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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 49.1933-1934

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Werner, Bruno E.: Der große Pendelschlag: zur Frage "Was ist deutsche Kunst?"
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https://doi.org/10.11588/diglit.16481#0020

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oder wenigstens für einige neue Künstler einsetzen
und die des Glaubens sind, daß hier bereits eine Be-
sinnung auf das eigentliche Wesen der deutschen
Kunst vorhanden sei oder sich wenigstens vorbe-
reite. Aber sieht man sich diese beiden Lager ge-
nauer an. so erkennt man, wie sehr auch hier wie-
der die Meinungen auseinandergehen. Während in
einigen Städten Künstler in die Schreckenskammer
gehängt und auf das schärfste abgelehnt werden,
kann es vorkommen, daß der gleiche Künstler von
den führenden Männern durch eine Berufung ge-
ehrt wird, so daß lokale Mißgriffe von den Führern,
die den Überblickhaben, wieder gutgemacht werden.
Aber auch unter den Freunden der neuen Kunst
divergieren die Anschauungen. Man kann ganz da-
von absehen, daß viele für die neue Malerei sind
und gegen die Architektur oder umgekehrt. Man
braucht sich nur an die Malerei zu halten, und man
wird hören, daß der eine durchaus für die sogenann-
ten Expressionisten, aber gegen die Abstrakten ist,
während der andere — wie z. B. Prof. Schardt —
gerade in den abstrakten Elementen der Kunst das
Y\ iederauftauchen der alten germanischen Orna-
mentik begrüßt. Man könnte diese verschiedenen
Meinungen spaltenlang aufzählen, die alle aussagen
wollen, was deutsche Kunst ist, Meinungen von
Künstlern und Gelehrten, von Kunstfreunden und
Volkserziehern, von Politikern, Philosophen, Stu-
denten und Schriftstellern. Aber was ist denn nun
deutsche Kunst?

Die deutsche Kunst, mit der wir es zu tun haben,
wie man im einzelnen auch stehen mag, ist nicht
die germanische Kunst der Vorgeschichte. Es ist je-
ner blühende und einer der mächtigsten Zweige an
dem Stamm der christlich-abendländischen Kunst.
Das ist die deutsche Kunst seit einem Jahrtausend,
und sie gibt auch das Thema der Kunstgeschichte
ab. Die zum Teil merkwürdigen, zum Teil geheim-
nisvoll wunderbaren Dinge, die wir aus der vor-
christlichen Zeit Deutschlands besitzen, und deren
weitere Erforschung die Aufgabe der nächsten Jahr-
zehnte sein wird, bergen und enthüllen manches
Geheimnis des deutschen Wesens. Dem Kundigen sa-
gen sie manches über unsere eigentliche nordische
Erbmasse. Was aber deutsche Kunst ist, verraten sie
nicht. Denn deutsche Kunst, soweit sie vor uns klar
zutage liegt, ist jene christliche Kunst, die mit Karl
dem Großen begann und aus der bis zur Gegenwart,
bis hinein in die abstraktesten Experimente der Mo-
dernen, die Begegnung mit den antiken Mittelmeer-
kulturen nicht wegzudenken ist. Das, wodurch sich
diese deutsche Kunst von der Kunst der Franzosen,
Spanier oder Italiener unterscheidet, ist ihre For-
mensprache, mit der sie ihrem eigenen deutschen
seelischen Gehalt Gestalt gibt.

Stellt man einen wirklich kunstverständigen Aus-
länder vor die verschiedensten Kunstwerke euro-
päischer Völker, so wird er mit einiger Sicherheit
alle von Deutschen geschaffenen herausfinden, und
zwar gleichgültig, ob es sich um Plastik des 15. Jahr-

hunderts handelt (obwohl die Einheit des christ-
lichen Mittelalters besondere Kennerschaft voraus-
setzt) oder um Malerei des 16. Jahrhunderts, die stark
unter dem Eindruck der italienischen Benaissance
steht, oder um Malerei des 19. Jahrhunderts. Ja selbst
bei jenen Impressionisten, die ganz nach dem fran-
zösischen Bezept arbeiteten, oder bei jenen Nach-
ahmern der modernen Pariser Maler wird er sagen,
das kann nur ein Deutscher gemalt haben, wobei
es ihm allerdings nicht immer leicht fallen wird,
seine Behauptung auch zu begründen.
Daraus geht hervor, daß jede Kunst Ausdruck des un-
veränderlichen Nationalcharakters eines Volkes ist.
Die sich daraus ergebende Antwort ist also zunächst
ganz richtig: deutsche Kunst ist jede Kunst, die von
Deutschen geschaffen worden ist.

*

Aber damit ist zu wenig gesagt. Die deutsche Kunst
ist, wie wir ausführten, entstanden aus der Begeg-
nung eines nordischen Bluterbes mit der Kunst der
Antike (die wiederum aus Begegnungen hervorge-
gangen ist). Diese Begegnung hat zuweilen dazu ge-
führt, daß die tiefe, ureigene deutsche Wesenschicht
mehr oder weniger stark von fremden Einflüssen
überdeckt wurde.

Solche Begegnungen, wie sie sich beim Individuum
täglich ereignen, finden bei Völkern in großen Inter-
vallen statt. Die Morphologie der deutschen Kunst
steht unter dem Gesetz des Pendelschlags, der auf
die klassische antike Kunst hinschwingt und sich
von ihr wieder abwendet.

Im 15. Jahrhundert hat diese Begegnung zu einer
wunderbarenSynthese geführt, deren größte steinerne
Zeugen in Bamberg, Straßburg und Naumburg mit
ewigen Zungen reden. Um 1500 erfolgte wiederum
eine Begegnung, diesmal weit gefährlicher aus Grün-
den, die wir hier ununtersucht lassen können. Die
fremden Elemente konnten nicht mehr mit gleicher
Kraft in dem deutschen Schmelztiegel aufgelöst wer-
den. Zwar schufen die Maler und die noch vorhan-
denen Bildhauer ebenfalls „deutsche Kunstwerke".
Aber in der Zeit nach Dürer langte die eigene Kraft
nicht mehr aus, den übermächtig einbrechenden,
fremden Zustrom zu verarbeiten, und die deutsche
Kunst stieg von ihrem Gipfel herab und verlor für
kurze Zeit ihren Bang. Erst im 17. und 18. Jahr-
hundert erfolgte eine Wiedergeburt in der Archi-
tektur (sieht man von den Flamen und Holländern ab.
deren Malerei eigentlich auch zur deutschen Kunst-
geschichte gehört). Die dritte große Begegnung er-
folgte dann am Beginn des 19. Jahrhunderts. In der
Malerei war sie bestimmt durch den Einfluß der
Franzosen. Wiederum — wenn auch der ganzen
europäischen Kunstentwicklung entsprechend: auf
bescheidenerem Niveau — führte sie zu einer neuen
Befruchtung, zu einer Malerei, der das 17. und
18. Jahrhundert nicht viel zur Seite zu stellen hat.
Aber wiederum auch führte sie zu einer wachsen-
den Einflußnahme fremden Wesens, so daß um 1 goo
der Schritt so weit vollzogen war, daß am Ende des

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