberwindung. Ie größer
der Leil des Parlaments ist, der einem Gesetz zustimmt, um so größer
die Wahrscheinlichkeit, daß das Gesetz wirklich gut ist. Darum: die
sicherste menschenmögliche Bürgschaft für die Güte eines Gesetzes ist seine
einstimmige Annahme im Parlament. Da die Parlamente als Bürg--
schaft für die bestmögliche Gesetzgebung eingerichtet wurden, so muß
notwendig die Einstimmigkeit das höchste parlamentarische Ideal sein.
Nur das kann vsllkoMmenes Recht sein, was sich die freie
Änterordnung oder wenigstens Anerkennung aller errungen hat. Eine
Volksvertretung, die den Grundsatz, möglichst viel Einstimmigkeit zu er--
zielen, aufgibt, verläßt den Weg, der ihr von ihren letzten Zwecken
vorgeschrieben ist.

Gewiß kann man praktisch auch so Politik machen, daß eine Mehrheit
die Gesetze nach ihrem Gutdünken gestaltet, ohne die Empfindungen und
Wünsche der Minderheit zu beachten. Es geht ja auch heut meist gar
nicht anders. Aber wir wollen uns doch hüten, in diesem Mchtbeachten
und Niederwerfen anderer Meinungen die ganze und eigentümliche Arbeit
einer Volksvertretung zu erblicken. Ist das von der Mehrheit beschlossene
Gesetz schädlich, freilich, dann wird sich das bald im Leben des Volkes
bemerkbar machen, dann muß man das Gesetz ändern oder eine anders-
geartete Mehrheit zieht in das Parlament ein und macht ein anderes
Gesetz. Diese Möglichkeit der Selbstkorrektur bedeutet einen FortschritL
über den Absolutismus hinaus. Aber doch keinen allzu großen. Ist ein
Selbstherrscher nicht völlig verblendet, so wird auch er die üblen Wir--
kungen eines Gesetzes durch Anderung oder Ergänzung zu beseitigen

l- Aprilheft W3
 
Annotationen