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Kunstwart und Kulturwart — 26,3.1913

DOI issue:
Heft 14 (2. Aprilheft 1913)
DOI article:
Nidden, Ezard: Dichtungen als Predigtvorlagen: eine gelegentliche literarische Prinzipienfrage
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https://doi.org/10.11588/diglit.14286#0118

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Dichtungen als Predigtvorlagen

Eine gelegentliche literarische Prinzipienfrage

er Pastor an der Bremer Kirche St. Martini, Emil Felden, hat ein
/duch herausgegeben „Alles oder nichts", Kanzelreden über Ibsens
Schauspiele.^ Der Gedanke, der diesem zugrunde liegt, hat zunächst
etwas Bestechendes. Auf endlosen Wüstenfeldern sind heute die wissenschaft--
lichen Arbeiter damit befaßt, Quellen freizulegen und in die Fassung
kleiner handlicher Bändchen zu bringen oder statistische Antersuchungen
oder spitzfindige Problemlösungen durchzuführen. Die allerwenigsten füh-
len sich angeregt oder gar verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Dichtung
nicht nur ihrem Wortlaut nach verstanden und allenfalls ihrem Anlaß
nach gewürdigt, sondern daß sie kräftig nacherlebt werde und so den
Gehalt wieder ins Leben hinausspende, den das Leben einzelnen Begnadeten
zur Dichtung dargeboten hatte. Da nimmt nun der mitten im Kampf
und Getriebe stehende liberale Pfarrer die Aufgabe in die Hand; er will
„den religiösen und sittlichen Problemen des Lebens an der tzand der
Ibsen-Stücke nachgehen". Die Grundlage dazu findet er in den folgenden
Schlüssen: Die Textunterlage soll zwar Gottes Wort sein, aber dieses
lebt nach unserer neuen Auffassung nicht nur in der Bibel, sondern so
ungefähr in allem Großzügigen, wenn wir es nur recht zu sehen verstehn,
in den Schriften der Inder, den besten Bildern der Modernen, im Koran,
in den Gesängen großer Lyriker, bei Paul Gerhardt und bei Metzsche;
und so auch bei Ibsen.

Sieht man nun zu, wie sich Felden an Ibsen Heranmacht, so bemerkt

man gleich, daß es ihm um das Ganze des Menschenlebens, um die zen-

tralen Fragen zu tun ist. „Brand" behandelt er unter drei Antertiteln:
I. Das Christentum, 2. Der Staat, 3. Die Kirche. Zu den „Stützen"
stellt er die Mesenfrage als Antertitel: „Sind Wahrheit und Freiheit
die Stützen der Gesellschaft?" Mit den „Gespenstern" behandelt er „das
Eheproblem", mit dem Epilog „das Ideal". Daß ein Interpret noch
kräftiger ins Leben hineingreife, wäre also wohl kaum zu verlangen,
es fragt sich nur, wie er die Brücke von der Poesie zu ihm schlägt

und den poetischen Gehalt in lebendigen ummünzt. Es geschieht das

ohne Spitzfindigkeit und ist daher leicht zu charakterisieren. Von Brand
sagt Felden: „Was hat der Held erreicht mit seinem Grundsatze »Alles
oder nichts«? Er hat sein Kind, sein Weib, sich selbst geopfert. Sein
Los ist: äußerer Antergang. Lr, der »das Dämonendrei: Stumpfsinn,
Leichtsinn und Wahnsinn« besiegen wollte, ist ihm zum Opfer gefallen. Aber
— er ist sich selbst treu geblieben, und hat so den größten Sieg errungen,

das größte Glück empfunden.-"

„Alles oder nichts" ist nach Felden die Predigt Brands für uns, es
„muß gefordert werden können von jedem, der seinen Mitmenschen voran»
gehen will". j ^ j j ^ ilH

„Welche Warnung für den feigen Egoismus! Bist du nicht fähig Opfer
zu bringen, so laß es." „Aber sei ganz was du bist. Die Halben sind
Zerstörer des Ideals und des Fortschrittes." „Willst du ein Ganzer
sein, so sei bereit, unterzugehen. Im Amtergehen siegst du." So lehre

* Verlag der „Tat", Leipzig


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Kunstwart XXVI,
 
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