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Heidelberger Familienblätter — 1866

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No. 1 - No. 13 (3. Januar - 31. Januar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43663#0039

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—.31 —

ihr Hauptſtreben daͤrauf, ihrer Tochter die ſorgfältigſte Erziehung geben zu
laſſen. Leider gewann Roſine nichts weiter als eine Halbbildung, wie ſie
heutzutage die jungen Mädchen in den Erziehungsanſtalten und Penſionen
nur zu häufig empfangen. Freilich hatte ſie franzöſiſchen und engliſchen
Sprachunterricht genoſſen, aber dennoch war es ihr unmöglich, in dieſen
Sprachen eine Unterhaltung zu führen. Ihre muſikaliſchen Fähigkeiten
waren unbedentend; wohl konnte ſie einen leichten Tanz oder einen Marſch
ſpielen, aber das war auch Alles. Nun, und ihr Geſang verdiente kaum
das Prädikat mittelmäßig, denn in den wenigen Tönen, die ſie beſaß, ging
die Stimme, wie⸗man zu ſagen pflegt, mit ihr durch, daß die Fenſter-
ſcheiben zitterten und der Sängerin Wangen ſich hochroth färbten, während
ſie die übrigen Töne mit dem Gaumen und mehr als piano ſang.
Und dazu war das Mädchen — Blauſtrumpf. Ihre erſten poetiſchen
Verſuche hatte ſie unter dem Pſeudonym „Blandina“ gegen Zahlung der
Inſertionskoſten im Wochenblatte abdrucken laſſen. Da ſich indeß Nie-
mand um ſolche Verſuche bekümmert, wollte die gekränkte Dichterin die
Kinder ihrer Muſe nicht länger dem undankbaren Publikum ihres kleinen
Wohnortes opfern, nein, hinaus ſollten ſie, weit in alle Welt, vor einen
gediegeneren Leſerkreis, und eine nicht unbedeutende Anzahl von Gedichten
hatte ſie deßhalb kürzlich aͤn ein bekanntes Journal abgeſandt, dem Abdruck
mit geſpannter Erwartung entgegenſehend. Aber nicht mit „Blandina“,
ſondern mit dem vollſtändigen Namen der Verfaſſerin waren die Gedichte
unterzeichnet. Da indeß der Familienname Meier und der Vorname Ro-
ſine grade kein ungewöhnlicher iſt, ſo hatte ſie ſolchem noch den Namen
ihres Wohnortes angehängt und nannte ſich nunmehr „Roſine Meier von
Mäuſebach“. ö
So weit von Roſinen in geiſtiger Beziehung. Was ihre äußere Er-
ſcheinung betrifft, ſo war ſolche in der That recht niedlich. Nicht zu groß,
nicht zu klein, konnte man ihre Körperformen wohl proportionirt nennen.
Blonde Locken umrahmten das mehr ovale als runde Antlitz, in dem der
kleine Mund und das Stumpfnäschen recht ſpöttiſch geſchienen haben wür-
den, wäre ſolcher Ansdruck durch die blauen Augen, die das Mädchen nur
zu häufig gen Himmel warf und verdrehte, um ſich mit-Gewalt den An-
ſtrich des Sentimentalen und Schwärmeriſchen zu geben, nicht wieder ver-
wiſcht worden.
Schon mehrere Heirathsanträge waren Roſinen von bemittelten Hand-

werkern gemacht, jedoch hatte ſie alle dieſelben ſchnöde und kalt abgewieſen.

Wie konnte ſie auch mit ihren geiſtigen und körperlichen. Vorzügen ihr Le-
ben in einer ſchmutzigen Werkſtatt vertrauern, ſie, der eine ſolch' herrliche
Zukunft ſchimmerte, ſie, die ſich ſchon im Geiſte mit dem Lorbeer der Un-
ſterblichkeit geſchmückt ſah! ö
Da endlich zog auch die Liebe in Roſinens Herz ein. Schon ſeit ei-
niger Zeit hatte ſie nämlich einen jungen, ſchlanken, blaſſen Mann vor
ihrer Wohnung vorbeigehen ſehen, der es niemals unterließ, ſein dunkles
glühendes Auge auf das Fenſter, hinter dem ſie, ein Buch in der Hand,
gewöhnlich weilte, zu werfen. Immer häufiger ging er vorüber, immer
glühender wurden ſeine Blicke, immer ſtärker pochte Roſinens Herz, und
bald ſprach ſie mit großem Pathos die Worte der Julia: „Iſter vermählt,
ſo ſei das Grab zum Brautbett mir erwählt..
Doch, Gott ſei Dank! er war nicht vermählt, nicht einmal verlobt;
 
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